Sternstunden kleiner großer Menschen

Tausendundeine Nacht in Salurn und andere Begebenheiten

von Elisabteh Dagostin

 

Es ist ein kalter, verschneiter Samstagabend in Salurn. Mit der Italienisch- und der Integrationslehrerin mache ich mich auf den Weg zu einer pakistanischen Familie, die uns bereits zum zweiten Mal seit ihrer Ankunft in ihrer neuen Heimat zum geselligen Abendessen eingeladen hat. Der Papa empfängt uns mit einem strahlenden Lächeln. Wir vernehmen leises Gelächter im Hintergrund, wo langsam vier Kinderköpfe auftauchen. Die gesamte Familie trägt zur Feier des Abends die traditionelle pakistanische Tracht. Nach einer herzlichen Begrüßung und der Geschenkübergabe werden wir von den Kindern zum gedeckten Tisch geführt. Der kulinarische Hochgenuss darf offiziell beginnen und wie im Märchen deckt sich der Tisch immer wieder aufs Neue. Die Gastfreundschaft im Hause Akram ist sagenhaft. Sobald der Teller leer ist, füllt er sich erneut, bis wir allmählich vom kleinen Sohnemann erfahren, dass es Hähnchen in Hülle und Fülle gibt. Kein Wunder, wenn die vereinbarte Uhrzeit 8 mit der Anzahl der Gäste verwechselt wurde: Tischlein deck dich! Zum Abschied und zum Dank für unsere Bemühungen um ihre Kinder überreicht uns Mama Akram jeweils einen Ring mit bunten Steinen, der zur Krönung dieses Alltagsmärchens beiträgt.

Der Profi der Viertelstunde

Tatort und Tatzeit: Öffentlicher Fußballplatz im Schulhof der Mittelschule Neumarkt am Dienstag- und Donnerstagnachmittag zwischen 15.00 und 15.15 Uhr.

“Pass!” ertönt es aus dem Tor, auf das Bekiriño zusteuert. Mein slowakischer und mein mazedonischer Schüler geben mal wieder Anlass zum Staunen. Sogar die älteren Buben aus der Nachbarschaft folgen mit verstohlenen Blicken der eleganten Ballführung des kleinwüchsigen Spielers.

Auf dem Fußballfeld sind plötzlich alle Buben ebenbürtige Spieler, die ursprünglichen Sprachbarrieren überwunden. Mir wird ganz warm ums Herz, weil ich als Wahlfranzösin nach der bitteren Niederlage der Bleus im WM-Finale Italien-Frankreich 2006 auf einmal meinen eigenen kleinen Zizou entdeckt habe! Jeder muss einmal klein beginnen, um groß herauszukommen, auch in der Sprache.

Rollentausch für eine kurze Ewigkeit

Montagmorgen an der Mittelschule Salurn. Ich stehe noch an der Türschwelle, als mich die Nachricht von zwei mazedonischen Neuankömmlingen endgültig aus dem Schlaf reißt.

Einer der beiden Schüler steht bereits in meinem Klassenzimmer und begrüßt mich auf Italienisch. “Wieder einmal Glück gehabt”, ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schwirrt, “die Albaner aus Mazedonien sind einfach sprachbegabt.” So kann ja gleich die Vertrauensbrücke geschlagen werden. Ich bin mir im Klaren darüber, dass meine Arbeit weit mehr ist als Spracharbeit, weshalb ich bereits beim ersten Zusammentreffen mit neuen Schülerinnen und Schülern auf Vertrauen setze. Der neue Schüler wirkt auf mich gleich etwas müde; der Fastenmonat hat soeben begonnen. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde versuche ich das Eis zu brechen, indem ich dem Neuzugang mit seinem prüfenden Blick gleich unter Beweis stelle, dass der Kultur-Knigge für Nicht-Muslime einer erfahrenen Lehrerin sehr wohl vertraut ist: “Dimmi, stai facendo Ramadan?” Der Junge schaut mich mit einem verschmitzten Lächeln an, schweigt für einen Augenblick und verweilt nachdenklich für eine weitere Minute, die mir wie eine kurze Ewigkeit erscheint, bis er das Wort ergreift: “Professoressa, si dice Ramazan. Ramadan... é mio padre.” Worauf wir beide zu lachen beginnen und ich meine Nagelprobe bestanden habe.

Elisabeth Dagostin aus Truden ist eine leidenschaftliche Romanistin und unterrichtet Deutsch als Fremd- und Zweitsprache für das Sprachenzentrum Unterland.

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