Millionenshow für Studierende

Wer im letzten Herbst einen Studienplatz an der Bildungswissenschaft in Brixen wollte, musste sich einem Aufnahmetest unterziehen. Das Ergebnis sorgte für breite Diskussionen - nur 42 von 220 Kandidaten schafften den Test . Es sei pure Glückssache, den Test zu bestehen, noch schlimmer, als bei der berüchtigten Zweisprachigkeitsprüfung. Grund genug für „forum schule heute“, diesen Test etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

kommentiert von Johannes Kofler

Besonders bei den deutschsprachigen Bewerberinnen und Bewerbern fiel das Ergebnis katastrophal aus: nur 17 von 136 wurden positiv bewertet. Das wirft viele Fragen auf: Sind unsere Maturantinnen und Maturanten so leistungsschwach? Werden an den Oberschulen Fehler in der Grundbildung gemacht? Gehen unsere jungen Leute Wettbewerben aus dem Weg und sind so im Zweifelsfall der harten Konkurrenz nicht gewachsen? Oder sind die Anforderungen der Universität Bozen einfach zu hoch? War der Test überhaupt gerecht? Im Allgemeinen stellt sich auch die Frage, wie viel Allgemeinbildung muss man nach absolvierter 5. Klasse Oberschule haben? Ist das messbar und gibt es einen festen Kanon für eine solche Allgemeinbildung?

Fehlerhafte Fragen

Zunächst ein Blick auf den Test selbst: Für 80 Fragen wird je ein Punkt vergeben, positiv bewertet wird, wer 60 Punkte von 80 erreicht hat. Das sind strenge Maßstäbe und es bleibt unklar, warum das so gehandhabt wird. Die Zulassungsordnung der Fakultät, auf die im Test explizit verwiesen wird, gibt keine weitere Auskunft. Die Fragen sind in drei Blöcke gegliedert: Sprachkompetenz und logisches Denkvermögen (40 Fragen), literarische, sozialhistorische, geografische Bildung (20 Fragen) und mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung (20 Fragen). Offensichtlich ist eine breite Allgemeinbildung gefragt. Alle Fragen sind im Multiple-Choice-Verfahren zu beantworten. Neben einigen Fragen zum Verständnis von insgesamt fünf Texten ist fast der ganze Test auf die Wiedergabe von Wissen, auf Einzelfragen aufgebaut. Manche Fragen sind dabei unpräzise gestellt oder offenkundig falsch. Zwei Beispiele:

Frage 51: Warum leben in Südtirol deutschsprachige und italienischsprachige Personen?

1. weil Südtirol auf Grund eines Vertrages zwischen Hitler und Mussolini 1939 an Italien abgetreten wurde

2. weil Südtirol im Friedensvertrag von St. Germain 1919 Italien angegliedert wurde

3. weil Mussolini 1925 Südtirol besetzt hatte

4.weil dies im Abkommen Gruber - De Gasperi 1946 in Paris so festgelegt wurde

 

Als richtige Antwort wird 2. angegeben. Eigentlich ist keine Antwort zutreffend, da es in Südtirol schon lange vor 1919 Italiener gab. Die Volkszählung des Jahres 1890 weist immerhin 4,5% Italiener (neben 4,3% Ladinern) aus. So sind die Ortschaften Branzoll oder Pfatten schon vor 1900 mehrheitlich italienischsprachig. Kaiserin Maria Theresia brachte viele Arbeiter aus dem Süden ins Land, um sie bei der Trockenlegung der Etschsümpfe einzusetzen.

 

Kompetenzentest?

 

Umstritten ist die Frage, welche Allgemeinbildung man einem Maturanten abverlangen kann. Die Schüler selbst sehen dies im 21. Jh. sehr pragmatisch: „Wissen holt man sich heute aus dem Internet. Es ist nicht so wichtig, Fakten auswendig zu lernen. Wichtiger ist zu wissen, wo und wie ich diese bekomme.“ (Manuel, 19) Viele der abgefragten Themen sind für die Schüler belanglos: „Detailfragen zu irrelevanten Themen, etwa bestimmten Dichtern oder Festspielen, können ausschließlich auswendig gelernt werden.“ (Tobias, 19) Zwar stimmen die befragten Schüler einer Einstiegshürde zu, doch bezweifeln sie die Aussagekraft des vorliegenden Tests. Wer den Test besteht, ist für das betreffende Studium nicht wirklich besser als die Ausgeschiedenen geeignet, denn wie schon im 19. Jh. überwiegt das Faktenwissen bei weitem – ob das zeitgemäß ist? Alle Welt will Kompetenzen vermitteln und jene Institution, die die dazu notwendigen Fachleute ausbildet, scheint davon noch nie gehört zu haben?

Was ist Allgemeinbildung?

 

Es gibt keinen ausformulierten Kanon einer Allgemeinbildung. Es ist unmöglich, einen breiten Konsens darüber zu finden, was jemand „zu können hat“; das variiert, je nachdem, wen man fragt. Vielleicht sollte man die Perspektive umdrehen: Der italienische Gesetzgeber sieht alle Oberschulen als allgemeinbildend - mit Fachschwerpunkten. Aber den Absolventen sollte jede Richtung offenstehen, die Chancen müssen für alle dieselben bleiben. Also müssten Schüler an einer technischen Oberschule eine Ausbildung erhalten, die ihnen ein pädagogisches Studium ebenso ermöglicht. Die 5. Klasse Fachrichtung Elektronik und Nachrichtentechnik der Gewerbeoberschule Meran stellte sich für das Experiment zur Verfügung und absolvierte den besagten Test: Keiner erreichte die notwendigen 60 Punkte! Natürlich haben sich die Schüler/innen mehr technische Fragen gewünscht. Gerade daran stießen sich aber Befragte aus einem Pädagogischen Gymnasium. Man kann also die Schuld am Desaster nicht Mängeln an den Schulen zuschieben. Die Tests müssen so ausgelegt werden, dass sie gleiche Chancen für alle bieten.

 

Veränderte Kulturtechnik

 

Andererseits ist es nachvollziehbar, dass von jungen Menschen erwartet wird, dass sie eine bestimmte Breite unserer Kulturtechniken beherrschen. Man darf von angehenden Universitätsstudentinnen wohl verlangen, dass sie den Wahlspruch der Französischen Revolution kennen. Es ist aber nicht zu leugnen, dass sich der Umgang mit diesen Techniken in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Wer wissen will, ob jener Bereich der Grammatik, der sich mit dem Bau und der Gliederung des Satzes beschäftigt „Semiotik“ oder „Semantik“ heißt, benutzt einfach kurz die Wiki-App auf seinem Smartphone und bekommt in wenigen Sekunden mehr Information darüber, als der Semiotik-Professor Umberto Eco in eine zweistündige Vorlesung packen kann. Die Kulturtechnik selbst ändert sich gerade in revolutionärer Art – an der Uni scheint das noch nicht angekommen zu sein. Man gefällt sich darin, eine Millionenshow für angehende pädagogische Fachkräfte zu inszenieren.

 

Den Test finden Sie hier als Download: Auswahlverfahren

 

   
    Johannes Kofler, Oberschullehrer in Meran und Chefredakteur von "forum schule heute"

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