Mobbing in der Schule 

"No Blame Approach" - neuer Lösungansatz für ein häufig auftretendes Problem

In der Schule sind die pädagogisch Handelnden für das Wohl der Kinder und Jugendlichen verantwortlich. Dazu zählt auch die Sorge um das psychische und physische Wohlergehen, das Angstfreiheit gewährleistet und Bildung und Lernen erst ermöglicht. Im Falle von Mobbing ist dieses Wohlergehen gefährdet. Ein Lösungsweg ohne Schuldzuweisung, der sogenannte „No Blame Approach“, eröffnet neue und sehr erfolgreiche Wege, um Mobbing zu stoppen.

von Ursula Steinkasserer

 

Dieser neue Ansatz, um Mobbing an Schulen nachhaltig zu stoppen, wurde in England von Barbara Mains und George Robinson entwickelt. Heike Blum und Detlef Beck aus Deutschland haben dieses Modell übernommen und weiterentwickelt.

In erster Linie geht es darum, Betroffene vor Mobbing zu schützen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie ohne Angst vor weiteren Übergriffen und Schikanen am Schulleben teilnehmen können.

Ein wesentliches Merkmal dieses Ansatzes ist, dass die Mobbing-Akteure nicht dämonisiert werden und als „böse“ Kinder und Jugendliche hingestellt werden. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass die Mobbing-Akteure mit in den Lösungsprozess einbezogen werden, ohne dass sie beschuldigt werden.

Das Menschenbild, das dem „No Blame Approach“ zugrunde liegt, ist positiv geprägt und geht von der Überzeugung aus, dass Menschen human, ethisch, motiviert und integer handeln, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen. Den Kindern und Jugendlichen wird mit Vertrauen und Zuversicht nach dem Motto „Mein Interesse ist es, dass in der Klasse alle gut miteinander auskommen, dass es dort jedem gut geht und alle ohne Angst kommen können“ begegnet. So wird den Kindern und Jugendlichen Verantwortung übertragen und gleichzeitig die Zuversicht vermittelt, dass sie über reichhaltige Ressourcen und Kompetenzen verfügen, um hilfreiche Lösungen für schwierige Situationen, wie es das Mobbing in einer Klasse darstellt, zu erarbeiten.

Das „No Blame Approach-Modell“ geht davon aus, dass die Kinder und Jugendlichen bei der Einschätzung der eigenen Klassensituation Experten sind. Lehrerinnen und Lehrer treten mit den Kindern und Jugendlichen auf gleicher Augenhöhe in Kontakt und bitten sie um Unterstützung und Hilfe zur Lösung der schwierigen Mobbingsituation. Das Wissen und die Kompetenz der Kinder und Jugendlichen werden im Rahmen des „No Blame Approach“ anerkannt und gewürdigt. Auf vertragliche Vereinbarungen, welche die Beteiligten zu einem bestimmten Handeln bzw. zu entsprechenden Unterlassungen verpflichten, wird bewusst verzichtet. Die Hilfe ist freiwillig und die Schüler und Schülerinnen entscheiden frei, welchen Beitrag sie leisten wollen und können.

Ein weiteres wesentliches Merkmal des „No Blame Approach“ ist die Tatsache, dass Vorgehensweise und Durchführung nicht problem-, sondern lösungsorientiert sind. Das heißt, nicht die einzelnen Details des Mobbinggeschehens stehen im Mittelpunkt, sondern die hilfreichen Ideen und Mittel, die dazu beitragen, das Mobbing zu stoppen. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es, bewusst in die Zukunft zu blicken – ohne auf vergangene Ereignisse zurück zu greifen. Diese Vorgehensweise ist sowohl für die Betroffenen als auch für die Mobbing-Akteure entlastend. Die Betroffenen müssen nicht über beschämende und peinlich empfundene Details berichten, und die Mobbing-Akteure kommen nicht unter Rechtfertigungsdruck, müssen sich also nicht verteidigen und – als Folge eines solchen Vorgehens – den Betroffenen die Schuld in die Schuhe schieben.

Die zurzeit am häufigsten eingesetzten pädagogischen Maßnahmen bei Mobbing sind leider immer noch Sanktionen, d. h. dem unerwünschten bzw. problematischen Verhalten des Mobbing-Akteurs folgen Strafen. Hierbei stoßen die Pädagoginnen und Pädagogen aber immer häufiger auf Grenzen und eventuelle Erfolge – wenn überhaupt – stellen sich nur kurzfristig ein. Es ist unbestritten, dass Strafen eine Wirkung erzielen – aber welche, das lässt sich im Voraus sicherlich nicht bestimmen. Die Reaktion bei Mobbingfällen reicht eher selten zur Einsicht – ganz im Gegenteil; es kommt sehr oft vor, dass Angriffe teils noch verschärft werden und noch verdeckter stattfinden.

Heute geht man bei der Mobbingproblematik in den Schulen nicht mehr davon aus, dass Kinder und Jugendliche durch den Einsatz von Sanktionen mit der gewünschten langfristigen Verhaltensänderung antworten. Aber genau diese langfristige Verhaltensänderung ist unumgänglich. Außerdem werden durch den Einsatz von Strafmaßnahmen und Schuldzuweisungen die Kräfte der Beteiligten zu sehr in die Vergangenheit verlagert. Sprich, es werden keine langfristigen Lösungswege aufgezeigt.

Der „No Blame Approach-Ansatz“ reagiert auf eine Mobbingsituation bewusst völlig anders. Energien und Ressourcen werden dazu genutzt, um eine schwierige Situation mit Lösungsansätzen positiv zu verändern. Dadurch wird ein Freiraum geschaffen, der es den Mobbing-Akteuren ermöglicht, ihr Handeln zu hinterfragen und möglichst langfristig zu ändern. Dabei wird der Begriff des Mobbings während des ganzen Prozesses nicht verwendet, da dieser von sich aus schon schuldhaftes Handeln mit einbezieht.

Das „No Blame Approach-Modell“ basiert auf kleinen, wirkungsvoll ineinander aufbauenden Schritten. Hier ist vor allem die Unterstützergruppe, das Herzstück des Modells, essentiell. Diese Gruppe besteht aus den Mobbing-Akteuren selbst sowie weiteren Mitgliedern der Klasse, welche nicht aktiv am Mobbing-Prozess beteiligt waren. Durch eine wertschätzende und nicht anklagende Moderation der Gruppe von Seiten der Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen oder einer anderen externen Beratungsperson werden durch diese Gruppe Lösungsansätze entwickelt, die zur Verbesserung der Situation der gemobbten Schülerin, des gemobbten Schülers und der gesamten Klassengemeinschaft beitragen.

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