Mädchen, Jungs und die Naturwissenschaften

 

Seit drei Jahren wird an der Mittelschule „Vigil Raber“ in Sterzing das Projekt „Experimente aus Chemie, Physik und Biologie“ durchgeführt. Damit reagiert die Schule auf die Ergebnisse der Pisa-Studie mit dem Ziel, Mädchen und Jungen im naturwissenschaftlichen Bereich stärker zu fördern und damit den Anforderungen einer modernen Gesellschaft und Arbeitswelt entgegenzukommen.

von Evi Volgger

 

Als vor drei Jahren der Schwerpunkt Naturwissenschaften an unserer Schule beschlossen wurde, war von vornherein klar, dass wir unseren Schüler/innen nicht einfach eine zusätzliche Stunde Mathematik oder Naturkunde im klassischen Sinn aufbürden, sondern vor allem den praktischen und handlungsorientierten Unterricht in den Mittelpunkt stellen wollten.

Im Rahmen einer Wochenstunde dürfen alle Schüler/innen der 2. Klasse im Labor experimentieren, theoretische Grundlagen praktisch überprüfen und aus empirischen Erfahrungen Naturgesetze erkennen und verstehen lernen.

 

Zwei Modelle für Laborstunden

Um die Lernenden möglichst umfassend zu unterstützen, wird die Laborstunde entweder von zwei Fachlehrpersonen oder von einer einzigen Lehrperson – dann aber mit einer begrenzten Gruppengröße von maximal 10 Schülern – abgehalten. Diese beiden Modelle haben sich als sehr nützlich erwiesen, wobei die Wahl zwischen zwei oder einer einzigen Lehrperson weniger pädagogische als vielmehr organisatorisch-technische Hintergründe (z. B. Stundenpläne der Fachlehrer selbst oder Schüler-anzahl und begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen im Labor) hat.

 

Selbstständig Probleme lösen

Im Vordergrund steht stets das praktische Arbeiten. Dabei geht es weniger um die reine Vermittlung von Wissen und Fakten als vielmehr um das Erwerben von fachtypischen Arbeitsweisen – also um Kompetenzen, die auch fächerübergreifend von Nutzen sind. Die Schüler/innen werden mit alltäglichen Problemstellungen und Fragen konfrontiert und sollen selbstständig Lösungswege finden, einfache Versuche aufbauen und durchführen, Ergebnisse dokumentieren und auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Schüler/innen lieben die Herausforderung und das praxisorientierte Arbeiten, sie staunen und wundern sich, setzen all ihre Sinne ein. Wir knüpfen an die naturgegebene Neugier und den Wissensdrang der Kinder und Jugendlichen an.

 

Unterschiedliche Arbeitsstrategien

Es war schnell klar, dass Mädchen und Jungs eine recht unterschiedliche Arbeitsweise an den Tag legen. Die Buben gehen mit großen Erwartungen ins Labor, hoffen auf Experimente mit möglichst spektakulären Explosionen und lauten Knallgeräuschen und reißen sich um die praktische Arbeit wie zum Beispiel das Aufbauen einer Versuchsanordnung. Jungs lesen keine Arbeitsanleitung, sie schauen die Abbildungen und Fotos an und los geht’s. Jungs scheitern dementsprechend oft, erkennen die Fehler, ändern den Versuchsaufbau einmal, zweimal… und kommen so ans Ziel.

Mädchen reagieren in der Regel verhaltener. Mädchen lesen die Arbeitsanleitung meist sehr genau durch, versuchen zunächst das Experiment bis ins Detail zu verstehen und wagen sich erst in einem zweiten Moment an die Arbeit heran. Am Ende erreichen auch die Mädchen ihr Ziel, manchmal schneller als ihre männlichen Mitschüler.

 

Klassische Rollenverteilung in gemischten Gruppen

Die Schüler bilden Zweier- oder höchstens Dreiergruppen. Wie im Schulalltag üblich arbeiten auch im Labor die Mädchen bevorzugt mit Mädchen und die Buben mit anderen Buben zusammen. Die einzelnen Gruppen wetteifern miteinander, die Jungs bestechen durch Schnelligkeit und Risikofreude, die Mädchen zeichnen sich durch ihre Gründlichkeit und planvolle Arbeit aus.

Wenn Jungen und Mädchen zugleich im Labor sind, gibt es meist einen regen Austausch zwischen den Gruppen. Mädchen schauen anfangs den Jungen, die längst mit der Arbeit begonnen haben, über die Schulter. Später sind es oft die Jungen, die die durchdachtere Vorgehensweise der Mädchen zu kopieren versuchen.

Arbeiten Buben und Mädchen tatsächlich zusammen, kommt es allerdings immer wieder zur klassischen Rollenverteilung: Der Junge reißt den praktischen Teil des Experiments sofort an sich und spielt den Chef, Mädchen lassen dies bereitwillig zu und erledigen die Schreibarbeiten. Offensichtlich ist es schwer, diese alten Muster zu durchbrechen; die Lehrperson muss eingreifen.

 

Mädchengruppen und Bubengruppen

Die Idee und das Ziel der Trennung von Mädchen und Jungen war es, vor allem die Mädchen stärker in die Arbeit einzubinden und sie dadurch zu ermutigen, sich in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern mehr einzubringen. Die Klasse bestand aus 9 Mädchen und 6 Jungen, davon 3 mit Funktionsdiagnose (FD). Es waren vor allem die Mädchen, die durch bessere schulische Leistungen hervorstachen und auch eindeutig das Kommando in der Klasse innehatten. In der Laborstunde präsentierte sich die Situation völlig anders: Die Jungs stürzten sich mit Freude und Begeisterung in die Arbeit, konnten auf ein naturwissenschaftliches Wissen zurückgreifen, was vor allem bei den Schülern mit FD auffällig war. Die Buben geben an, ihre Kenntnisse vorwiegend aus dem Fernsehen aus entsprechenden Serien wie „Galileo“, „Wissen macht Ah“ und Ähnlichem zu beziehen.

Die Mädchen wirkten schnell überfordert und holten öfters Hilfestellung vonseiten der Lehrperson ein. Der Ideenaustausch war nicht üblich, da man der Freundin gleich wenig zutraute wie sich selbst. Die Schülerinnen reagierten oft ängstlich bei der Handhabung von teuren Geräten, zurückhaltend beim Aufbau des Versuchs und arbeiteten merklich besser, wenn sie klare Arbeitsanweisungen erhielten. Sie hatten größere Schwierigkeiten im Umgang mit Fehlern und schlechten Ergebnissen, sie taten sich schwer, einfach drauf los zu arbeiten und Rückschläge hinzunehmen. Stärker waren die Mädchen bei der Präsentation der Ergebnisse.

 

Resümee

Ohne Anspruch darauf, statistisch relevante Daten zu erheben, finden wir unsere Beobachtungen gerade in Bezug auf die Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen zumindest bemerkenswert. Hinweise, auf die in Zukunft genauer hinzuschauen sich lohnen könnte.

In der Zwischenzeit begnügen wir uns damit, dass die Schülerinnen und Schüler die spannende Welt der Forschung kennen-lernen und laut eigenen Angaben Spaß an der Arbeit im Labor haben. Ein Schüler, der mit Schulverweigerung auf sich aufmerksam machte, meinte dazu lapidar: „Die Laborstunde ist nicht so langweilig wie der Rest der Schule“. Wir nehmen dies als Kompliment für unser Projekt gerne zur Kenntnis.

   
   
Evi Volgger unterrichtet Naturkunde in der Mittelschule.

PRAXIS