Richtige Männer!

 

Vor Jahren sang Stefanie Weger mit einem gerüttelten Maß an Ironie:

Wir brauchen Männer - richtige Männer,
Männer mit Geist und Sexappeal.
Keine Chaoten, keine Machos, keine Penner -
wir brauchen Männer mit Profil
und viel Gefühl.

Die einen haben Angst vor Frau`n
die andern hängen dran wie Kletten,
manche versäumen sich nächtelang
in hundert fremden Betten.

Wer hat die Kerle so kaputtgemacht,
waren`s am Ende wir Frau`n?
Hab`n wir sie zu lange unterdrückt
oder zu oft verhau`n?

Sollten die Männer kaputt sein, sind die Frauen daran schuld: Die entscheidenden Jahre in der Entwick-lung eines Menschen sind die ersten Jahre seines Lebens – und die sind weiblich geprägt! Nach wie vor gibt es kaum Männer, die Elternzeit nehmen, in Kindertagesstätten sind ebenso wie in den Kindergärten fast ausschließlich weibliche Betreuerinnen zu finden. Auch in der Grundschule ist der Befund ein ähnlicher.

Inzwischen lege ich jede Ironie ab, denn einige Untersuchungen sprechen nun tatsächlich von großen Auswirkungen dieser (übrigens weltweit anzutreffenden) Realitäten. Ob die Unterrepräsentierung der Männer in den Bildungseinrichtungen des Kindergartens und der Pflichtschule auf die männliche Sozia-lisation gravierende negative Auswirkungen hat, ist vielleicht (noch) umstritten. Lothar Böhnisch spricht in seinem Beitrag von Bewältigungsfallen, Armin Bernhard greift die Passungsprobleme von Jungen in der Schule auf und verweist auf alternative Anerkennungswege.

Die Gesellschaft im Allgemeinen und Lehrer/innen im Besonderen  bevorzugen und belohnen bestimm-te Verhaltensmuster: Ruhig, konzentriert, folgsam, diszipliniert. Brave und beliebte Schüler/innen haben gute kognitive Leistungen, sind nicht aufmüpfig, vermeiden Konfrontation und zu große Körper-lichkeit. Sie sitzen still, hören zu und haben keine Eintragungen.

Unbeliebt macht sich, wer rauft, schubst und beispielsweise an Literatur uninteressiert ist. Großer Bewegungsdrang führt zu Disziplinproblemen, fällt auf und endet in Eintragungen. Solche Schüler sind meist gut in Leibeserziehung, was aber leider wenig zählt. Eine 9 in Italienisch oder Biologie ist etwas Reelles, aber in Turnen?

Sie merken, worauf das hinausläuft: Das eine gilt als typisch weiblich, das andere als typisch männlich. Bevorzugt unser Schulsystem Mädchen? Statistisch gesehen haben Mädchen bessere Noten, weniger Disziplinprobleme, niedrigere Drop-Out-Raten, „fliegen“ weniger oft…

Sie merken aber auch, wie fragwürdig dieser Gedankengang ist. Vorurteile mischen sich mit eingefah-renen Geschlechterbildern und Rollenzuschreibungen. Außerdem mag es zwar sein, dass Mädchen besser in der Schule sind und häufiger ein Universitätsstudium abschließen. Die männliche Dominanz in fast allen Bereichen der Gesellschaft, vor allem in Führungspositionen ist aber nach wie vor ungebro-chen. Beruflicher Erfolg hängt also nicht nur von guten schulischen Leistungen ab. Die in der Türkei im November 2010 unter fragwürdigen Umständen zu lebenslanger Haft verurteilte Soziologin Pinar Selek untersucht die Bildung männlicher Identitäten ihres Heimatlandes in der Studie „Zum Mann gehätschelt – zum Mann gedrillt“. Als echter Mann gilt dort nur, wer eine Reihe von ritualisierten Wendepunkten absolviert hat: Beschneidung, Heirat, Antreten einer Arbeit und v. a. Militär.

Soweit ist unsere eigene Gesellschaft davon nicht entfernt. Als ehemaliger Zivildiener weiß ich, wovon ich spreche.
 
 

Johannes Kofler

Chefredakteur

 

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