Relativ hohe ChancengerechtigkeitBefunde und Analysen zu Südtirols Schulen anhand der Daten der PISA-StudieDie Ergebnisse der groß angelegten Untersuchung der Schülerleistungen PISA sind ein guter Gradmesser, um die Chancengerechtigkeit von Bildungssystemen festzustellen und dadurch vergleichbar zu machen. von
Rudolf Meraner
Zur Bewertung der Chancengerechtigkeit dient in der PISA-Studie der Zusammenhang zwischen den Schülerleistungen und dem sozio-ökonomischen Index der getesteten 15-Jährigen. Die Untersuchung PISA ist dazu geeignet, weil die Zielpopulation durch alle 15-Jährigen, welche eine Schule besuchen, definiert ist. Damit wird die Gesamtheit der Jugendlichen in das Blickfeld genommen.Sozio-ökonomischer Hintergrund Dieser Index umfasst den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Status der Schülerinnen und Schüler. Er wird aus verschiedenen Angaben der 15-Jährigen in Schülerfragebogen herangezogen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Angaben (vgl. OECD 2007b, S. 383):
Schülerleistungen und sozio-ökonomischer Hintergrund Der Zusammenhang zwischen Schülerleistungen und sozio-ökonomischem Hintergrund ist ablesbar, wenn man Gruppen von Schülerinnen und Schülern mit gleichem sozio-ökonomischem Hintergrund bildet und dafür die durchschnittlichen Leistungen errechnet. Wenn man diese Daten in ein Diagramm überträgt, ergibt sich folgendes Bild:
Quelle: OECD 2007a und Bearbeitung für Südtirol ( Franz Hilpold ), Grafik: Maria Teresa Siniscalco Die y-Achse bildet die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler in den Naturwissenschaften ab, wobei der Mittelwert 500 und die Standardabweichung 100 beträgt. Die x-Achse zeigt die Werte des PISA-Index des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Status an. Die rot gezeichnete Linie gilt für den OECD-Raum insgesamt. Sie macht den Zusammenhang zwischen dem sozio-ökonomischen Hintergrund und den Schülerleistungen deutlich. Je niedriger der sozio-ökono-mische Status ist, desto niedriger sind im Durchschnitt die Schülerleistungen. Die Ergebnisse Südtirols sind in der Grafik mit der gelben Linie eingezeichnet. Die blaue Linie zeigt die für Italien geltenden Daten. Die Ergebnisse Südtirols Die Höhe der Gradienten zeigt das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler an. Schülerinnen und Schüler mit einem sozio-ökonomischen Index von -1 erreichen in der Südtiroler Schule etwa 500 Punkte und damit um 50 Punkte mehr als die Schülerinnen und Schüler mit demselben sozio-ökonomischen Status im gesamten OECD-Raum. Schülerinnen und Schüler mit einem sozio-ökonomischen Index von +1 erreichen in der Südtiroler Schule etwa 555 Punkte und damit um gut 20 Punkte mehr als die Schüler/-innen mit demselben sozio-ökonomischen Status im gesamten OECD-Raum. Bei Gleichheit des sozio--ökonomischen und kulturellen Niveaus erweisen sich die Ergebnisse der Südtiroler Schülerinnen und Schüler also insgesamt als höher als jene Italiens und des OECD-Durchschnitts. Die Steigung der Gradienten zeigt das Ausmaß der Leistungsunterschiede an, die auf die sozio-ökono-mischen Faktoren zurückzuführen sind. Steilere Gradienten zeigen einen größeren Einfluss der sozio--ökonomischen Faktoren auf die Leistungen an und umgekehrt. Die schwächere Steigung der Gradienten zeigt also, dass in der Südtiroler Schule die sozio-ökonomischen Faktoren weniger zu Buche schlagen und eine größere Ausgewogenheit herrscht. Die Krümmung zeigt an, ob der Anstieg in den Ergebnissen konstant ist. Die sozio-ökonomische Gradiente von Südtirol ist leicht gekrümmt, und die Gradiente ist steiler in Verbindung mit niedrigeren sozio-ökonomischen Niveaus. Die Länge der Gradienten zeigt den Grad der Streuung der Schülerpopulation hinsichtlich ihres sozio--ökonomischen