Gratwanderungen

Das Gesicht, das man sich macht

 

Humor im Klassenzimmer ist eine Sublimierung und Bereicherung für alle – wenn er gelingt. Denn Humor ist vielseitig und vor allem auch heilsam.

 

Flow-Gefühl

Flow ist ein in der Psychologie entwickelter Begriff und beschreibt das Ineinanderfließen, das harmonische Zusammenspiel von Ich und Tätigkeit, das Erreichen des Gefühls, in seiner Tätigkeit „richtig“ zu sein.

Ich komme aus der Klasse und weiß: Das war eine gute Stunde, ich bin zufrieden, ich habe das Gefühl, das hat wirklich was gebracht; die Atmosphäre war entspannt, die Kommunikation verlief reibungslos, die Schüler waren mit echtem Interesse dabei. Wenn ich darüber nachdenke, was das Entscheidende dabei war, dann merke ich: Wir waren alle gut drauf. Das klingt nun salopp (und Sie verzeihen mir den umgangssprachlichen Ausdruck) und eigentlich meine ich nicht eine lässige Haltung ohne Ernst und gespickt mit inhaltslosen Witzeleien, sondern eine Heiterkeit, die tiefer greift, eine gute Laune, die nichts mit den täglichen Launen zu tun hat, eine bejahende Haltung, die sich – in Wechselwirkung zwischen Schülern und Lehrperson – zu einem kollektiven Wohlbefinden steigert und zu einer positiven Energie verdichtet. Meine Haltung kann sich auf die Schüler/innen übertragen, ihre Laune sich auf mich. Im positiven wie im negativen Sinn. Im Bewusstsein dessen kann ich mich bemühen, einmal tief durchzuatmen und mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ oder „Grüß Gott“ ein positives Vorzeichen setzen.

Erlösung

Nun kann es aber auch so sein: Man betritt die Klasse und es herrscht eine Ruhe, die einen das Fürchten lehrt. Denn manchmal wäre einem ein leises Surren lieber als unnatürliches Schweigen. Man spürt: Da stimmt etwas nicht, die Atmosphäre ist angespannt und das Unbehagen mit Händen fassbar. Vielleicht geht ein schlechtes Prüfungsergebnis voraus, vielleicht ein Konflikt mit einer Lehrperson, vielleicht eine kollektive Rüge.

Was tun? Wenn schon ich in einer solchen Situation nicht unterrichten möchte, nicht unterrichten kann, dann können die Schüler/innen noch viel weniger in dieser Stimmung lernen.

Patentrezept gibt es keines, aber auch Sie, geschätzte Kollegen, haben sicher schon die Erfahrung gemacht, wie heilsam in einem solchen Fall ein Lächeln, ein Lachen, ein gemeinsames Scherzen sein kann. Paff, wie aus einem klitzekleinen Loch in einem prallen Luftballon entweicht die Spannung und plötzlich beginnen sich die Schüler/innen wieder zu bewegen und das Leben kehrt zurück. Dazu braucht es nicht viel, ein bisschen gute Laune, ein nettes Wort, vielleicht ein Auflockerungsspiel. Humor ist auch das.

 

Peinlich

Allerdings ist Humor auch eine Gratwanderung. Nichts ist peinlicher als zu merken, dass mein gut gemeinter Witz, mein schlagfertiges Wortspiel, meine eben erzählte Episode ihre Wirkungen völlig verfehlen. Weil sie nicht ankommen. Weil der Humor der Erwachsenen anders funktioniert als jener der Jugendlichen. Weil Humor eine besondere Kommunikationssituation darstellt, die vielleicht noch komplexer ist und in der es mehr unbestimmte Faktoren und unbekannte Variablen gibt als in jeder anderen. Also darf ich nicht protzen mit meinem Witz.

Selbstbetrachtung

Man hat das Gesicht, das man sich macht: Dem gestressten Lehrer zerfurchen vorzeitig die Falten die Stirn, weil er immer so viel denkt und sich sorgt.

Der strengen Frau Professor ziehen sich die Mundwinkel nach unten, wenn sie entrüstet ist über die Unkenntnis ihrer Schützlinge. Dem Witzbold, der ständig irgendeinen, vielleicht auch blöden Scherz parat hat, wird es passieren, dass er nicht mehr ernst genommen wird.

Stereotypen? Mag sein, aber hinter Stereotypen stehen wohl auch Archetypen, sodass man einen gewissen Wahrheitsgehalt dieser Überzeichnungen nicht leugnen kann.

Jener, der es schafft, mit einer inneren Heiterkeit an die Sache heranzugehen, hat einen lachenden Blick, die Wangen sind rosig und die einzigen Falten sind die Lachfältchen rund um die Augen.

Leider reicht zu einer inneren Heiterkeit nicht immer der Wille. Aber ein Ziel könnte es sein und ein guter Gegenentwurf zum vielbeklagten Stress. Auf jeden Fall etwas, zu dem ich mich auf den Weg machen möchte.

Ein Schritt dahin ist vielleicht eine heitere und liebevolle Selbstbetrachtung, in der ich meine Macken sehe und mich mit ihnen aussöhne, sodass es mich nicht mehr stört, wenn auch andere sie vielleicht erheiternd finden.

Fanni A. Storch

Zaun-

gast