Fokussierung auf Stärken

Chancen einer resilienzfördernden Schule

In diesem Interview spricht die Politikwissenschaftlerin Margherita Zander über Resilienzförderung und die neue Kinderarmut und auch darüber, was die Schule tun kann, damit  Kinder in besonders belastenden Lebenssituationen die Institution selbst als förderlich, aufbauend und unterstützend, jedenfalls nicht als zusätzlichen Risikofaktor erleben.

fWann und weshalb haben Sie Ihr Interesse auf das Forschungsthema „Resilienz“ gerichtet?

Margherita Zander: Auf das Resilienz-Thema bin ich durch meine langjährige Forschung zu Kinderarmut gestoßen. Dabei ist mir immer wieder aufgefallen, dass Kinder in vergleichbar belasteten Lebenssituationen sehr unterschiedlich damit umgehen.

f: Kinderarmut ist eine Problematik, die heute an Bedeutung zunimmt, anders gelagert ist und auch ganz anders empfunden wird als in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Wie lässt sich das erklären?

M.Z.: Während des Krieges und in den unmittelbaren Nachkriegsjahren waren materielle Armut und Not – der Mangel an Nahrungsmitteln, schlechte Wohnverhältnisse, unzureichende Gesundheitsversorgung usw. – ein gesellschaftlicher Zustand, der von weiten Teilen der Bevölkerung als Kriegsfolge wahrgenommen wurde. Armut nahm man in gewisser Weise als „zeitgemäßes kollegiales Schicksal“ hin. Heute dagegen ist Armut mit ihren vielfältigen materiellen und immateriellen Erscheinungsformen ein gesellschaftliches Phänomen, das auf soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zurückzuführen ist. Es stellt sich die Frage: Welches Maß an sozialer Ungleichheit und Armut nehmen wir in wohlhabenden Gesellschaften hin, wie viel akzeptieren wir?

f: Sie sehen im Aufwachsen in Armut ein wesentliches Entwicklungsrisiko für Kinder. In welchen Bereichen wirkt sich das konkret aus?

M.Z.: Armut wirkt sich materiell wie immateriell auf nahezu alle Lebensbereiche von Kindern aus. Konkret: Schlechte Ernährung, ungesunde Wohnverhältnisse, unattraktives Wohnumfeld, gesundheitliche Beeinträch-tigungen, Benachteiligungen in der Schule, eingeschränkte soziale und kulturelle Teilhabe. Je nach familiärer Ausprägung von Armut und kindlichen wie elterlichen Bewältigungsmustern sind Mädchen und Jungen unterschiedlich stark davon betroffen. Altersgemäße Entwicklungsaufgaben, die infolge von Armut nicht oder nur unzureichend bewältigt werden, lassen sich im späteren Leben nur unter großen Mühen nachholen. So sieht auch die Resilienzforschung Armut als zentrales kindliches Entwicklungsrisiko.

f: Welche Fähigkeiten oder Voraussetzungen helfen Kindern, sich trotz Armut oder anderer widriger Umstände positiv zu entwickeln? Was steht anderen im Wege, so dass ihnen dies nicht gelingt?

M.Z.: Die Resilienzforschung geht davon aus, dass es zum Teil personale Fähigkeiten und Eigenschaften sind, die es Kindern ermöglichen, sich – trotz widrigster Lebensumstände – gesund zu entwickeln. Teils sind dies aber auch Bedingungen, die das Kind in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld vorfindet. Man nennt all diese hilfreichen Gegebenheiten Schutzfaktoren. Als personale Schutzfaktoren gelten etwa eine optimistische Grundhaltung, gesundes Selbstvertrauen, soziale Kompetenz, aktive Problembewältigung, Impulskontrolle, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Wichtige Schutzfaktoren im sozialen Umfeld sind eine enge Bezugsperson, an die sich das Kind vertrauensvoll wenden kann, ein unterstützendes soziales Netzwerk innerhalb oder außerhalb der Familie, Wertschätzung und Ermutigung, dosierte Verantwortungsübernahme und angemessene Leistungsanforderungen. In der Tat haben mir auch eigene empirische Untersuchungen gezeigt, dass es jenen Kindern, die besonders stark unter der familiären Armut gelitten haben, sowohl an personalen wie auch sozialen Schutzfaktoren mangelte.

f: Was meinen Sie mit der Aussage, dass es streng genommen kein „resilientes Kind“ gibt?

