JUNGEN UND SCHULEFrontalunterricht kann leicht zur Bühne für Selbstinszenierung werden Wird im Kontext Schule über Jungen gesprochen, dann tauchen oftmals dieselben Themen auf. Jungs stören den Unterricht, Jungs sind laut, Jungs können nicht ruhig sitzen, Jungs ärgern andere Schüler und Schülerinnen – kurzum Jungs machen Probleme. In der medialen Berichterstattung tauchen die Jungen hingegen oft als Benachteiligte in der heutigen Gesellschaft auf. Die Jungen werden dabei als „Bildungsverlierer“ bezeichnet oder es wird gar von der „Jungenkatastrophe“ gesprochen. von Armin Bernhard Den beiden eingangs erwähnten Sichtweisen ist gemein, dass sie Jungen als homogene Gruppe begreifen und dabei die Differenz innerhalb der Jungen aus dem Blick verlieren. Die Einführung der Koedukativen Schule verfolgte unter anderem das Ziel, die Bildungsbenachteiligung von Mädchen aufzuheben. Bis dorthin hatten weniger Mädchen Zugang zur Bildung und die Trennung von Jungenschulen und Mädchenschulen brachte mit sich, dass die Jungenschulen als die anspruchsvolleren Schulen galten und die Jungen ihr Selbstbild als die Überlegeneren aufrechterhalten konnten. In der koedukativen Schule gerät diese Vorstellung in Konflikt mit der Realität. Ihr Bild von Männlichkeit, vom Mann als Held kommt in Bedrängnis. Werden in pädagogischen Diskussionen die schulischen Leistungen von Jungen thematisiert und dabei besonders das schlechtere Abschneiden und die höhere Abbruchquote von Jungen, so taucht meist das Argument der Frauenschule auf: die Erziehung ist weiblich, die Frauenschule schadet den Jungen, den Jungen fehlt das männliche Gegenüber. Dabei gehen oftmals wertvolle Differenzierungen verloren.
Ist Mann, was Frau nicht ist? Es stimmt, dass die Erziehung weiblich ist. Jungen begegnen in ihrer Kindheit wenig männlicher Präsenz. Diese Erfahrungen sind aber nötig, um sich ein realistisches Bild von Männlichkeiten zu machen. Ein realistisches Bild mit all ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Freuden und Unzulänglichkeiten, ihren offenen Fragen und alltäglichen Nöten und Bedürfnissen. Bei Jungen entsteht oftmals ein einseitiges Männerbild, das noch gestützt wird durch mediale Bilder, welche den Mann als stark und überlegen präsentieren. Dies führt zu einer Idolisierung von Männlichkeit und in der Abgrenzung zum Weiblichen zu einer Abwertung desselben, zu einer Abwertung des angeblich Schwachen, der Gefühle. Jungen begegnen wie zu Hause ebenso wie im Kindergarten und in der Schule großteils Frauen, welche sich um sie kümmern. Dies führt dazu, dass sich Jungen an „nicht Mann sein“ orientieren, in der Abgrenzung zu „Frau sein“; Mann ist, was Frau nicht ist.
Vielfalt innerhalb der Geschlechtergruppe Genauso wenig, wie es die Jungen gibt, gibt es auch nicht die Lehrerinnen. In der Schule gibt es auch viele Jungen, welche mit den Anforderungen und den Erwartungen der Institution gut zurechtkommen. Auch die Gruppe der Lehrerinnen ist in sich sehr heterogen. Das Denken in engen Geschlechterkategorien versperrt uns den Blick für die Vielfalt, denn „die Unterschiede innerhalb einer Geschlechtergruppe sind größer als zwischen den Geschlechtern“ (Hagemann-White, 1984). Es ist wichtig, dass Jungen auch im pädagogischen Alltag Männern begegnen, doch ist das Geschlecht dabei nicht Qualifikation genug, wie es auch nicht sinnvoll ist, die pädagogische Arbeit von Frauen abzuwerten, weil sie Frauen sind. Jungen entwickeln sich körperlich langsamer als Mädchen und kommen auch später in die Pubertät. Dabei besuchen sie das Bildungssystem Schule meist mit gleichaltrigen Mädchen und sind somit oft mit der Situation konfrontiert, den Mädchen „hinterher“ zu sein. Mit dem in der Gesellschaft in den letzten Jahren gestiegenen Leistungs- und Bildungsdruck sind einige Jungen überfordert und machen die Erfahrung, den Mädchen unterlegen zu sein. Und dies, gepaart nun mit dem Anspruch von Männlichkeit und einem Männerbild vom starken Held, vom Sieger, bringt diese Jungen in eine unterlegene Position, aus der sie auszubrechen versuchen, die sie bewältigen, indem sie in ihrer Geschlechtszugehörigkeit Sicherheit suchen. Sie greifen auf „traditionelle männliche