Der ethnisierende BlickEthnizität und neue Minderheiten Wenn von „Ethnizität“ zu einem Südtiroler Publikum zu sprechen ist, heißt das nicht „Holz in den Wald tragen“? Die vielleicht einzige in Europa real existierende, ethnisch geprägte Parallelgesellschaft - an den Kriterien von Thomas Meyer gemessen - hat mit Blick auf das ethnisch Eigene per se viel Erfahrungswissen zum Thema Ethnizität.
von Gerhard Hetfleisch
Die Sache ist komplex. Schon durch die bloße Diskussion könnte der uns allen mehr oder weniger eigene ethnozentri-sche Blick bestätigt werden, und damit indirekt auch jene diskriminierenden Praxen und Ideologien, die partikuläre – wahllos aus dem Kontext gegriffene - religiöse und kulturelle Merkmale zum genuinen Ausdruck der Ethnizität von Einwanderergruppen fassen. Mein Artikel kann daher auch keine Leitlinie im Sinne eines Ratgebers im Umgang mit „Ethnien“ sein, der genau die Stereotype implizit reproduziert, es kann hier nur Grundsätzliches angesprochen werden.
Woher kommt das Ethnische? In der Ethnizitätsforschung herrschen zwei dominante wissenschaftliche Ansätze vor. Da gibt es zum einen jene Strömung, die von einer „wie auch immer bestimmten Naturgegebenheit von Ethnizität“ ausgeht. Salzborn merkt dazu an, dass es eine natürliche/biologische Grundlage nicht gibt, das sei „wissenschaftlich zweifelsfrei geklärt“. Und es gibt die andere Richtung, „die so genannte konstruktivistische Position, die von einer sozialen Konstruktion von Ethnie und Ethnizität ausgeht“ und damit „Ethnizität als ein lediglich gedachtes Konstrukt verwirft“(vgl. Salzborn S. 99ff.).
Beide Ansätze greifen zu kurz. Hilfreich ist hier das „Projekt Ideologietheorie (PIT)“ , das von permanenten Prozessen horizontaler Selbstvergesellschaftung „im Sinne einer gemeinschaftlich-konsensuellen Kontrolle der gesellschaftlichen Lebensbedingungen“ ausgeht. Die Ausdrucksformen horizontaler Selbstvergesellschaftung sind zeitepochenspezifisch und unterliegen ebenso regelmäßig - wie sie auch immer wieder neu entstehen – ideologisch-hierarchischer Vergesell-schaftung von oben. Was sagt uns das zu Ethnizität? Ein Charakteristikum von horizontal vergesellschafteten Gemeinschaften ist es, dass sich ihre Akteure auf gleicher Ebene solidarisch und konsensuell verständigen, und im Kulturellen/Ethnischen das prakti-zieren, was der Gruppe lebenswert erscheint. Aus Gruppen „an sich“, deren potenzielle Angehörige zwar Gemeinsam-keiten miteinander verbindet, die sich ihres Gruppenstatus aber nicht bewusst sind, werden historisch immer wieder Gruppen „für sich“. Aus unverbundenen Arbeitern entstand beispielsweise im 19. Jahrhundert die geschichtsmächtige Arbeiterbewegung. So können aus vorerst lose verbundenen Migranten und Migrantinnen, die formal gesehen an sozialen und kulturellen Merkmalen gemessen eine Gruppe „an sich“ bilden, dadurch, dass sie sich ihrer gemeinsamen Lage bewusst werden und ihren Lebenszusammenhang zu gestalten beginnen, ethnische Gruppen „für sich“ mit ethnischer Gruppenidentität werden. Die sozialen Gemeinsamkeiten werden dabei unter das als ethnisch gemeinsam Erkannte subsumiert und das Ethnische zugleich überdeterminiert. Die gemeinsame soziale Lage entschwindet tendenziell dem Blick. Das Ethnische tritt verstärkt als Hauptmerkmal an seine Stelle, vor allem im Außenverhältnis der Gruppe. Der