Zeit ist nicht gleich Zeit Technik und Astronomie in Theorie und Praxis
Das Internationale Jahr der Astronomie (IYA 2009) war Anlass für die Klasse 5A Kunstlyzeum des Humanistischen Gymnasiums "Walther von der Vogelweide", ein astronomisch-künstlerisches Zeichen zu setzen. Die Schülerinnen konstruierten eine Sonnenuhr. von Brigitte Lintner Die Uhrzeit scheint auf den ersten Blick eine Konstante im Leben der Menschen zu sein; sie soll den tägli-chen Ablauf strukturieren. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist das Phänomen „Zeit“ lediglich ein periodi-sches Sich-Abwechseln von Ereignissen, wie Sonnenauf- und –untergang oder sich regelmäßig wieder-holenden Mondphasen. Und so waren es in der Geschichte vor allem Astronomen, die sich mit der Entwick-lung einer Zeitskala beschäftigten. Doch bald schon musste man feststellen, dass die tatsächliche Zeit, so wie sie uns von den Gestirnen diktiert wird, mit den Lebensgewohnheiten der Menschen nicht vollständig übereinstimmt. Schwankungen von Sekundenbruchteilen in der periodischen Wiederkehr astronomischer Konstellationen summieren sich mit der Zeit und sind mit dem gewohnten Lebenslauf der Menschen irgendwann nicht mehr vereinbar. Dieses Problem konnte nur mit dem Entwickeln einer „künstlichen“ Zeitskala beseitigt werden. So basiert auch die Zeitrechnung der heutigen Zeit auf der Bewegung der Gestirne, die genannten „Ungereimtheiten“ mit unserem Alltag werden aber durch kleine Abweichungen von der tatsächlichen Zeit nivelliert. Die Zeitgleichung Eines der bekanntesten Phänomene ist die sogenannte Zeitgleichung, bzw. die Tatsache, dass unsere Uhren nicht immer zum Zeitpunkt des Sonnenhöchststandes („Mittag“) auch exakt 12.00 Uhr anzeigen. Dieser Unterschied zwischen der tatsächlichen Sonnenzeit und der bürgerlichen Zeit ist auf die unterschied-liche Geschwindigkeit der Erde auf ihrem alljährlichen Weg um die Sonne zurückzuführen. Im Winter befindet sich die Erde in Sonnennähe und muss sich, um der starken Anziehungskraft der Sonne entgegen-zuwirken, schneller um diese bewegen als im Sommer, wenn die Erde eine etwas größere Entfernung von der Sonne hat. Die bürgerliche Zeitrechnung gleicht diese Unterschiede aus und nimmt als Berechnungs-grundlage eine sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegende Erde an. 4 Mal im Jahr zeigt unsere Uhr auch tatsächlich die wahre Sonnenzeit an (15. April, 13. Juni, 1. September und 25. Dezember), ansonsten hinkt die Uhr der wahren Zeit hinterher oder eilt ihr voraus. Zum Beobachten dieses Phänomens braucht es eine Sonnenuhr, die mit der Anzeige einer gewöhnlichen Uhr verglichen werden kann. Das Projekt "Sonnenuhr" Das Prinzip einer Sonnenuhr ist relativ einfach: ein Polstab („Gnomon“) wirft bei Sonneneinfall einen Schatten auf eine Fläche; ist der Stab richtig positioniert und sind die Stundenlinien exakt eingezeichnet, so zeigt der Schatten in jedem Moment die wahre Sonnenzeit an. Astronomische Grundkenntnisse, Kreativität, technisches Know-How und handwerkliches Geschick waren notwendige Fähigkeiten, um das Vorhaben zu verwirklichen. Die Sonnenuhr sollte sowohl aus technisch-astronomischer Sicht, als auch aus künstlerisch-ästhetischer Sicht ein große Herausforderung für die Schülerinnen werden. Planung und Messung Der wichtigste und erste Schritt war die Wahl des Standortes der zukünftigen Sonnenuhr. Am Humanisti-schen Gymnasium Bozen wurde eine Wand ausgewählt, die über eine Dachterasse für Schüler/innen und Lehrpersonen zugänglich ist und die so ausgerichtet ist, dass die Uhr in den Unterrichtsmonaten vormittags von den Sonnenstrahlen erreicht wird. Dadurch wird gewährleistet, dass die Sonnenuhr auch in das Unterrichtsgeschehen integriert werden kann. Nach dem Festlegen des Standortes musste die Wand genau vermessen werden: Höhe und Breite der Wand sind für den Entwurf der Sonnenuhr notwendig und konnten relativ schnell und einfach mit einem Meterstab von den Schülerinnen selbst abgemessen werden. Das Ermitteln der genauen Ausrichtung (Abweichung von der Nord-Süd-Linie), die Berechnung der exakten Positionen der Stundenlinien, der Länge, Position und Neigung des Polstabes, überließ die Klasse dem österreichischen Sonnenuhrenexperten Dr. Helmut Sonderegger. Das Berechnen einer Sonnenuhr ist sehr kompliziert und Bedarf reichlicher Erfahrung. Dr. Sonderegger besuchte die Klasse, hielt ein interessantes Referat zum Thema „Sonnenuhren in der Geschichte und heute“ und bestimmte danach die exakte Ausrich-tung und Neigung der Wand. Die weiteren Berechnungen nahm der Experte mit einem speziellen Computer-programm vor. Erst nach Übermittlung der genauen Daten konnten die Schülerinnen mit der konkreten Arbeit im Fach „Plastisch Formen“ beginnen. Konstruktion Als erstes fertigte jede Schülerin eine Skizze an, dabei waren der Phantasie keine Grenzen gesetzt und die zur Verfügung stehende Fläche von 2 m x 1,5 m konnte vollständig genutzt werden. Die einzigen Vorgaben für die Gestaltung waren das Thema „fiktive Planeten“ und die Aufteilung auf sechzehn einzelne Platten, damit jede Schülerin eine Platte ausarbeiten konnte. Gemeinsam wählten die Schülerinnen einen Vorschlag aus und fertigten auf Papier eine Skizze im Maßstab 1 : 1 an. Jede Schülerin erarbeitete anschließend eines der Elemente in Reliefform aus Ton. Diesem Tonpositiv wurde anschließend ein Alabasternegativ entnommen. Auf die gesäuberten Gipsnegative wurde eine Schicht Isoliermaterial (Schellack, Vaselinfett oder Wachs) aufgetragen, um die Poren des Alabasters zu ver-schließen. In die Negativformen wurde schließlich ein Gemisch aus Sand und Zement (im Verhältnis 3:1) und Wasser gegossen. Die gefüllten Gipsformen wurden mit feuchten Tüchern bedeckt und zum Aushärten der Zementmasse stehen gelassen. Nach dem Aushärten der Masse wurde das Gipsnegativ vorsichtig mit Hammer und Meißel zerstört und dadurch das Positivrelief freigelegt. Die sechzehn Zementelemente wurden gesäubert und dann mit Hilfe eines Spezialklebstoffs an die vorgesehenen und vorher eingezeich-neten Stellen der Außenwand befestigt. Zum Schluss wurden mit Pinsel und Temperafarbe für Außen-bereiche die Ziffern aufgetragen und der von einem Schlosser maßangefertigte Lotstab befestigt. Das
Ergebnis der intensiven Arbeit kann sich sehen lassen. Die Sonnenuhr wurde
im Rahmen eines „Astronomietages“ im Juni 2008 eingeweiht und seither
strahlt auf der Dachterrasse vor der Bibliothek immer die Sonne(nuhr).
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PRAXIS |
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