Hintergrunds an. Es zeigt sich, dass die Südtiroler Schülerinnen und Schüler einen homogeneren Hintergrund haben als der Durchschnitt von Italien und als jener des OECD-Bereichs. In Südtirol gibt es weniger Schülerinnen und Schüler mit einem sehr niedrigen und auch etwas weniger Schülerinnen und Schüler mit einem sehr hohen sozio-ökonomischen Status. In der deutschen Schule in Südtirol sind nur 7,3 % der Unterschiede der Schülerleistungen auf den sozio-ökonomischen Hintergrund zurückzuführen. Damit erreicht sie eine sehr hohe Chancengerechtig-keit, vergleichbar mit jener Finnlands, Kanadas, Islands und Norwegens. In Österreich sind 15,4 % der Leistungsunterschiede auf den sozio-ökonomischen Hintergrund zurückzuführen. In der Schweiz sind es 15,7 %. Deutschland und Frankreich weisen mit 19 % bzw. 21,2% die höchsten Werte innerhalb der OECD-Staaten auf und liegen damit deutlich über dem OECD-Durchschnitt (14,4 %). Zusammenfassend kann man für Südtirols Schule feststellen: Die Chancengerechtigkeit ist in der Schule in Südtirol größer als im OECD-Durchschnitt und vor allem größer als in den anderen deutschsprachigen Gebieten. Ein Südtiroler Schüler mit einem schwachen sozio-ökonomischen Hintergrund erreicht wesent-lich bessere Ergebnisse als ein Schüler mit gleichem sozio-ökonomischem Hintergrund in Österreich, Deutschland oder Italien. Es gelingt also besser, diese Schülerinnen und Schüler zu einem angemesse-nen Bildungserfolg zu führen. Gleichzeitig sind keine Einbußen bei den Schülerinnen und Schülern mit hohem Sozialstatus festzustellen. Hier ist der Unterschied zwischen Schülerinnen und Schülern mit gleichem sozio-ökonomischen Hindergrund in anderen Ländern nicht so groß wie bei den schwächer gestellten Schichten, die Schülerleistungen sind aber immer noch höher als in den zum Vergleich heran-gezogenen Ländern. Erklärungsansätze Die Schülerleistungsstudie PISA kann uns den Zusammenhang aufzeigen, kann aber nicht die Ursachen ausmachen. Um Ursachen und Wirkungen ausfindig zu machen, muss man die Bildungssysteme gut kennen. Ursachen für die größere Chancengerechtigkeit des Südtiroler Schulwesens können sein:
Abschließende Bemerkungen Die deutsche Schule in Südtirol hat gezeigt, dass es möglich ist, die soziale Selektion der Bildungs-systeme in Grenzen zu halten, dass es möglich ist, die Schülerinnen und Schüler aus sozial benach-teiligten Schichten zu fördern, ohne Einbußen bei den leistungsstärkeren Schülern und Schülerinnen in Kauf zu nehmen und dass es insgesamt möglich ist, zugleich hohe Chancengerechtigkeit und hohe Leistungen zu erreichen. Dies sollte – meiner Meinung nach – das wichtigste bildungspolitische Ziel für alle Bildungssysteme sein. Die EU-Kommission sieht in ihrem neuesten grundlegenden Dokument „Bessere Kompetenzen für das 21. Jahrhundert“ das Ziel „die Gerechtigkeit der Systeme fördern“ als eines der wichtigsten Ziele für die Weiterentwicklung des Bildungswesens an. Literatur EU-Kommission: Bessere Kompetenzen für das 21. Jahrhundert: eine Agenda für die europäische Zusammenarbeit im Schulwesen. KOM (2008) 425 endgültig. Brüssel: 3. Juli 2008 Meraner Rudolf: Schule muss nicht die soziale Selektion fördern. In: Erziehung und Unterricht 158 (2008), H. 7-8, S. 607-615 OECD (2007a): Science competencies for tomorrow's world. Vol. 1: Analysis. Vol: 2 Data. Paris : OECD 2007 OECD (2007b): PISA 200 6 – Schülerleistungen im internationalen Vergleich. Naturwissenschaftliche Kompetenzen für die Welt von morgen. Paris: OECD 2007 Siniscalco, Maria Teresa (Hrsg.): Das Kompetenzniveau der Fünfzehnjährigen im Bereich der Naturwissenschaft, des Lesens und der Mathematik. PISA 2006. Ergebnisse Südtirols. Bozen: Pädagogisches Institut (in Druck)
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