Bildung gegen Armut

Mein Vater hegte einst große Genugtuung darüber, dass er den elterlichen Hof nach dem Krieg wider Erwarten doch noch durchgebracht hatte, und er hoffte sehr, diesen einmal jemand von seinen Kindern übergeben zu können.

Meine Geschwister und ich wuchsen in kargen Verhältnissen auf. Wenn sich in der Familie Zuwachs einstellte, war dies immer ein wichtiges Ereignis. Wir Kinder erlebten Geborgenheit, waren willkommene Arbeitskräfte und hatten dann bald andere, durchwegs eigene Vorstellungen vom Leben. Vaters Geld reichte nicht für unsere Ausbildung. So ließ er uns einfach gewähren, zeigte sich aber stolz auf Bildungserfolge, wenn ihn unser Dorflehrer Oswald darauf ansprach. Wir haben uns früh auf die eigenen Beine gestellt.

Nach der Mittelschule besuchte ich die Lehrerbildungsanstalt. Mit einem möglichst guten Notendurch-schnitt erhielt man ein Stipendium, so konnte man sich zum Teil durchbringen. Im Sommer verdiente ich das Geld, das ich fürs Studium im Winter noch selber drauflegen musste. Darüber, es selbst zu schaffen, freute ich mich aber nicht minder als mein Vater über den Erhalt unseres Bergbauernhofes.

Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. An die Stelle der Agrar- ist die Dienstleistungsgesellschaft getreten.Die Rate der Akademiker/innen steigt kontinuierlich an. Südtirols Bildungslandschaft kann sich sehen lassen. Lehrkräfte gestehen den Schülerinnen und Schülern – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – Bildungs- und Entwicklungschancen zu und zeigen sich sensibel für Anliegen der schulischen Förderung und Integration.

In vielen europäischen Ländern wird, gemessen am Bruttosozialprodukt, für Bildung und Ausbildung wenig getan. Die Ausgaben dafür werden vielfach als Kostenfaktor, zu wenig als sinnvolle Investition betrachtet. In Südtirol sah es – zumindest bisher – etwas anders aus. Die Wege des sozialen Aufstiegs durch Bildung und Ausbildung für heutige Jugendliche schienen geebnet. Gilt das - immer noch?

Immer öfter wird die Gefahr einer wachsenden Zweiteilung der wirtschaftlichen und sozialen Situation angesprochen, die sich verstärkt auf die nachkommende Generation auszuwirken droht. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns wachgerüttelt. Mit Sorge schauen wir auf prekäre Dienstverhältnisse und das Ansteigen von Arbeitslosigkeit. Mit Wucht trifft die neue Armut besonders ältere Menschen, und zunehmend wird es für Familien schwieriger, die steigenden Lebenshaltungskosten aufzubringen.

Auch Kinder und Jugendliche sind mit Armut, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung konfrontiert. Armut ist nämlich nicht allein auf der monetären Ebene abzuhandeln; sie muss neben der materiellen auch in ihrer soziokulturellen Dimension erfasst werden. Armut hat Auswirkungen auf die gesamte Lebenslage. Armut führt zu Verunsicherung, zu Demoralisierung und Selbstentwertung. Es gibt den Teufelskreis der Armut, in dem sich zeigt, dass Armut und Verhalten in Wechselwirkung stehen.

2010 wurde als europäisches Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen. Armut wurde und wird gerne als vermeidbar angesehen. Ist sie das?

Auch Bildung hat diesbezüglich große Bedeutung. Vertreter/innen aus Politik, Wirtschaft und Sozialem haben sich kürzlich zur ersten Runde der Sozialgespräche 2010 getroffen: „Quo vadis“ Südtiroler Sozialsystem?

 

Maria Vötter, Redakteurin

frei heraus

gesagt