ethnisierende Blick In unseren Köpfen „hausen“ erworbene, historisch vermittelte Bilder und Repräsentationen von Nationen und Ethnien. Ein Erbe der mehr oder weniger ausgeprägten kolonialen und imperialen Geschichte diverser europäischer Nationen ist beispielsweise selbst noch am vordergründig harmlosen Wirtshaus „Zum Mohren“ ablesbar. Der eurozentristisch-weiße, ethnisierende und hierarchisierende Blick ist den Autochthonen eigen, schon lange bevor Menschen der hierarchisierten Nationen und Ethnien bei uns zu „Gastarbeitern“ wurden. Und dieser ethnisierende Blick konzentriert sich auf wenige hervorstechende ethnische Merkmale und Verhaltensweisen, die so zum „Wesentlichen“ der Eingewanderten werden. Drückt das Kopftuch die ethnische Identität all jener Einwanderer, die etwa aus Marokko, der Türkei kommen aus? Was ist mit jenen, die nicht religiös sind? Ist die weibliche Genitalverstümmelung quasi „Folklore“ bei Einwanderergruppen aus einigen afrikanischen und arabischen Ländern und verdichtetes Symbol ihrer Wertvorstellungen, die nur die gesamte Kultur der Einwanderer als ethnisch minderwertig bestätigt?
Ethnizität oder soziale Lage Verbirgt sich hinter dem ethnisch interpretierten Erscheinungsbild von Migranten und Migrantinnen nicht oft Armut? Wo Ethnie drauf steht, sind oft soziale Lagen zu finden. Um das zu erkennen, braucht es an sich keine Studien, nur eine gute, nicht ethnisierende Beobachtungsgabe. Aber auch durch Studien wird bestätigt, dass es ethnische Schichtung gibt, primär aber soziale Aspekte unterschiedliche Gruppen von Einwanderern charakterisieren. Hilde Weiss resümiert Studien zur sozialen Mobilität von jugendlichen Migranten und Migrantinnen: „Die Mehrzahl der Studien weist auf den dominie-renden Effekt des sozialen Status hin. Maßnahmen gegen eine dauerhafte ethnische Unterschichtung sind aber erfor-derlich.“(S. 241) Resümee Es ist ein wechselseitiger sich aufschaukelnder Prozess, der sich vor allem in Krisenzeiten wie eine Springflut Bahn bricht: Auf Basis sozialer Distanz der Einheimischen zu Migranten und Migrantinnen, die real im Nebeneinander der beiden Gruppen gelebt wird, gespeist vom ethnizistischen Blick, der zugleich diskriminiert, wird Selbstethnisierung initiiert und erleichtert. Selbstethnisierungsprozesse können von autoritär-hierarchischen Organisationen, Sekten und Gruppen - vornehmlich des Herkunftslandes der Migranten und Migrantinnen - genützt werden, und von diesen hierar-chisch überformt werden. Die so entstehende Gruppe mit primär ethnischer Gruppenidentität bedarf ihrerseits der sozia-len Distanz zur Aufnahmegesellschaft zur Stabilisierung nach innen und kann somit wieder bei Autochthonen Distanz und den ethnozentrischen Blick mit entsprechenden Praxen bestätigen, „schärfen“ und weiter treiben.
Die einzige Möglichkeit dieser Automatik entgegenzuwirken ist es, soziale Probleme als solche wahrzunehmen und auch Lösungen dafür anzubieten. Dem ethnozentrischen Blick ist nur durch Aufklärung und eine effiziente Antidiskriminie-rungsgesetzgebung beizukommen. Allerdings generieren die Tiefenstrukturen unserer Gesellschaft Ethnisierung sowohl bei Einheimischen als auch bei Eingewanderten immer wieder aufs Neue, wodurch die (gemeinsamen) sozialen Lebensumstände in den Hintergrund treten.
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