Dichtes Netz mit Lücken

Eine kurze Analyse der organisierten Jugendarbeit in Südtirol

 Die Jugendarbeit ist in Südtirol außerordentlich vielfältig organisiert. Es gibt eine derartige Vielzahl von Organisationen, dass man leicht den Überblick verlieren kann.  

von Johannes Kofler

Hier zunächst ein notgedrungen unvollständiger Versuch, sich einen solchen zu verschaffen:

Alle großen Vereine haben eigene Jugendorganisationen, so z. B. der Alpenverein Südtirol (AVS), das Weiße Kreuz, das Kolpingwerk, der Katholische Verein der Werktätigen. Daneben treten andere landesweite Organi-sationen wie die Bauernjugend, die Pfadfinder, der Verein für Kinderspielplätze und Erholung, die Südtiroler Katholische Jugend oder die Katholische Jungschar. Diese Organisationen betreiben eine ganze Reihe von Strukturen, z. B. zwei Jungscharhäuser oder mehrere AVS-Jugendhütten.

Sehr wichtig sind die Jugenddienste, die bei den Dekanaten angesiedelt sind. Davon gibt es in Südtirol achtzehn. Eng in diesem Zusammenhang stehen, wie später gezeigt wird, die ca. 60 Jugendtreffs landesweit. Dazu treten 13 Jugendzentren, 28 Jugendgruppen und etwa 15 weitere ähnliche Gruppierungen, die sich Jugendbüros, -cafés, -clubs und ähnlich nennen. Spätestens jetzt ist die Begriffsverwirrung groß.

Wohl um diese einzudämmen, wurden im Laufe der Zeit verschiedene Dachorganisationen gegründet. Die wichtigsten sind der Südtiroler Jugendring (er vereint 10 Organisationen unter einem Dach), die Arbeits-gemeinschaft der Jugenddienste (AGJG, sie umfasst die 18 Jugenddienste und zwei weitere ähnliche Vereine) und der Dachverband der Offenen Jugendarbeit (n.e.t.z.) als Netzwerk der Jugendtreffs und -zentren Südtirols.

Damit ist aber noch lange nicht genug: Praktisch alle Parteien haben eigene Jugendabteilungen, politisch vertreten sind Jugendliche zudem in zahlreichen Jugendbeiräten und -parlamenten auf Gemeindeebene und im Landesjugendbeirat. Besondere Serviceleistungen bieten „young&direct“, das „Forum Prävention“ als Fachstelle für Suchtprävention oder „INFES“ als Fachstelle für Essstörungen. Zu nennen sind vielleicht noch das Haus der Familie, das Jugendhaus Kassianeum und drei Jugendherbergen (in Meran, Bozen und Toblach).

Und um die Sache abzurunden, seien schlussendlich Tausende von Jugendlichen erwähnt, die in den zahlreichen Vereinen im Bereich Sport, Musik und Feuerwehrwesen gefördert werden.

Angesichts dieser Vielfalt ergeben sich eine Reihe von Fragen: Ist das blühende Vielfalt oder wuchernder Wildwuchs? Gibt es überhaupt noch Kinder und Jugendliche, die nicht von mindestens einer dieser Organisa-tionen erfasst werden? Gibt es noch Lücken oder grobe Schwächen in einem derart entwickelten System?

Südtiroler Traditionen

 