Verhaltensweisen“ zurück, um ihren Selbstwert wieder herzustellen. Bewältigungsfalle Pubertät Lothar Böhnisch spricht von Bewältigungsfallen von Jungen. Eine davon ist jene Zeit in der Schule, in der die Jungen bemerken, dass die Mädchen früher in die Pubertät kommen, sich meist für ältere Jungen interessieren und sie selbst nicht beachtet werden: „So machen viele von ihnen die Erfahrung, dass gleichaltrige, nun schon ‚fraulich’ erscheinende und sich entsprechend mental und körperlich gebende Mädchen sich von den ‚grünen’ gleichaltrigen Jungen abwenden und für ältere Jungen schwärmen. Dies kann bei den Jungen zu erheblichen Selbstwert- und Anerkennungsstörungen, zu Hilflosigkeit führen, die sie dann oft sexistisch und pornografisch abspalten. Die erlittene Demütigung durch die Mädchen wird durch sexistische Inszenierungen kompensiert. (…) So kann – je nach bisherigen Bewältigungserfahrungen des Jungeseins – die Spannung von Idolisierung des Männlichen und Abwertung des Weiblichen wieder neu aufbrechen.“ Jungs werten Mädchen ab, um ihr männliches Selbstbild aufrecht zu erhalten. Es ist wichtig, jemand besonderes zu sein Für Jungen, welche in schulischen Fächern keine guten Leistungen erzielen, bietet die Schule wenig alternative Anerkennungsmöglichkeiten. Ein Ort der Anerkennung ist der Sport. Einen anderen Ort der Anerkennung bieten die Gleichaltrigen. Kinder und Jugendliche verbrachten noch nie so viel Zeit wie heute in der Gleichaltrigenkultur. Diese nehmen dabei in der Welt der Kinder eine zentrale Rolle ein. Jungen bekommen Anerkennung und Wertschätzung von den Gleichaltrigen, indem sie sich „jungenhaft“ verhalten. Dabei ist es wichtig, jemand Besonderes zu sein. Jungen begeben sich in die Rolle des Klassenclowns oder sie erhalten ihre Sonderrolle, indem sie sich „auffällig“ verhalten. Dabei ist dies für Jungen immer auch eine Gratwanderung, denn schlussendlich ist es die Lehrperson, welche ein Verhalten als problematisch definiert oder nicht. Frontalunterricht ist dabei eher gefährdet, „gestört“ zu werden und eine Bühne für Selbstinszenierungen zu bieten. Alternative Anerkennungswege Jürgen Budde schreibt von einem Passungsproblem zwischen einigen Jungen und Schule. „Besondere Bildungsrisiken tragen diejenigen Jungen (und Mädchen), deren (milieu- und genderbezogener) Habitus in Konflikt zur jeweiligen Schulkultur steht“ (Budde, 2009). Benachteiligte Jungen nehmen einen traditionellen männlichen Habitus an. Diesem Habitus wird in der gesellschaftlichen Bewertung Erfolg und Macht zugeschrieben und die Jungen wollen an dieser Macht partizipieren. Diese Werte wie Durchsetzungsfähigkeit, Stärke, Konkurrenz werden zwar zum Teil in der Schule sanktioniert, in der Gesellschaft aber vielfach belohnt. So ergibt sich ein Passungsproblem zwischen der herrschenden Schulkultur und dem von den Jungen gelebten männlichen Habitus. Die fehlende Anerkennung durch schulische Misserfolge gleichen die Jungen aus durch Anerkennung unter der Gruppe der Gleichaltrigen, durch das Sammeln von „sozialem Kapital“ bzw. durch Kompetenzen im nichtformalen Bereich wie zum Beispiel den Computerspielen. Diese alternativen Anerkennungswege stärken das Selbstbild und den Selbstwert dieser Jungen. Für die Schule ergeben sich unter anderem folgende Möglichkeiten:
Schule kann dabei vermehrt in Kooperation mit anderen Trägern treten, um Jungs zu begleiten. Die Kinder- und Jugendarbeit zum Beispiel verfügt über vielfältiges Theorie- und Praxiswissen zu Jungenarbeit und führt auch in Südtirol schon seit mehreren Jahren Projekte mit Jungen durch. Bibliographie Böhnisch, Lothar (2008): Stationen männlicher Sozialisation: „Bewältigungsfallen“ im Aufwachsen von Jungen. In: Amt für Jugendarbeit (Hrsg.): Tagungsdokumentation Geschlechter(bilder) im Bildungs- und Sozialbereich. Bozen Budde, Jürgen (2009): Jungenforschung empirisch. Zwischen Schule, männlichem Habitus und Peerkultur. WiesbadenHagemann, White, Carol (1984): Sozialisation weiblich-männlich? Opladen Winter, Reinhard/ Neubauer, Gunther (2001): Dies und das. Das Variablenmodell „balanciertes Junge- und Mannsein“ als Grundlage für die pädagogische Arbeit mit Jungen. Tübingen
|
THEMA
|
---|