Grammatik verstehen

„Der Konjunktiv ist der Feind des Verlierers: hätte, hätte, hätte!“ So hat sich der frühere deutsche National-torhüter Jens Lehmann auf die Frage, was man hätte besser machen können, Luft gemacht. Und die Äußerung stand nicht nur in der Bild-Zeitung, sondern sie ist auch in einer Grammatik nachzulesen, die letzten Sommer erschienen ist.

von Franz Lanthaler

 

 

Nun fragt sich, wer kein besonderes Verhältnis zur Sprache hat, wozu es noch eine weitere Grammatik braucht. Ich hab ein Dutzend davon im Regal stehen, aber keine hat mich so fasziniert wie das neue dreibändige Werk von Wolfgang Boettcher mit dem Titel „Grammatik verstehen". Die andern brauche ich zum Nachschlagen, diese lese ich: abschnittweise, in Happen, aus Neugier. Und bei der Lektüre merkt man erst, warum Sprachbücher so langweilig und warum vor allem der Grammatikunterricht so nervtötend sein kann und den Kindern sowohl die Neugier auf Sprache als auch die Lust an Sprache austreibt: hier wird die Systematik vorgegeben, anstatt sie uns entdecken zu lassen.

 

Etwas finden oder etwas verstehen ist immer mit einem Glücksgefühl verbunden, das gilt für die Erforschung der Sprache genauso wie für die Mineraliensuche. Wer Wolfgang Boettchers Grammatik liest, begibt sich auf eine spannende Entdeckungsreise durch drei Kontinente der deutschen Sprache: das Wort, den einfachen Satz, den komplexen Satz. Hier wird die Struktur der Sprache nicht einfach als eine Anhäufung von Regeln und Normen betrachtet, die uns sagen sollen, was wir dürfen und was nicht, sondern sie wird gezeigt als ein enormes Potenzial im Humboldtschen Sinne, das keine noch so umfangreiche Normbeschreibung auch nur annähernd darstellen könnte. Sprachlehrer/innen, denen die Faszination an diesem wunderbaren Gebilde abhanden zu kommen droht, können sich hier neue Impulse holen – oder zu Mathematik und Geografie wechseln.

Gängige Schulgrammatiken sind gespickt mit konstruierten Beispielen, die im alltäglichen Sprachgebrauch gar nicht vorkommen. Boettcher bringt „echte“ Beispiele. Ich könnte mir keinen besseren Anlass vorstellen, über trennbare und nicht trennbare Verben und ihre Betonung zu sprechen, als das folgende Beispiel von Robert Gernhardt: „ Ein Männlein steht im Walde / ganz still und stumm. / Wenn ich es nicht umfahre, / dann fahre ich es um. Oder anhand der Werbung für das König Pilsener über Genus-Besonderheiten zu sprechen: Das König der Biere . Die immer wieder eingebauten „grammatischen Leckerbissen", wie der Autor sie nennt, regen zum Nachdenken über das Hintergründige in der Sprache an, so z. B. dieser Text von Liselotte Rauner: Mein Arbeitsplatz / ist nicht mein Arbeitsplatz / denn mein / ist ein besitzanzeigendes Fürwort .

Auf der Homepage des Niemeyer Verlages werden zusätzliche Übungen mit Lösung angeboten: www.niemeyer.de/boettchergrammatik .

 

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