Islamophobie im Vormarsch

Das Minarett-Referendum in der Schweiz sorgt für Diskussion und wirft neue Fragen auf

Die politische Kommunikation ist oft jahreszeitenbedingt: Je nach Saison lässt sie bekannte Mythen er- oder verblühen. Die Saison, die je nach politischem, ökonomischem und sozialem Kontext variiert, bietet eine große Auswahl an Früchten, und ihre Blüte erfreut sich einer zyklischen und natürlichen Wiederkehr. Folglich fungiert die politische Kommunikation als Gewächshaus, in dem Mythen vorsichtig kultiviert und verwaltet werden, um sie zu jenem Zeitpunkt zum Kauf feilzubieten, an dem sie den maximalen Gewinn einbringen.

von Annemarie Profanter

Die öffentliche Meinung stellt den Kunden dar, dem die Produkte angeboten werden, und es ist sehr wahrschein-lich, dass ein Kunde kauft, was angeboten wird.

Zurzeit sind einige dieser saisonüblichen Früchte: Migration, Sicherheit, globaler Terrorismus, Islam und muslimische Gemeinschaften. Und natürlich stehen diese Saisonprodukte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem globalen Markt, in welchem Migration und Mobilität von Menschen stattfinden.

Im Laufe der letzten Dekade haben sich der öffentliche Diskurs und die Medien in Europa darauf konzentriert, das Phänomen der Migration zu verzerren, und eine ethnozentrische Rekonstruktion des „Anderen“, des „Fremden“, forciert. „Media and dominant policy discourses convey an apocalyptic image of an increasingly massive exodus of desperate Africans fleeing poverty and war at home trying to enter the elusive European ‘El Dorado' crammed in longworn ships barely staying afloat” (Pastore et al., 2006). Die europäische Antwort auf dieses Phänomen bestand in der Schließung der Grenzen, der Erhöhung der Kontrollmaßnahmen und der öffentlichen Diskussion um Sicherheitsfragen.

 

Unus pro omnibus, omnes pro uno

„Einer für alle, alle für einen“, der Wahlspruch der Schweiz birgt eine der Grundsäulen des Staates in sich: Solidarität. In der politischen Kommunikation der letzten Monate flammte dieser „musketierische Mythos“ wieder auf, wurde aber durch Wahlwerbung zum Referendum gegen den Bau von Minaretten im November 2009 im multikulturellen und neutralen Land im Herzen Europas in Frage gestellt (s. Plakatwerbung für das Referendum im November 2009).

57,4% der Schweizerinnen und Schweizer sprachen sich in der Volksinitiative vom 29. November 2009 gegen den Bau von Minaretten aus – ein Ergebnis, das nicht nur die rund 400.000 in der Schweiz lebenden Muslime, sondern auch liberale, demokratische Köpfe sowie Linksparteien in ganz Europa perplex gestimmt hat. Die Initiatoren des Referendums, die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) erklären, dass Minarette eine eindeutige politische Symbolik gegen Integration und für mehr Segregation darstellen.

Exzess der Demokratie?

Der politische Diskurs der Schweizer Rechten hat seit 2006 eindeutig rassistische und xenophobe Tendenzen angenommen. Die Kontroverse gegen die Konstruktion von Minaretten begann bereits 2005, als das Türkische Zentrum in Wangen bei Olten (Kanton Solothurn) einen Projektantrag für ein 6 m hohes Minarett stellte, welches nach Überwindung etlicher administrativer Hürden im Jahre 2009 fertiggestellt wurde.
In der Analyse der Wahlkampagne drängt sich die Frage auf, bis zu welchem Grad Pressefreiheit verfassungs-rechtlich geschützt werden soll bzw. wo die Grenze zwischen den fundamentalen Rechten gegen Rassismus und Presse- und Medienfreiheit zu ziehen ist, wenn eindeutig rassistische und xenophobe Bilder unzensiert in die Städte fluten. Es sei angemerkt, dass sich die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) mehr als ein Jahr vor dem Referendum in einer Erklärung gegen diese Initiative ausgesprochen hat, da sie eine Verletzung des fundamentalen Menschenrechtes der Religionsfreiheit darstellt.
Wie wird das Recht auf Religionsfreiheit von Europäern ausgelegt? Wie sieht es mit fundamentalen Menschen-rechten aus? Könnte der Bau von Moscheen (und Minaretten) einen wichtigen Schritt für die Integration von Muslimen darstellen?

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