Gesellschaft und ihre Kinder

Hinschauen, vestehen und gemeinsam verantwortungsvoll handeln

 

Die Initiative des Brunecker Arbeitskreises Gesellschaft und ihre Kinder“ legt offen, dass Kinder und Jugendliche ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Umstände sind. Aus diesem Grunde wird ein umfassender Aktionsplan umgesetzt, der die Zusammenarbeit von  Schule, Jugendarbeit und Sanität zum Wohle der jungen Menschen vorsieht und sich bereits effizient und nachhaltig auswirkt.

von Gunther Niedermair

In Bruneck häufen sich die Zwischenfälle im Jugendbereich, die eine Besorgnis erregende Dynamik annehmen. So fällt beispielsweise auf, dass sich die Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen erhöht und die Häufigkeit und Härte der Auseinandersetzungen zunehmen. Besonders am Wochenende sind Alkoholexzesse und damit verbunden Vandalismus in einigen Cliquen die Regel und nicht die Ausnahme. Diese Dynamik deckt sich mit Beobachtungen in ganz Europa und es vergeht kein Tag, an dem die Presse nicht darüber berichtet.

Bei näherer Betrachtung der Hintergründe fällt schnell auf, dass diesen Jugendlichen Perspektiven fehlen und dass sie oft aus schwierigen familiären und sozialen Situationen stammen. Auffallend ist auch die Tatsache, dass die betroffenen Jugendlichen immer jünger werden und somit auch Fragen des Kinder- und Jugendschutzes an Relevanz gewinnen. Bei einigen Jugendcliquen besteht die Gefahr, dass sie in kleinkriminelles Milieu abrutschen und sich zu Gruppen entwickeln, die bei anderen Jugendlichen mit Drohungen und Erpressungen Angst erzeugen.

Aufgrund dieser Beobachtungen haben im Juli 2008 das Jugend- und Kulturzentrums UFO und die Sozialgenossenschaft EOS die Initiative ergriffen und andere Institutionen zur Mitarbeit eingeladen. Dies führte zum Zusammenschluss von zwölf Vereinen und Institutionen aus der Offenen Jugendarbeit, der Sozialarbeit, Schule, Sanität, Polizeibehörden und Politik zum Arbeitskreis „Gesellschaft und ihre Kinder“. Ihr Anliegen ist, gesellschaftlichen Phänomenen wie der Zunahme von Gewaltbereitschaft, Alkoholexzessen und Perspektivlosigkeit gemeinsam zu begegnen.

Ursachenforschung und Aktionsplan

Im Jahr 2009 wurden mit dem Moderator Jodok Moosbrugger die Situation und die Ursachen von Krise näher untersucht und entsprechende Maßnahmen erarbeitet. Der Arbeitskreis stellte fest, dass im präventiven Bereich bereits viel passiert, da zahlreiche Initiativen zu Lebenskompetenz, Jugendkultur, Konsum und Migration stattfinden. Es wurde aber schnell klar, dass ein niederschwelliger Zugang zu Jugendlichen und Eltern und schnelles Handeln nach der akuten Krise zu entwickeln sind, weil es nach einem Vorfall nur ein sehr begrenztes Zeitfenster gibt, wo eine Chance auf den Zugang zu den Betroffenen möglich ist. Schließlich wurde der Stadtgemeinde Bruneck und den zuständigen Landesämtern ein umfassender Aktionsplan vorgelegt.  So sollte ein Beratungsangebot für Eltern eingerichtet und bei problematischem Konsum-verhalten Jugendlicher auf „Beratung statt Bestrafung“ gesetzt werden. Zudem wurde für Bruneck die Einrichtung von Streetwork vorgeschlagen.

 

Aufsuchende Sozialarbeit

Streetworker suchen die Jugendlichen an den öffentlichen Orten auf, wo diese sich aufhalten. Sie sind auch nachts und an Wochenenden unterwegs und erreichen somit die Jugendlichen, die durch das bestehende Angebot nicht mehr angesprochen werden. Die Bedürfnisse und Problemlagen der Jugendlichen werden in den Mittelpunkt gestellt. Die Streetworker werden somit zu Vermittlern zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Sie bauen Beziehungen mit den Jugendlichen auf und stellen eine Vertrauensbasis her. Streetworker sind aber keine Polizeiorgane bzw. Streetwork ist keine ordnungspolitische Maßnahme. Streetwork ist aufsuchende Sozialarbeit und setzt sich zum Ziel, soziale Benachteiligungen abzubauen und Integration zu fördern. Nach zahlreichen Gesprächen auf allen politischen Ebenen ist es bislang nicht gelungen, das Projekt finanziell abzusichern.

 

Gezielte Unterstützung für Eltern

Zwei andere Projekte - die „Elternsprechstunde“ und „Beratung statt Strafe“ - wurden bereits umgesetzt. 

Seit Jänner 2010 können Rat suchende Eltern ohne Voranmeldung jeden Donnerstag von 18.00 bis 20.00 Uhr die „Elternsprechstunde“ im Vereinshaus „Michael-Pacher“ in Bruneck aufsuchen. Mit den beiden Psychologen Sabine Mair und Paul Hofer ist es möglich, vertraulich, anonym und kostenlos über alltägliche Sorgen der Elternschaft zu sprechen. Die Eltern erhalten eine Einschätzung zu ganz unterschiedlichen Problemfeldern sowie grundlegende Tipps und Hinweise. Aufgrund des guten Zuspruchs und der positiven Rückmeldungen vonseiten der Eltern haben die Stadtgemeinde Bruneck und die Bezirksgemeinschaft Pustertal die Finanzierung auch für das Jahr 2012 zugesichert. 

„Beratung statt Bestrafung“ ist ein gemeinsames Projekt des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen (DfA) und der Stadtpolizei Bruneck. Es bietet Menschen, die in offensichtlich betrunkenem Zustand in der Öffentlichkeit angetroffen werden, die Möglichkeit, Beratungseinheiten beim DfA kostenlos in Anspruch zu nehmen. Die Beratung regt Jugendliche zu einem sinnvollen Umgang mit Alkohol an und gleichzeitig werden die Ursachen für exzessiven Alkoholkonsum herausgearbeitet. Durch die Möglichkeit der Beratung beim DfA wurde somit ein Angebot geschaffen, von dem die Fachleute annehmen, dass es eine nachhaltigere Wirkung als eine Strafe hat. Auch dieses Angebot wurde inzwischen schon oft wahrgenommen. Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv, das Projekt wird fortgesetzt.

 

Friedensarbeit

Der Arbeitskreis ist offen ausgerichtet und kann flexibel auf Vorschläge von anderen Initiativen eingehen. Im Sommer 2011 wurde beschlossen, die Projektgruppe „conflict boutique“ rund um Katya Waldboth und Gabriel Auer zu unterstützen. Bei ihrem Projekt zur Zivilcourage und Konfliktlösung begegnen Schulklassen geschichtlichen und aktuellen Gewaltsituationen im öffentlichen Raum. Bei sogenannten „StattGewalt-Rundgängen“ entwickeln die beiden Friedensarbeiter mit den Jugendlichen gemeinsam Strategien, mit Konfliktsituationen umzugehen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Dieses Projekt wurde in der Schweiz schon mehrmals erfolgreich umgesetzt und wird nun auch in Bruneck an den Ober- und Berufsschulen eingeführt.

 

 

 
Gunther Niedermair ist Leiter des Jugend- und Kulturzentrums UFO in Bruneck, das u. a. auf bereichs- und generationenübergreifende Arbeit setzt.

PRAXIS