Die Vielfalt erklärt sich auch aus der geschichtlichen Entwicklung heraus. Durch das blühende Vereinswesen in Südtirol war – und ist – die Jugendarbeit weitgehend dezentral organisiert. Bis 1983 überließ die Autonome Provinz Bozen die Jugendarbeit im Großen und Ganzen der Privatinitiative – und der katholischen Kirche. Letztere baute seit Ende der 70er Jahre die so genannten Jugenddienste auf, die sich einerseits um kirchliche Jugendarbeit kümmerte (z. B. Ministranten), andererseits auch „offene“ Jugendarbeit einrichtete. Offene Jugendarbeit wendet sich an junge Menschen ab ca. 13 Jahren und bietet ihnen die Möglichkeit, ihre freie Zeit gemeinsam zu gestalten und zu erleben. 1983 schließlich beschloss der Landtag das Landesjugendförderungs-gesetz. Mit diesem Gesetz wandte sich die Aufmerksamkeit der Autonomen Provinz neben den verbandlichen Traditionen erstmals gezielt der „offenen“ Jugendarbeit zu. Damit übernahm man diesen Begriff aus der kirchlichen Struktur der Dekanate. Seither wird unterschieden zwischen Jugenddienst, Jugendgruppe, Jungschar – also der kirchlichen Seite – und der „offenen“ Jugendarbeit. Letztere widmet sich in Jugendtreffs, die nun aus dem Boden schießen, der nicht-kirchlichen Jugendarbeit. Noch heute ist die Kirche stark präsent:

Die meisten Betreuer an den vielen Jugendtreffs sind von den Jugenddekanatsdiensten („jd“) angestellt, und da redet die Kirche mit. Das kann bis in die inhaltliche Gestaltung hineinreichen. Konkrete Fälle gibt es genug, z. B. ein Vortrag zu Satanismus, den ein Treff organisieren wollte und der vom Vorsitzenden des zuständigen Jugenddienstes ausgebremst wurde: einem Pfarrer.

Komplizierte Strukturen

 

Insider wissen zu unterscheiden. Nach außen hin aber weiß kaum jemand um diese komplizierte Verflechtung. Noch unübersichtlicher wird es, wenn man bedenkt, dass die meisten Strukturen von Gemeinden getragen und finanziert werden und dass die jeweiligen Räumlichkeiten oft von ausgelagerten Vereinen („Verein Jugend-treff“) geführt werden. Das Personal wird von Land und Gemeinden finanziert – kurzum: Transparenz und Effizienz sehen anders aus! Andererseits ist die Fülle an Organisationen und ihre Unabhängigkeit auch ein Reichtum. Fraglich ist, ob mehr Zentralismus mehr Mitsprache und mehr Freiräume für Kinder und Jugendliche bedeuten würde.

Lücken im Netz

 

Dennoch darf man die Verflechtungen und die schwerfällige Struktur wohl als Schwäche ansehen. Eine weitere Lücke ergibt sich, wenn man betrachtet, wer die Angebote nutzt. Die allermeisten Angebote richten sich nämlich an angepasste, gut in die Gesellschaft integrierte Jugendliche. Immer mehr fallen da durch den Rost. Am augenfälligsten wird das bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Weder in Vereinen noch in kirchlichen Organisationen kommen sie unter. Die „offene“ Jugendarbeit hat zwar ein Ohr für sie, doch das dürfte bei Weitem nicht ausreichen, um Integration zu fördern. Gerade in Landgemeinden bleiben Kinder und Jugendliche aus Familien, die zugezogen sind, ausgegrenzt und unter sich. Die Südtiroler Jugendarbeit wird ihre Aufmerksamkeit in Zukunft mehr auf diese Bereiche lenken müssen, wenn sie zeitgemäß bleiben will.

Zusammenarbeit ausbauen

 

Eine weitere Schwäche ist die kaum vorhandene Vernetzung mit der zweiten großen Realität von Kindern und Jugendlichen: der Schule. Hier liegt ein gewaltiges Potenzial fast völlig brach. Nach wie vor unterscheiden sowohl Kinder als auch Eltern scharf zwischen schulischen Angeboten und anderen. Noch schärfer trennen die Lehrpersonen, die sich ja zuletzt vehement gegen die Einbindung von Vereinsarbeit und Musikschulen in den Unterrichtsalltag gewehrt haben. Während Letzteres verständlich ist, so finde ich es doch schade, dass der mittlerweile reiche Erfahrungsschatz der „offenen“ Jugendarbeit an den Schulen kaum genützt wird.

Bilanzierend lässt sich sagen, dass es in kaum einem anderen europäischen Land eine derart vielfältige und gut organisierte Jugendarbeit gibt. Dennoch bleiben einige Schwächen und Lücken, deren Beseitigung mehr Aufmerksamkeit erfordert.

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