Deutsch als ZweitspracheVon Südtirol lernen Kultur und Sprache sind zwei ebenso gängige wie wissenschaftlich nicht eindeutig zu klärende Begriffe. „Macht nichts“, könnte man sagen, wenn die Wissenschaftler darüber streiten, wann eine Sprache eine Sprache ist und nicht Dialekt oder wann die eine Kultur beginnt und die andere endet. Doch die Tatsache, dass diese Begriffe eher unzuverlässig zur wissenschaftlichen Kategorienbildung sind, kann zu Unklarheiten mit weit reichenden Konsequenzen insbesondere für Bildungsinstitutionen führen. von Stephanie Risse Dass die deutsche Sprache zu denjenigen Sprachen gehört, die über den Erdball verteilt von verschiedenen Volksgruppen gesprochen werden, ist hinreichend bekannt. Ebenso bekannt ist, dass viele dieser Gruppen deutsche Dialekte sprechen, die sie teilweise über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg konserviert und tradiert haben. Je nach individueller Sprachkompetenz ist es diesen Sprecherinnen und Sprechern möglich, sich im deutschen Sprachraum Mitteleuropas (Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein) auch mittels des Standarddeutschen, das zu den für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausgebauten Hochsprachen gehört, mehr oder weniger problemlos zu verständigen. Mit Abstrichen und Einschränkungen kann man also davon ausgehen, dass sich ein Deutscher in Kasachstan mit einem Düsseldorfer in deutscher Sprache ebenso verständigen kann wie ein Feldthurner mit einem Schwabendeutschen aus Ungarn. Und sollten sie sich nicht auf Anhieb verstehen, so wird für alle diese Deutschsprachigen auf jeden Fall das Standarddeutsche der gemeinsame Bezugspunkt sein, auf den sie sich einigen können.
Gleichsetzung – ein folgenreicher Trugschluss Wie ist es aber um die „Kultur“ dieser verschiedenen Gruppen bestellt? Kann man von einer einheitlichen „deutschen Nationalkultur“ als Referenzpunkt sprechen, kann es zwischen jenem Kasachendeutschen, dem Düsseldorfer, dem Feldthurner und dem Banaterschwaben gar zu „inter-kulturellen“ Missverständnissen kommen? Die Antwort auf diese Frage ist weniger eindeutig zu geben und, wie das Beispiel Spätaussiedler in der Bundesrepublik zeigt, komplex und problematisch. Die Gleichsetzung von „eine Sprache, eine Kultur“ und damit verbunden „eine Nation“ ist eine folgenreicher Trugschluss. Zu Beginn der 1990er Jahre, als sich bereits abzeichnete, dass der Migrationsprozess von Deutschstämmigen aus den Ländern Osteuropas nicht mehr umkehrbar sein würde (mittlerweile sind ca. 4,5 Millionen in die Bundesrepublik ausgewandert), wurde durch wissenschaftliche Untersuchungen klar, dass eine bundesrepublikanische von einer russlanddeutschen Kultur zu unterscheiden sei. Die rechtliche und politische Grundlage, auf der diese Migration erleichtert, ja geradezu befördert wurde, stand jedoch nicht nur im Zeichen der Politik des Kalten Krieges, sondern wurzelte letztlich in den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts von einer „Volksgemeinschaft“, die sich über eine gemeinsame Sprache und Kultur definiert, ohne dabei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme und Strukturen zu berücksichtigen. Trotz des deutlichen Bruches mit und des Eliminierens von vielen „völkischen“ Positionen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind unter anderem im Staatsbürgerschaftsrecht der Bundesrepublik einige Konzepte wie das der „deutschen Volkszugehörigkeit“ (Artikel 116 Grundgesetz) erhalten geblieben, was zur paradoxen Situation führte und führt, dass es Millionen Zuwanderer gibt, die rasch einen deutschen Pass bekommen (da Bekenntnis zu „Volkstum“ und „deutsche Abstammung“), aber dennoch sprachlich und kulturell ebensolche Förderung in den Schulen benötigen wie etwa Migranten aus der Türkei. Aufgrund von jahrzehntelangen Repressionen gerade in der Sowjetunion war es vielen der Russlanddeutschen gar nicht möglich, ausreichend Deutsch zu lernen. Daher blieb das abstrakte und schwer zu messende Bekenntnis zur deutschen Kultur, jene auch in Südtirol vielfach zitierte „Identität“ übrig. Kontraproduktiv wirkte sich die Vorstellung von den Russlanddeutschen als „Teil der deutschen Kulturnation“ auf kultur- und bildungspolitische Maßnahmen der Bundesregierung der 1990er Jahre aus: Es wurden containerweise Schulbücher, Videos, Zeitschriften, Erzeugnisse einer hochgradig verschriftlichten Kultur nach Westsibirien und in die kasachische Steppe geschickt, die dort auf eine überwiegend mündliche, in Dialekten tradierte russlanddeutsche Kultur trafen. Umgekehrt konnte sich die russlanddeutsche Literatur, Malerei und Musik – abgesehen von einer kleinen Moskauer Elite – kaum an bundesdeutschen kulturästhetischen Maßstäben messen. Selbst wenn sich die Unterschiede im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre nivelliert haben mögen, sind erhebliche sprachliche wie kulturelle Integrationsprobleme jener vom Gesetzgeber als „deutsch“ bezeichneten Migrantinnen und Migranten geblieben.
Kontrastive Sprachforschung Russisch und Türkisch sind seitdem aus der sprach- und bildungspolitischen Perspektive in der Bundesrepublik die beiden großen Sprachen, die im Kontrast zum Deutschen intensiv beforscht werden und auch dazu geführt haben, dass mit Nordrhein-Westfalen und Berlin aktuell die ersten Bundesländer in der Lehrerinnenausbildung für alle Schulstufen „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ) ab dem Studienjahr 2010/2011 verbindlich eingeführt haben. Deutsch als Zweitsprache ist ein Fach, mit dem die Bildungsinstitutionen Südtirols bereits seit Jahrzehnten vertraut sind, freilich unter vollkommen anderen historischen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen und – das ist aus linguistischer Perspektive wesentlich – auch im Kontrast mit typologisch anderen Sprachen als in Deutschland: zum einen natürlich dem Italienischen, aber zunehmend mit den Sprachen der hiesigen Migranten, wie etwa dem Albanischen. Forschungsergebnisse aus Deutschland, die sehr spezifisch auf die besondere Situation von Russisch- und Türkischsprechenden zugeschnitten sind, sind daher nur bedingt für die Südtiroler Situation zu adaptieren. In Deutschland hingegen könnte man eher von den Südtiroler Erfahrungen mit DaZ lernen oder umgekehrt, die hier entwickelten, trotz aller Verbesserungsmöglichkeiten insgesamt sehr gut funktionierenden Ansätze sollten durchaus mit größerem Selbstbewusstsein auch auf deutschen Fachforen präsentiert und diskutiert werden. Literatur Risse, Stephanie (2011): Sieg und Frieden – Zum sprachlichen und politischen Handeln in Südtirol/Sudtirolo/Alto Adige, München: iudicium (erscheint demnächst) Risse, Stephanie/Roll, Heike (1997): Haben rußlanddeutsche Sprache und Kultur eine Zukunft? – Zur Lage der deutschen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie OBST 54, S. 192-217 Roll, Heike (2003): Jugendliche Aussiedler sprechen über ihren Alltag. Rekonstruktionen sprachlichen und kulturellen Wissens. München: iudicium
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