Humor der Unterdrückten

Überlegungen zum "ethnischen Humor"

 

Ich gehöre zu den Leuten, die sich Witze nie merken können, daher übe ich mich hier in einer etwas fragmentarischen Niederschrift eines Witzes, den ich im Februar 1990 im postrevolutionären Rumänien gehört habe.

von Elisabeth Tauber

Der Witz und der Lacher sind nur aus dem damaligen Kontext der Diktatur und der Armut überhaupt verstehbar. Dies erklärt die Ironie der oft in machtloser und daher notsolidarischer Beziehung zueinander stehenden Menschen, in diesem Fall Rumänen, Deutsche, Ungarn, Juden und Roma. 

Der Witz beginnt mit einem Mann an einer Straßenecke, der aufwändig seine Goldzähne mit einem Taschenbuch putzt … Goldzähne zu Ceausescus Zeiten! …Der Mann ist Zigeuner (sie waren zu Ceausescus Zeiten dafür bekannt, sämtliche restriktiven Auflagen der Diktatur mit großer Gelassenheit zu durchbrechen), derjenige, der mit ihm spricht, ist wahrscheinlich Rumäne, der nie so schlau sein wird wie der Zigeuner! –

Letzteres ist in meiner Erinnerung eine der Aussagen des Witzes. Aber mehr als das spielt die Atmosphäre eine Rolle: Hier bot die Pointe ein verstecktes Moment der Befreiung. Um in diesem mörderischen System zu überleben, wurden die Witze bissig und böse.  Sie boten sich als Ventil für den Druck an, der durch die berüchtigte rumänische Geheimpolizei aufgebaut wurde. Meine Freunde in Rumänien sagten mir, dass die Witze schon zwei Monate nach dem Sturz des Diktators nicht mehr die gleiche Schärfe hatten wie noch zu Ceausescus Zeiten.Für das Verstehen dieses Witzes und seines sozialen Kontextes ist auch die Beobachtung der Anthropologin Mary Douglas wichtig, die den Witz als „Anti-Ritual“ bezeichnet, dessen humorvolle Verbindung Hierarchien auflöst und die Ordnung zerstört. In diesem Fall ist der wahre Held des Witzes – obwohl von Rumänen erzählt – der Zigeuner.Ethnische Witze spitzen die Ethnizität der Witzfiguren zu und spielen die Zentren und Randzonen ethnischer Identitäten aus. Gleichzeitig unterstreichen sie die in-group Bindung. Gerade weil ethnische Grenzen oft herausgefordert werden, sind die komischen Grenzen die, die am beweglichsten und am schnellsten veränderbar sind. Die Gemeinschaften der Lacher lachen zuerst auf Kosten der Außenseiter, können aber im Witz den Außenseiter sehr schnell umformen und integrieren, um dann andere Ziele anzupeilen. 

 

Humor als Spiegelung

Lachen ist universell. Die Frage „Kennst du den Witz über…?“  schafft die Idee eines geschlossenen Raumes, nämlich den der Welt des gemeinsamen Lachens. Lachen spielt eine signifikante Rolle in jeder sozialen Interaktion. Mitlachen kann aber nur, wer den sozialen Kontext kennt. Auch wenn Humor und Lachen universelle Phänomene sind, so lachen doch nicht alle Menschen über die gleichen Dinge. Daher können wir auch sagen, dass die Gemeinschaft der Lacher an sich ein ethnisierendes Phänomen darstellt, da wir im gemeinsamen Lachen ein Wir-Gefühl entwickeln. Der soziale Raum des Humors lässt sich nach variablen Kriterien sortieren: Sprache (Dialekte), Geschlecht, Macht, öffentlich-privater Raum,  Minderheiten. Wo wird wann vom wem wie gelacht? Der „ethnische Humor“ spielt eine wichtige Rolle in der Konstruktion von Gruppenidentitäten und Solidaritäten.  Es gibt auch humorlose soziale Strukturen, die unterbinden dann auch von außen kommendes humorvolles Agieren. Das betrifft Immigranten und Außenseiter.

Der ethnische Humor kann gesehen werden als:

 

Bitte lesen Sie weiter in unserem Heft!

THEMA

 

 

 

+