V.A.S.Hochverehrte Leserinnen und Leser! Was sind unsere Jugendlichen doch heute für Weicheier! Bitte sehen Sie mir den Kraftausdruck nach, aber sie haben es nicht besser verdient! Was wir als Kinder noch alles erlebt haben: Wir mussten schuften, bekamen nur Brennsuppe zu essen, wurden von Faschisten und Nazis missbraucht, von der Kirche unterdrückt, vom Mesner verprügelt, vom Lehrer bestraft, vom Staat geschröpft, von der Partei hintergangen. Und sehen Sie mich jetzt an: was ist doch aus mir für ein Prachtkerl geworden! Ich darf mich in aller Bescheidenheit ein wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft nennen. Ich stelle meinen Mann und setze mich selbstlos für die Allgemeinheit ein (im Kampf gegen unser verrottetes Schulsystem). Ich konnte zurückgreifen auf Ideale, die mir meine Vorderen in weiser Voraussicht eingepflanzt haben: Glaube, Kampfbereitschaft, Einordnung in die Gesellschaft. Unsere Kinder und Jugendlichen aber müssen auf Händen getragen werden. Wir geleiten sie durch das Leben wie auf Eierschalen. Tritt das geringste Problem auf, so schreien sie nach Hilfe und wir rennen: Lernberatung, ZIB, Klassenratssitzungen, Elterngespräche, interkulturelle und Konfliktmediatoren laufen auf, Schulpsychologen, Jugenddienstmitarbeiter, Sanitätsassistenten, Logopäden, Ergotherapeuten, sogar Lachjogatrainer (siehe letzte Ausgabe!) fallen über die Schulen her! Und die Lehrerinnen und Lehrer erst: Da will man jetzt tatsächlich die berufliche Eignung testen, bevor man sie an die Uni in Brixen lässt. Und sind sie mal in Richtung Schule unterwegs, sollen sie auch noch „Persönlichkeits-training“ bekommen! Als ob es da nicht schon zu spät wäre! Was ein Lehrer braucht, ist eine ordentliche fachliche Ausbildung und ein Trichter, um den Schülern die Formeln und Jahreszahlen einzutrichtern. „Kompetenzen“, wenn ich das Wort schon höre, dann bekomme ich einen Lachkrampf! Die einzige Kompetenz, die uns im Leben weiterbringt, ist ein dicker Schädel und eine gegerbte Haut, damit man nicht bei jedem Problemchen nach Unterstützung rufen muss! Oder wie glauben Sie, dass aus mir sonst ein so weitblickender, weltoffener und innovativer Geist geworden wäre? Herzlichst Ihr Ehrenfried Schullerer |
SATIRE
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