Bullying im Schulalltag

Gewalt hat viele Gesichter

Sekkiert, schikaniert, gepiesackt, gequält – für manche Schülerinnen und Schüler beginnt der Schultag regelmäßig mit dem Gefühl, Angriffen, oft auch aus dem Hinterhalt, schutzlos ausgeliefert zu sein und keine Möglichkeit zu haben, sich zur Wehr zu setzen.

                                                                                                von Michaela Rungaldier

Es gibt viele Ausdrucksformen von Gewalt, wobei subtilere Ausdrucksformen häufig weniger berücksichtigt werden. Dass diese für die Betroffenen aber genauso verhängnisvoll sein können, wird bislang kaum beachtet.

 Bullying als subtile Gewalt

Bullying zählt zu diesen subtileren Formen von Gewalt. Dieser Spezialfall aggressiven Verhaltens ist als soziales Phänomen zu sehen, welches in relativ stabilen Gruppen wie etwa einer Schulklasse über einen längeren Zeitraum auftritt. Es geht mit zielgerichteten und systematischen Schädigungs- und Verletzungshandlungen einher.

Das Kräfte- bzw. Machtverhältnis zwischen dem so genannten „Täter“ und dem „Opfer“ ist dabei ungleich und asymmetrisch. Aus seiner Perspektive sieht das Opfer keine Möglichkeit, sich zu verteidigen oder zu wehren. Dieses Ungleichgewicht in der interpersonalen Beziehung kann sich auf physischer Kraft, auf verbalen oder sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch auf dem sozialen Status in der Peergroup aufbauen.

Bullying äußert sich in verschiedenen Formen: Beim direkten Bullying ist der betroffene Schüler systematisch entweder aktionsorientierten, körperlichen Attacken im Rahmen einer offenen, direkten Konfrontation ausgesetzt, oder aber er ist systematisch mit verbalen Angriffen, die mit Demütigung, Verletzung und dem Gefühl von Bedrohung einhergehen, konfrontiert. Beim indirekten Bullying wird die direkte Konfrontation vermieden, der Täter bleibt häufig unentdeckt. Relationale Aggression erfolgt häufig in indirekter Weise und zielt darauf ab, mittels Manipulation die soziale Situation des Opfers zu verschlechtern und dessen Beziehungen zu anderen eventuell auch nachhaltig zu beschädigen. 

Erheblicher Risikofaktor für die Entwicklung

Durch eine systematische Aneinanderreihung derartiger Attacken gerät der Betroffene in einen Zustand zunehmender Verzweiflung. Die Folgen sind schwerwiegend: Konzentrationsstörungen, Leistungsabfall, Selbstwertminderung, psychosomatische Beschwerden, verstärkte Angstsymptome, massive Schulangst bis hin zu Schulverweigerung. Im Zuge der Dynamik können u. a. depressive Grundstimmungen bis zu Suizidgedanken auftreten. In meiner eigenen Praxis finden sich immer wieder Betroffene, die infolge einer schweren Traumatisierung massiv beeinträchtigt sind und unter einem extremen Leidensdruck stehen.

Gekennzeichnet ist die Bullying-Situation typischerweise durch Erniedrigung, Hilflosigkeit und soziale Isolation der Opfer, Schweigen und Passivität der Mitschüler/innen, schlimmstenfalls auch durch Amüsieren auf Kosten des/der Betroffenen und durch Passivität der Erwachsenen. Bullying ist als Gruppenphänomen nicht nur als Problem zwischen unmittelbar betroffenen Schülerinnen und Schülern zu sehen; es rückt mit seinem Auftreten das gesamte Beziehungsgefüge einer Klasse bzw. Schule in den Fokus.  

Bewusster Eingriff in die Inszenierung

Und genau in diesen Bereichen setzen auch Interventionen an: Unumgänglicher Ausgangspunkt ist dabei eine Enttabuisierung und tiefgehende Sensibilisierung auf allen Ebenen und auf einer soliden Wissensbasis. Konkret geht es zunächst vor allem um den Aufbau von Problembewusstsein: Es ist unabdingbar, den Blick aller Beteiligten des gesamten Systems für Grenzüberschreitungen zu schärfen, deren Bereitschaft zu fördern, auf Bagatellisierung zu verzichten und relevante Grundhaltungen und Normen transparent und nachhaltig zu transportieren, einzufordern und auch zu „leben“. Weiters bedarf es insbesondere auf der Ebene der Lehrenden einer Aufmerksamkeitsschärfung für soziale Interaktionen und Rollenübernahmen; es geht darum, die Aufmerksamkeit auf gruppendynamische Prozesse und ihre Auswüchse zu lenken – und dabei auch das eigene Verhalten kritisch zu beleuchten und zu reflektieren. Eine umfassende und breit angelegte Rollenanalyse ermöglicht u. a. auch die Entschlüsselung der subjektiven Sinnperspektive, wobei der kontextuellen Einbettung der gezeigten Rollen besonderer Stellenwert zukommt. Die Erhebung des Ist-Zustandes erfolgt sodann idealer Weise in multimethodaler Form: durch Verhaltensbeobachtungen, intensiven Dialog sowie durch den Einsatz von soziometrischen Verfahren und Fragebögen. Unumgänglich ist schließlich die Schaffung von Kommunikationskanälen: Diese erfolgt u. a. durch kontinuierliche Förderung eines nachhaltigen Informationsaustausches wie auch durch die Entwicklung eines ritualisierten Modus’ zum Thematisieren von Problemen bzw. Leidensdruck.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, dass es der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Nutzung von Synergien bedarf. Gefragt sind aber vor allem Pädagoginnen und Pädagogen, die hinschauen, sich dieses Problems annehmen und damit dem Schweigen und der Isolation ein Ende setzen.

Literatur

Alsaker, Francoise: Quälgeister und ihre Opfer, Bern 2003: Huber Hörmann, Cathérine/Schäfer, Mechthild: Bullying im Grundschulalter. Mitschülerrollen und ihre transkontextuelle Stabilität. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 58/2009, S. 110-124

Scheithauer, Herbert/Dele Bull, Heike: fairplayer.manual. Förderung von sozialen Kompetenzen und Zivilcourage – Prävention von Bullying und Schulgewalt, Göttingen 2008: Vandenhoeck & Ruprecht

 
 

Michaela Rungaldier, lebt in Innsbruck und arbeitet als klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin in freier Praxis und als Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Tirol

 

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