Kulturelle und sprachliche Vielfalt

Rahmenrichtlinien und pädagogische Praxis in Kindergarten und Schule

Die deutschsprachigen Kindergärten und Schulen in Südtirol werden zunehmend multi-kultureller und mehr-sprachiger. Von den pädagogischen Fachkräften erfordert dies eine Umorientierung in ihrer Arbeit. Dabei stellen die Rahmenrichtlinien eine Herausforderung dar und können für diesen Prozess hilfreich sein. Auf verschiedenen Ebenen – beim Land, bei Einrichtungsleitungen, Fachkräften und Eltern – gibt es aber noch Klärungsbedarf, wie der Bildungsauftrag in der pädagogischen Praxis umgesetzt werden kann.

von Otto Filtzinger

Es gibt sie natürlich noch, die rein deutschsprachigen Kindergärten und Grundschulen, vor allem in abgelegenen Tälern und Dörfern. In größeren Orten und Städten hat sich die Situation verändert. Zunehmend schicken italienischsprachige Eltern ihre Kinder in eine deutschsprachige Bildungseinrichtung, sei es, weil es vor Ort keine italienische Bildungsinstitution gibt, sei es, weil ein Elternteil italienischsprachig, der andere deutschsprachig ist und die Eltern sich für eine deutschsprachige Einrichtung entscheiden, sei es, weil rein italienischsprachige Eltern es für gut halten, wenn ihre Kinder möglichst früh mit der zweiten Landessprache vertraut werden.

Die in den letzten Jahren angestiegene Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen und mit anderen Muttersprachen wird auch in den deutschsprachigen Bildungseinrichtungen sichtbar und hörbar. Während früher Migrantenkinder eher in den italienischsprachigen Einrichtungen eingeschrieben wurden, wird in den letzten Jahren die Tendenz erkennbar, dass deren Eltern ihre Kinder auch in deutschsprachige Kindergärten und Schulen anmelden. Dadurch sind nun auch recht viele deutschsprachige Einrichtungen stärker von kultureller und sprachlicher Vielfalt geprägt.

Mehrsprachige Orientierung

Die Landesregierung hat auf die sich verstärkende multikulturelle Situation reagiert und sieht die interkulturelle Bildung und Erziehung sowie die Mehrsprachigkeit als wichtiges Bildungsziel. Die „Rahmenrichtlinien für den Kindergarten in Südtirol“ (2008) beschreiben die Lebenswelt der Kinder als „kulturell und sprachlich vielfältig“. Sie erklären: „Interkulturelle Kompetenz ist Bildungsziel und Entwicklungsaufgabe für die Kinder und Erwachse-nen unseres Landes, aber auch für die Menschen, die von anderen Ländern zuziehen und sich in Südtirol nieder-lassen.“ Das beinhaltet „kulturelle Aufgeschlossenheit und Neugierde sowie mehrsprachige Orientierung“.

Im interkulturellen Miteinander gilt es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken, Mehrsprachigkeit und Multikulturalität als Chance wahrzunehmen, miteinander und voneinander zu lernen. Durch die Begegnung mit Kindern anderer Sprachen und Kulturen lernt und erlebt das Kind ein selbstverständliches Miteinander. Es hat Interesse und Freude daran, andere Kulturen und Sprachen kennen zu lernen, sich damit auseinanderzusetzen und sie zu verstehen.“ (Rahmenrichtlinien 2008, S.17 und 21)

Neues Bildungsverständnis und Bildungsziel

„In einer multikultuurellen Gemeinschaft leben und lernen“ lautet ein neues Bildungsziel, das auf einem zeit-gerechten Bildungsverständnis basiert. Es ist konsequent, dass die „Rahmenrichtlinien der Provinz Bozen für die Grund- und Mittelschule“ (2009) die auch in die Schule längst angekommene „multikulturelle Gemeinschaft“ als Lebens- und Lernwelt der Kinder verstehen. Diese „garantiert allen Kindern und Jugendlichen jene kulturellen, zwischenmenschlichen, didaktischen und organisatorischen Bedingungen, die eine volle Entfaltung der eigenen Person, unabhängig von Geschlecht, kultureller Herkunft, Sprache, Religion, politischen Anschauungen sowie persönlichen und sozialen Verhältnissen ermöglichen.“ (Rahmenrichtlinien 2009, S.17)

