Falsche und gefährliche Entwicklung

Problematische Rahmenbedingungen für politische Bildung

Politische Bildung kann nur funktionieren, wenn alle menschlichen Ressourcen, ökonomischen Mittel und didaktischen Voraussetzungen garantiert werden.

von Piero Di Benedetto

 

 

Der heutigen Jugend wird von verschiedenen Seiten Politikverdrossenheit, mangelndes Demokratie-verständnis und Gleichgültigkeit für öffentliche Belange attestiert. Auf die umfangreiche Frage, ob es sich hierbei um eine wahrheitsgetreue Analyse oder doch eher um Aussagen im Zusammenhang mit einem konstanten Generationskonflikt handelt, kann nicht näher eingegangen werden.

Fest steht jedoch, dass nicht nur das politische Engagement der jungen Generationen, sondern jenes der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung bei verschiedenen Wahlen gesunken ist: Die offiziellen Daten zu den Wahlbeteiligungen stützen diese Feststellung. In diesem Zusammenhang stellt die mutmaßliche Politikverdrossenheit der jüngeren Bürger somit das Abbild einer demokratiegefährdenden Gesamtentwicklung innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen dar.

Jugend als Hoffnungsträger

Nichts desto trotz, oder gerade deshalb, sollen der Jugend in Zukunft eine Reihe von zusätzlichen Verantwortungsbereichen übereignet werden. Rechte, die typischerweise mit der Volljährigkeit einher-gehen, werden demnach immer früher erlangt. Als Beispiel sei die Senkung des Wahlalters, insbeson-dere auf kommunaler Ebene, angeführt. Hier stellt sich die Frage, wie junge Bürger mit diesen neuen Herausforderungen, bei zwar gegebener, aber manchmal recht eingeschränkter politischer Vorberei-tung zu Recht kommen sollen.

Der Jugend muss zweifelsohne die diesem Alter ureigenste Fähigkeit zum Lernen angerechnet werden. Dadurch avanciert gerade diese Bevölkerungsschicht zum Hoffnungsträger für die anzustrebende Kehrtwende in der politischen Beteiligung. Noch größere Bedeutung wird somit in Zukunft die politische Bildung an unseren Schulen erhalten. Diese wurde in Zusammenhang mit der heftig diskutierten Oberstufenreform öfters in den Mittelpunkt der Debatte gestellt.

Besondere Südtiroler Situation

Insbesondere auf Landesebene wurde klar gemacht, dass es wichtig und notwendig sei, junge Bürger mit der Besonderheit der Südtiroler Situation, den rechtlichen Voraussetzungen unserer Autonomie und der zukünftigen Entwicklung derselben zu konfrontieren. Sogar der Ruf nach einem eigenen Fach zur Autonomie Südtirols in allen Südtiroler Schulen wurde im Landtag laut, woraufhin ein diesbezüglicher Grundsatzbeschluss gefasst wurde. Wohl auch deshalb konnte in den meisten staatlichen Oberschulen Südtirols die Eliminierung der politischen Bildung im Rahmen des Fachs Rechts- und Wirtschaftskunde, wie auf Staatsebene geschehen, weitgehend verhindert werden. Trotz all dieser guten Vorsätze wurden in der konkreten Umsetzung der Reform, insbesondere in den allgemein bildenden Gymnasien (z.B. im traditionellen Realgymnasium und den Kunstgymnasien) sowie in den Triennien einiger Fachoberschu-len, trotzdem Rechtskundestunden und somit Stunden für die politische Bildung eingespart.

Es stellt sich die Frage, wie die politische Bildung aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen in Zukunft aussehen soll? Ebenso ist zu klären, in welchen Fächern die notwendigen Kompetenzen vermittelt werden, damit unsere Jugend für zukünftige Herausforderungen politischer Beteiligung gewappnet ist.

Erfolge

In der bisherigen Schullandschaft oblag dem Fach Rechts- und Wirtschaftskunde ein Großteil der rechtlichen, volkswirtschaftlichen und politischen Bildung unserer Jugend. In allen Biennien der Ober-schulen wurden diese Kompetenzen als allgemein bildender Teilbereich unterrichtet. Der Erfolg dieses Konzepts lässt sich u. a. dadurch feststellen, dass die Wahlbeteiligung junger Bürger in Südtirol ver-hältnismäßig höher ist als in benachbarten Regionen. Das politische Interesse ist durchaus vorhanden, wenn man bedenkt, dass sich unsere Jugendlichen organisieren und sich sehr wohl zu bestimmten Themen zu Wort melden. Als praktisches Beispiel für das politische Engagement und die Beliebtheit von Rechts- und Wirtschaftskunde unter den Oberschülern sei eine Facebook-Aktion angeführt, welche aus Anlass der Kürzungen des Faches durch die Oberstufenreform ins Leben gerufen wurde. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich ca. 750 junge User dafür ausgesprochen, dass das Fach beibehalten werden müsse.

Es ist also offensichtlich, dass die Schülerschaft selbst die politische Ausbildung in der zukünftigen Schule fordert. Wohl auch deshalb, da sich die jungen Menschen ihrer wachsenden gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind. Zumindest eines der Ziele der politischer Bildung wurde somit erreicht.

Notwendige Werkzeuge

Die trotzdem erfolgten Kürzungen des Stundenkontingents in Rechts- und Wirtschaftskunde stellen somit eine falsche und gefährliche Entwicklung dar. Einige rechtfertigen diese damit, dass die Schüler auch in anderen Fächern, insbesondere in Geschichte, politisch gebildet würden. Dem Fach Geschichte kann man attestieren, dass es mit Schwerpunkt auf historische Ereignisse einen Teil der politischen Bildung erbringt. Es schafft die geschichtlichen Kenntnisse, auf welche im Rechtskundeunterricht aufgebaut wird. Der historische Blickwinkel alleine reicht aber nicht aus, um den jungen Bürgern einen realistischen Zugang zu politischen Themen zu verschaffen. Um zu verstehen, worum es sich bei der politischen Bildung tatsächlich handelt und welche Inhalte zu vermitteln sind, kann es hilfreich sein sich an der universitären Bildung zu orientieren. Das Studium der Politikwissenschaften zeichnet sich durch eine Reihe von fächerübergreifenden Angeboten aus, in welchen die juridischen und wirtschaftlichen Aspekte vorrangig gelehrt werden. Auch hier zeigt sich also, dass ein rein historischer Zugang nicht ausreicht.

Den unerlässlichen juridischen Ansatz, die wirtschaftlichen und politischen Verknüpfungen können nur in einem eigens dafür konzipierten Rechtskundeunterricht vermittelt werden. Diese Behauptung sei an-hand eines Beispiels untermauert. Im Fach Geschichte wird kompetent die historische Komponente zum Autonomiestatut Südtirols gelehrt. Die Rechtskunde wird ihnen aber auch in Zukunft das notwendige Werkzeug zur Verfügung stellen, um die rechtlichen und politischen Instrumente des Statuts, wie z.B. die Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse, zu verstehen.

Ob es der Südtiroler Schule gelingen wird, trotz neuer und erschwerter Rahmenbedingungen sowie wachsender Ansprüche dem Auftrag einer funktionierenden politischen Bildung nachzukommen, hängt nicht nur von der Kompetenz der Lehrpersonen und der Lernbereitschaft der Schüler ab. Es wird auch darauf ankommen, ob in Zukunft die notwendigen menschlichen Ressourcen und pädagogische und ökonomische Mittel zur Verfügung gestellt werden.

 

Dis-

kus-

sion