M.Z.: Resilient sein bedeutet, über ein solches Maß an psychischer Widerstandsfähigkeit zu verfügen, dass man sich trotz widrigster Umstände positiv zu entwickeln vermag. Resilienz ist aber keine Eigenschaft, die man ein für allemal erwirbt; sie muss sich immer wieder neu in schwierigen Situationen zeigen. Deshalb ist es unkorrekt, von einem „resilienten Kind“ zu sprechen.

f:Die Resilienzforschung ist vorwiegend psychologisch ausgerichtet, Kinderarmut müsste aber auch in ihrer strukturellen und gesellschaftlichen Dimension besser erfasst werden…

M.Z.: Als Politikwissenschaftlerin kann ich Ihnen grundsätzlich nur beipflichten: Armut ist ein gesellschaftli-ches Problem und müsste in  erster Linie sozialpolitisch „bekämpft“ werden. Da Kinderarmut jedoch in zunehmendem Ausmaß auch bei uns eine soziale Realität ist, sehen sich alle, die mit Kindern unterschiedli-chen Alters beruflich zu tun haben, mit der Problematik konfrontiert und sind aufgefordert, mit ihrer Fachlich-keit und ihrem beruflichen Ethos darauf zu reagieren. Hier sehe ich in der Förderung von Resilienz bei diesen Kindern einen wichtigen Ansatz, der zumindest manchen Kindern helfen wird. Politisches Handeln kann und darf Resilienzförderung aber nicht ersetzen!

f: Zu den Gefährdungen unserer Zeit zählen nicht nur materielle Armut, sondern öfters auch ein Migrations-hintergrund, brüchig gewordene Sicherheiten in der Familie, am Arbeitsplatz, Leistungsdruck und Stress… Was ist die Basis für ein erfolgreiches Resilienzkonzept?

M.Z.: Es ist natürlich schwierig, hierauf in Kürze eine zufriedenstellende Antwort zu geben. Resilienzförderung sollte und kann auf drei Ebenen ansetzen:

  • beim Kind selbst,
  • bei seiner Familie und
  • in seinem weiteren sozialen Umfeld.

Da man auf diese Weise die individuellen Lebensumstände erfassen wird, kann man das Kind selbst in seiner Widerstandsfähigkeit stärken und ihm möglichst viele Schutzfaktoren zugänglich machen. Nach Edith Grotberg, einer US-amerikanischen Resilienzforscherin, gilt es dabei die „innere Stärke“ des Kindes zu entdecken, seine Problemlösefähigkeit zu stärken und zugleich „schützende Faktoren“ in seinem Umfeld zu mobilisieren. Eine besondere Rolle spielt dabei die Förderung von Freundschaften, von individuellen Fähigkeiten und Neigungen, die Vermittlung eines positiven Selbstwertgefühls und positiver Werte.

Das klingt keineswegs neu, sondern erinnert durchaus an vertraute Grundsätze „guter Pädagogik“. Neu ist, dass im Fokus von Resilienzförderung jene Kinder stehen, deren Entwicklung besonders risikobehaftet erscheint, und neu ist auch die Fokussierung auf deren Stärken.

f: Was kann die Schule konkret tun, um Kinder und Jugendliche zu stärken?

M.Z.: Schule wird von Kindern in besonders belastenden Lebenssituationen nicht selten als zusätzlicher Risikofaktor erlebt: als Leistungsüberforderung, als Ort der sozialen Ausgrenzung und Benachteiligungs-erfahrung. Schule könnte aber gerade auch für diese Kinder als Schutzfaktor fungieren. Durch gezielte individuelle Förderung ihrer Potenziale, durch ein wertschätzendes Klima, die Förderung von Selbstvertrauen und sozialer Kompetenz. Das erfordert natürlich persönliche Zuwendung und entsprechendes Engagement der Lehrkräfte. Das Konzept einer „resilienzfördernden Schule“ muss jedoch auch strukturell gewollt und konzipiert sein. Nur dann hat es tatsächlich die Chance, möglichst viele Mädchen und Jungen zu erreichen, die darauf angewiesen sind.

Die Fragen stellte Maria Vötter.

 
 

Margherita Zander stammt aus Lana und lehrt seit 1997 an der Fachhochschule Münster.

Ihre Forschungsschwerpunkte  sind Sozialpolitik und Armut, Gender und Familie.

mzander@fh-muenster.de

 

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