Wenn Schulterklopfen zur Gewalt wird

Unbehagen vor der Leisigkeit des Mobbings

„Hosch a Tempo?“ Es hörte sich eigentlich ganz harmlos an. In der Stunde darauf wieder: „Gibsch mir a Blattl?“

Ich weiß nicht, warum ich hellhörig wurde. War es der Ton, der eigentlich eine Forderung, keine Bitte aus-drückte? War es die Tatsache, dass ein so kumpelhafter Umgang zwischen diesen beiden, die so unterschiedlich in ihrer Art waren, suspekt sein musste und nicht wirklich echt sein konnte? War es die leicht genervte Geste, mit welcher der eine dem anderen das Geforderte reichte?

Ich war etwas irritiert, aber die Irritation rückte bald in den Hintergrund, da sich sonst nichts Weiteres ereigne-te, wie ich glaubte. Bis zum Elternsprechtag. Ich war sehr betroffen.

Das Hinterhältige am Mobbing ist seine Nicht-Fassbarkeit:

Es versteckt sich hinter kumpelhaftem Schulterklopfen oder einem Witz (na, ein bisschen Spaß werden Sie doch wohl noch verstehen?);

es geschieht im toten Winkel des Stundenwechsels und im Schutz der Umkleidekabine.

Und wenn sich eine Ahnung einschleicht, bleibt doch großes Unbehagen:

  • Ist es Mobbing? (Ich will ja schließlich niemanden zu Unrecht beschuldigen.)
  • Soll ich eingreifen? (Ich will es nicht noch schlimmer machen.)
  • Was soll ich tun? (Ich fühle mich hilflos.)

Wann ist der Schritt von der Hänselei zum Mobbing gemacht? Wir lachen immer noch über den, der stolpert, der ausrutscht, über den tollpatschigen Clown. Aber zumindest der ist Sympathieträger, der Gemobbte ist das nicht.

Es beeindruckt mich, wenn scheinbar wohlerzogene und liebe Kinder und Jugendliche sich zu einem Haufen zusammenschließen und sich gegen ein wehrloses Opfer aufstellen. Ein Sprechfehler, ein andersartiger Dialekt, ein körperlicher Mangel, Schüchternheit, gute Noten, schlechte Noten (eigentlich ganz egal was) lassen die Bereitschaft zu solch strategischer Grausamkeit hervorbrechen. Man weiß, dass solche Haufen ein ganz eigenes Eigenleben entwickeln, in dem Menschen etwas tun, was sie als Individuen nie gemacht hätten.

Die Täter brauchen selbst Hilfe, sagte mir ein Kollege. Ja schon, mag sein, aber meine Wut richtet sich doch gegen sie und Verständnis bringe ich dafür nicht auf. Für das Opfer wird es nach einer solchen Erfahrung immer eine Qual sein, mit zum Zeltlager, in die Kolonie, auf Klassenfahrt zu gehen.

Erschreckend vor allem aber finde ich Mobbing unter Erwachsenen, denn das ist nicht mehr erklärbar mit pubertären Ausfällen unsicherer, polternder Jugendlicher im Hormonsturm.

Ausgereifte (?) Personen, die im Leben stehen, bugsieren sich gegenseitig ins Out, wenn sie sich davon eine Gehaltaufbesserung versprechen. Anschwärzen, Verleumden – bei Erwachsenen geht das Ganze offensichtlich nicht so sehr im direkten Kontakt mit dem Opfer, sondern hinterrücks vor sich. Subtilität. Psychoterror. Strategie. Systematik. Ungewissheit. Wer war’s? Feigheit. Scheinheiligkeit: „Sie leiden unter Verfolgungswahn…“.

 

Hat das Problem in der Gegenwart zugenommen oder nehmen wir es nur, seit es den Begriff dafür gibt, bewuss-ter wahr? Steigert sich dieses archetypische menschliche Verhaltensmuster (wie ich es irgendwo benannt fand) in einer Gesellschaft, die in ihrer Schnelligkeit und dem Leistungsdruck den Selbsterhaltungstrieb in dieser Weise umformt?

Mir macht nicht so sehr die einzelne Situation Angst, gegen die kann man etwas tun, sondern die Tatsache, dass Mobbing mit anderen Phänomenen ein Bild einer Gesellschaft hinter der schönen Fassade der zivilisierten Menschheit hervorlugen lässt, das uns ins Bewusstsein ruft, dass die Grausamkeit immer bereit ist, gegen andere Menschen loszustürmen und dass sie das auch mit recht subtilen Mitteln tun kann. Die sadistische Seite der hochentwickelten Zivilisation. Der Teufel trägt Prada.

 

Fanni A. Storch
 

ZAUN-

GAST