Es ist noch gar nicht lange her...Die Südtiroler Schule im 20. Jahrhundert unter dem Aspekt "Armut und Bildung"
Die Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen von Schulkindern und Lehrpersonen sind in Südtirol – von der Zwischenkriegszeit bis in die 1960er Jahre – von massiven politischen Zeitphänomenen wie Faschismus, Nationalsozialismus und Krieg, in den Nachkriegsjahren von den Bemühungen um autonome Befugnisse geprägt. von
Annemarie Augschöll Blasbichler
Entsprechende Verordnungen reglementieren Organisation und Inhalte und bilden somit einen verbind-lichen Rahmen für die Schule als Lern- und Arbeitsort. Daneben wirkten wirtschaftliche Verhältnisse und geografische Bedingungen in unterschiedlichen Ausmaßen auf die einzelnen Schulen des Landes ein und verursachten lokal unterschiedliche und facettenreiche Formen und Strategien. Letztere waren vor allem in mikroorganisatorischen und logistischen Bereichen (Schulhaus, Schulweg, Ausspeisung, Lehrer-wohnung…) zu finden. Lernen unter erschwerten Bedingungen Die Annexion des österreichischen Kronlandes Tirol südlich des Brenners durch Italien im Jahr 1919 erfolgte unter Respektierung der sprachlichen und kulturellen Identität und entsprechender Zusagen von höchster Stelle für deren Ausübung unter anderem auch in der Schule. Mit der Machtübernahme der Faschisten im Jahr 1922 wurde die Schule maßgeblich für die massiven Italianisierungs- und Ideologi-sierungsbestrebungen instrumentalisiert. Der Anhang an das große Schulreformwerk von Giovanni Gentile reglementierte 1923 die Abschaffung der deutschen Unterrichtssprache und die völlige Italiani-sierung der Schule. Deutsche Lehrpersonen wurden entlassen und durch italienische aus den alten Provinzen ersetzt. Der Erziehungs- und Lehrauftrag der neuen Lehrerschaft zielte vordergründig auf das radikale Löschen jeglicher Verbundenheit der Schüler/innen mit ihren kulturellen Wurzeln sowie gleichzeitig auf eine massive Indoktrination der faschistischen Ideologie. Die konkrete inhaltliche und methodisch-didak-tische Umsetzung dieses Schulprogrammes dokumentierten die Lehrpersonen in ausführlichen Proto-kollen und Registern. Ebenso kommentierten sie die Gesinnung der Schülereltern und die Fortschritte ihrer Kampagnen für einen möglichst lückenlosen Beitritt der Schulkinder zu den Kinder- und Jugend-organisationen der Opera Nazionale Balilla. Die Bearbeitung derartigen Quellenmaterials bedarf kritischer Analysen. Verfasser und Intention der Papiere müssen beleuchtet werden. Insofern gibt das vorhandene schriftliche Quellenmaterial nur einseitige und ausschnitthafte Einblicke in die Lebens-, Lern- und Ar-beitsbedingungen der Lehrerpersonen und Schulkinder. Nahezu keine Archivalien sind für die Katakombenschulen, die als verzweifelte Versuche der deutsch-sprachigen Bevölkerung zum Erlernen der Lese- und Schreibfertigkeit in der Muttersprache zu sehen sind, abgelegt. Insbesondere die strenge Verfolgung dieser Bemühungen und das Fehlen ausgebildeter Lehrkräfte und geeigneter didaktischer Hilfsmittel verlangten Strategien und behelfsmäßige Taktiken, die in unterschiedlichste Formen mündeten. Im Zuge des Optionsabkommens wurden den Kindern der Deutsch-Optanten als Vorbereitung auf die Auswanderung ab 1940 Sprachkurse angeboten, die an Nachmittagen regulär in den Schulhäusern abgehalten wurden. Abgelegte Programme und Protokolle belegen eine klare Orientierung an der natio-nalsozialistischen Ideologie. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1943 wurde die deutsche Schule in Südtirol wieder eröffnet. Ihre ideologische Ausrichtung manifestierte sich verstärkt in Inhalten und Zielen.
Vieles nur mündlich tradiert Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begannen die Bemühungen um den Wiederaufbau des deutschen Bildungswesens vom Kindergarten bis zur Oberschule. Das Fehlen ausgebildeter Lehrer/innen und die – besonders in ländlichen Gebieten – meist baufälligen Schulgebäude sind Rahmenbedingungen, die diese Zeit prägen und als Phänomen schriftlich dokumentiert sind. Der konkrete Umgang mit derartigen Einschränkungen vor Ort ist aus schriftlichen Quellen allerdings nicht rekonstruierbar.
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