SCHLÜSSELSTELLUNG DER GEOGRAPHIE

"Nichts bildet den gesunden Menschenverstand mehr als Geographie." Immanuel Kant

Aufgrund ihrer besonderen inhaltlichen und methodischen Anlage schöpft die Geographie zu gleichen Teilen Erkenntnisse aus der Analyse natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Fragestellungen. Darum ist das Schulfach Geographie besonders dazu prädestiniert, fächerübergreifend und interdisziplinär zu wirken.

von Evelyn Busarello Frötscher

Der Bildungsauftrag des Geographieunterrichts verdeutlicht die wachsende Bedeutung des Faches, Grund-einsichten und Erkenntnisse über Wechselwirkungen zwischen Mensch und Raum darzustellen und zu ent-wickeln; dabei werden zukünftige Herausforderungen der Weltgesellschaft thematisiert. Die Ansprüche an den geographischen Raum haben in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung zugenommen:

  • in der vermehrten Mobilität,
  • in der Entwicklung der Weltbevölkerung,
  • in der weltweit wechselseitigen Abhängigkeit der Staaten und Völker,
  • in der zunehmenden Globalisierung,
  • in der Wichtigkeit der Entwicklungsproblematik für die Dritte Welt,
  • in der europäischen Integration,
  • in der ökologischen Labilität von Landschaftsökosystemen,
  • in der Aktualität der sich schneller als erwartet entwickelnden Klimaveränderung.

Kein anderes Fach beschäftigt sich mehr mit den Fragen, vor denen die Menschheit nach Beginn des neuen Jahrtausends steht. Es sind dies Fragen nach

  • der Begrenztheit von Ressourcen durch eine rasch wachsende Weltbevölkerung,
  • den immer stärker werdenden Disparitäten zwischen wohlhabenden Industrie- und armen Entwick-lungsländern mit all den sich daraus ergebenden Folgen,
  • der weltweit zunehmenden Umweltgefährdung und ihren Ursachen.

Das Fach Geographie ist damit als Zentrierungsfach für die Umweltbildung und die nachhaltige Entwicklung besonders geeignet.

Neben diesen Inhalten vermittelt das Fach Geographie durch seine Vielfalt an Arbeits-materialien und Medien, an praktizierten Arbeits- und Sozialformen sowie durch seine Einbeziehung außerschulischer Lernorte (s. Praxis-Beitrag in diesem Heft) ein hohes Maß an fachbezogenen, sozialen, instrumentellen und personalen Kompetenzen.

Geographie - ein vernachlässigtes Fach? 

Alle diese für den Bildungsauftrag der Schule wichtigen Aufgaben und Funktionen des Faches Geographie sind selbstverständlich nur erfüllbar, wenn das Fach mit entsprechender Eigenständigkeit und Bedeutung in der Oberschule vertreten ist.

In einigen Industrieländern wie den USA, in Japan, Großbritannien und Deutschland findet man in den neuen Lehrplänen für den Sekundarbereich II (bei uns Oberschule) wieder eine stärkere Berücksichtigung des Faches Geographie.

Die Erkenntnis der Bildungspolitiker in diesen Staaten ist, dass ohne eine umfassende geographische Bildung eine Befähigung und Erziehung von Schülerinnen und Schülern zu kompetenten raumbezogenen Verhaltens-weisen kaum möglich ist.

In Italien hingegen wird das Unterrichtsfach Geographie seit Jahrzehnten vernachlässigt; wegen seiner vielschichtigen Bildungsangebote aber ist es sinnvoll und notwendig, dieses Fach zweistündig in allen Jahrgangsstufen der Oberschule einzuführen, eventuell auch als Wahlpflichtfach. Laut Schülerumfragen wird das Fach Geographie gewünscht!

Heute findet man die Geographie nur im Biennium der Technischen Oberschulen als Physische Geographie, gekoppelt mit Biologie. Als Wirtschaftsgeographie an Handelsoberschulen darf die Geographie, laut neuem Bildungsplan des Unterrichtsministeriums, wahrscheinlich nur noch kurze Zeit existieren. Italien geht den-selben Weg wie andere Industrieländer vor 20 Jahren. Nur diese Länder haben den Weg zur Geographie als Unterrichtsfach wieder zurück gefunden.

Wir Fachlehrkräfte verfolgen die Unterrichtsreform in Italien in den letzten Jahren alle mit gemischten Gefühlen und großer Unsicherheit, da sich nicht unbedingt Fachleute mit der Materie beschäftigen. Südtirol könnte hier ja auch einen eigenen Weg einschlagen und nicht alles nachbeten, was von staatlicher Stelle kommt. Vielleicht besteht auch die Möglichkeit nach Norden zu schauen, um den Stellenwert des Unterrichts-faches Geographie wieder zu erkennen.

Wirtschaftsgeographie

In dieser Form existiert das Fach Wirtschaftsgeographie nur bei uns in der Handelsoberschule. In Deutschland spricht man nur von Geographie und hat als Inhalt die Physische, Kultur- und Wirtschafts-geographie. In Österreich heißt das Fach Geographie und Wirtschaftskunde. Dabei versucht man alle Gebiete der Geographie miteinander in Verbindung zu bringen zu bringen.

Im Fach Wirtschaftsgeographie wird ganz speziell auf den Bildungsauftrag eingegangen, der an die Geographie gerichtet ist.

Kernbereiche sind:

  • Vermittlung von wirtschafts- und sozialgeographischen Kenntnissen und Erkenntnissen (z.B. Landnutzung, Bevölkerung, Siedlung, Industrie, Verkehr, Tourismus)
  • Entwicklung von Verständnis für Kooperation (z.B. Strukturen, Prozesse und Probleme in Regionen und Staaten, Welthandel, Globalisierung)
  • Entwicklung von sachkundigen Verhaltensweisen und einer Beurteilungsfähigkeit (z.B. Raumplanung, Umwelt, nachhaltige Entwicklung)
  • Bereitschaft zum Erfahrungsaustausch mit anderen Fächern (z.B. Volkswirtschaft, Betriebswirtschaftslehre, Sprachfächern) ganz besonders auch in aktuellen Bereichen (z.B. politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Informationen, Probleme des Umweltschutzes aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht, Beziehungsgeflecht zwischen Natur- und Humanfaktoren).

„Eine vorausschauende Bildungspolitik sollte dem Selbstverständnis des Faches Geographie als Brücke zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften Rechnung tragen.“ (Kerngruppe Geographie)

        
Evelyn Busarello Frötscher ist seit 1980 Fachlehrerin für Geographie an der Handelsoberschule in Sterzing und Mitglied der Kern-gruppe Geographie des Pädagogischen Instituts.

Literaturangaben:

Verband deutscher Schulgeographen, Hamburg 2006;

Kommission Geographische Erziehung der Internationalen Geographischen Union 1992

Hemmer, I. und M.: Nationale Bildungsstandards im Fach Geographie. In: geographie heute H. 255/256, S.2-9, 2007

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