Die Rahmenrichtlinien regen an:

  • „Unterschiede der Personen und Kulturen als Bereicherung zu sehen“;
  • „dem Anderssein mit Respekt und Offenheit zu begegnen“;
  • sich aktiv „um einen kontinuierlichen Dialog mit den Familien zum gegenseitigen Austausch und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit“ zu bemühen;
  • den Kindern und Jugendlichen einen „auf dem Grundgedanken der Inklusion beruhenden Unterricht“ zu bieten;
  • „Unterschiede der Personen und Kulturen als Bereicherung (zu) verstehen“;
  • „dem Anderssein mit Respekt und Offenheit (zu) begegnen.“

Die Umsetzung der neuen Bildungsziele setzt voraus, dass Kindergärtnerinnen und Lehrkräfte sich mit den neuen Rahmenrichtlinien vertraut machen und deren Herausforderungen annehmen und mittragen. Eine gezieltere Nutzung der vielfältigen kulturellen und sprachlichen Ressourcen wäre schon ein guter Anfang.

Hierzu einige Vorschläge:

  • Schaffung eines sprachenfreundlichen Klimas, das alle Kinder der Einrichtung zur Mehrsprachigkeit anregt;
  • Kontakte mit italienischen oder ladinischen Kindergärten/Schulen, Besuche und gemeinsame Projekte;
  • Einbeziehung der Eltern in die muttersprachliche Bildung von Kindern mit Minderheitssprachen;
  • Verstärkte Elternkontakte und Elterngespräche mit dem Ziel der Klärung von Missverständnissen und des Abbaus von Ängsten und Vorurteilen, die mit der Multikulturalität und Mehrsprachigkeit zusammenhängen;
  • Kompetente Beratung der Eltern zur frühen Mehrsprachigkeit in Familie und Bildungseinrichtungen.

Neue Rahmenrichtlinien brauchen auch eine Veränderung der Rahmenbedingungen.

Hierfür empfehlen sich:

  • Angebote für Teamberatung zur konkreten Umsetzung der interkulturellen und mehrsprachigen Bildung;
  • die Einstellung von italienischsprachigem Kindergarten- und Lehrpersonal;
  • Fortbildung und Qualifizierung der Interkulturellen Mediatorinnen und Mediatoren und Weiterentwicklung des Berufsbildes im Hinblick auf die aktuellen Erfordernisse;
  • quantitative und qualitative Verbesserung des Einsatzes von Interkulturellen Mediatorinnen und Mediatoren;
  • die Qualifizierung von Sprachkindergärtnerinnen für den Bereich der frühen mehrsprachigen Bildung.

Es wurde schon einiges erreicht, aber es gibt noch viel zu tun. Die pädagogischen Fachkräfte in Kindergarten und Schule benötigen ausreichende Unterstützung vonseiten der Führungskräfte und eine laufende Klärung der Reibungspunkte zwischen dem Schulamt, den Direktionen, den einzelnen Schulen und Kindergärten und auch zwischen Einrichtungen und Eltern. Es bedarf eines offenen Dialogs zwischen allen jenen, an die sich Rahmenrichtlinien richten. Gefragt ist optimistisches Engagement von allen Betroffenen und Beteiligten.

Was ist machbar? Vieles, wenn man es mit Ernst Bloch hält: „Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.“

Otto Filtzinger ist Leiter des Instituts für Interkulturelle Pädagogik im Elementarbereich e. V. Mainz und

Dozent an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen.

 

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