Die Stimme in die Welt werfen
Sie nehmen sich ihren Raum, sie erobern ihn, sie füllen ihn aus, in ihrer Weise. Ob es groß gewachsene junge Männer sind, die ihre laute Stimme in die Welt werfen, oder die etwas kleineren, alternativen, die jede weiße Wand mit Graffiti besprühen, ob es schillernde Mädchen sind, die unübersehbar in Gruppen auftreten, oder die kleinen, leisen, schüchternen, die vielleicht zu zweit, Hand in Hand, sich ihre Geheimnisse austauschen – es ist eine Konfrontation mit den Räumen der Erwachsenen, in denen sie sich bewegen, deren Logik und Logistik aber nicht immer mit den Bedürfnissen der jüngeren einhergeht. Jugendliche nehmen sich ihren Raum, wenn er ihnen nicht gegeben wird, aber auch, wenn er ihnen gegeben wird, weil er in ihren Augen nicht geeignet ist. Und dann werden sie bisweilen scheel angeschaut. Die Talfer-wiesen in Bozen z. B. sind auch für sie zentraler Treffpunkt und Erholungszone. „Aber manch einer schaut ja schon schief, wenn wir dort jonglieren und in Gruppen zusammensitzen.“ – „Wer weiß, was sie treiben, zumindest Alkohol ist sicher im Spiel. Schließlich tragen sie Rasta.“ Jugendliche brechen eingezäunte, klar umrissene Räume auf, wie Wurzeln im Wachsen den Asphalt sprengen. Zum Glück tun sie das. Ihr Hinterfragen der Gesellschaft, in der sie sich wiederfinden, ist zwar relativ und vorübergehend, in der Wahrnehmungsfähigkeit und zeitlich begrenzt, aber deshalb nicht minder bedeutend und wahr. Sie sind sicher, die Welt verändern, erobern zu können – wir lächeln in besserem Wissen über diese Wichtigkeit, die sie sich selbst zuschreiben. Aber haben sie nicht doch auch Recht? Größere Visionen in der Weltgeschichte sind schon oft von jungen Menschen ausgegangen, gerade weil sie ihren Idealismus noch nicht am Leben abgeschliffen haben. Da höre ich nun einen Widerspruch: „Die heutige Jugend hat ja keine Ideale mehr.“ Wie ich diese Klischees hasse! Sie hat Ideale, seien Sie beruhigt, auch wenn es nicht die der Allgemein-heit sind. Im Gegenteil: Ist das doch genau der Vorwurf, den Jugendliche auch öfters den Erwachsenen machen! „Wir glauben noch wirklich an den Frieden, an die Liebe und die Freundschaft“, sagen sie. Und gar einige von ihnen setzen sich für ihre Ideale ein, in beeindruckenden Aktionen, die wir nur oft nicht wahr- oder (vielleicht besser und böser gesagt) nicht ernstnehmen. Ich habe in den letzten Jahren einige Jugendliche kennen gelernt, die wirklich Großes in Gang gebracht haben. Ich habe auch erleben müssen, wie enttäuscht sie waren, wenn ihr Anliegen nur marginal beachtet wurde. Und dennoch haben sie weitergemacht, um ihren Traum von einer besseren Welt ein stückweit selber zu verwirk-lichen. Und ich muss demütig eingestehen, dass ihre Kraft und ihr Wille um einiges stärker sind als unser Bewusstsein vom Ernst des Lebens. Sie haben noch nicht resigniert, gerade weil sie den Ernst des Lebens noch nicht erkannt haben (was wir ihnen allerdings vorwerfen). Und selbst jene, die scheinbar nihilistisch nichts mehr einen Wert beimessen („Du weißt überhaupt nicht zu schätzen, wie gut es dir geht!“), halten uns nur einen Spiegel vor Augen: Vielleicht haben sie einfach erkannt, dass gewisse Werte, die in der wirtschaftli-chen Aufschwunggesellschaft der letzten Jahrzehnte so dominierend waren, keine echten Werte sind; und sie haben noch keine Antwort gefunden in ihrer Suche nach Neuem. „…wie gut es dir geht!“ – Schauen wir doch ein bisschen genauer hin… Kann man das Unbehagen, das Unwohlsein vieler Jugendlicher wirklich ihnen selbst vorwerfen? Als Gleichgül-tigkeit, Unverantwortlichkeit, pubertäres Gehabe? Ich traue mich da keine Antwort zu geben. Was wissen wir schon von den Erfahrungen, die sie ohne unser Wissen machen? Hintergründe, Abgründe, Urgründe bleiben uns oft verschlossen. Wir können nur den Vordergrund sehen, der manchmal wirklich beunruhigende Exzesse zeigt. Ein Blick dahinter kann erhellend wie auch überraschend oder erschreckend sein. Fanni A. Storch
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ZAUN- GAST
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