Echte Männer für die Schule

 

"forum schule heute“ bat vier ganz unterschiedliche Personen in die Redaktion, um zwei Themenkreise zu diskutieren: Welcher Art sind die Auswirkungen des Männermangels auf Unterricht und Erziehung und wie kann man gegensteuern? Es entwickelte sich eine rege Diskussion, die auch so manches Klischee bediente, was die akademische Diskussion durchaus bereicherte.

f: „Kindergärtner? Das ist was für Weicheier!“ oder  „Echte Männer bewähren sich auf dem harten, freien Markt!“ Wie beurteilen Sie solche Aussagen?

 

Marco Buraschi: Dieses Bild kann ich nicht bestätigen. Ich bin schon eher respektiert worden, obwohl die Bezeichnung „Kindergärtner“ doch etwas komisch klingt. Die Erfahrung war super und ich würde sie sofort wiederholen! Die Aussagen spiegeln für mich nur die Tatsache, dass hier im Kindergarten und in der Grundschule wenig Männer tätig sind.

Helmut Kiem: Die Schule braucht „echte Männer“. Aber nicht Männer mit Ellbogen, sondern – natürlich auch in übertragenem Sinn – Männer mit großen Händen; manche Kinder haben es einfach nötig, dass man sie hält und dass man sie auch aushält und erträgt – da stecken jeweils „halten“ und „tragen“ drin. Das ist nicht einfach, dazu braucht es Menschen, die wie Schutzengel für sie da sind.

 

Marco Buraschi aus Montan

studierte Sozialpädagogik in

Brixen und arbeitete als

Kindergärtner in Eppan.

Heute ist er Inhaber einer

Security-Firma und

Kampfsport-Trainer.

Rosa Monika Laimer aus Kuens studierte Geschichte und Germanistik in Innsbruck und unterrichtet an der Mittelschule Algund. Armin Bernhard aus Schluderns lehrt und forscht an der Fakultät für Bildungswissenschaft in Brixen. Helmut Kiem aus Meran, ehemaliger KSL-Vorsitzender, unterrichtete in der Grund- und Mittelschule und leitete bis zu seiner Pensionierung den Grundschulsprengel Meran als Direktor.

Besonders im Kindergarten und in der Grundschule gibt es kaum männliche Pädagogen. Hat das negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder?

 

Armin Bernhard: Auswirkungen auf alle Fälle, auf die Buben mehr als auf Mädchen. In einem solchen Erziehungssystem fehlt einfach die Möglichkeit, einer männlichen Identifikationsfigur habhaft zu werden. Woran kann sich hier der Junge auf der Suche nach seiner geschlechtlichen Identität noch orientieren? Wenn in den schulischen Einrichtungen männliche Fachkräfte fehlen, orientiert man sich halt umso mehr und fast ausschließlich an Medienbildern oder Idealfiguren. Oder man distanziert sich von der Frau, dem Gegenstück, mit der Folge, dass das Männliche idealisiert und das Weibliche abgewertet wird. Darin liegt die Schwierigkeit für Buben.

Buraschi: Ja, sie schotten sich von den Mädchen ab; bereits in der Grundschule kann man das in Projekten, die auch Körperkontakt vorsehen, beobachten. Dazu kann eine gewisse Distanzierung zur Lehrerin kommen: Sie ist anders als ich. Das Problem betrifft aber auch Mädchen. Sie suchen ja auch männliche Bilder. Wie sieht der Mann der Zukunft aus, wie soll er sein?

 

Kann eine Frau männliche Identifikation imitieren? Können Frauen im Bildungssystem die fehlende männliche Sicht kompensieren, indem sie gezielt das tun, was sonst fehlt?

 

Rosa Monika Laimer: Ich schließe mich der Meinung an, dass in der Schule, auch in der Mittelschule, Männer und Frauen unterrichten sollten. Wenn  Frauen versuchen, Männliches zu übernehmen, ist das nicht authentisch. Im Mittelschulalter suchen Kinder und Jugendliche vor allem Reibungsflächen, sie suchen diese bei verschiedenen Geschlechtern, manche suchen sie bei den männlichen Lehrpersonen, andere mehr bei den Frauen. Keine Lehrerin kann etwas imitieren.

Ich finde es sehr schade, dass in Kindergarten und Schule kaum pädagogische Fachkräfte vorhanden sind bzw. nachkommen. Ich denke, dass die Situation  auch historisch bedingt ist, weil  Erziehung sehr lange Zeit Frauenaufgabe war. Konnte man die Rolle des Lehrers mit anderen Aufgaben verbinden, z. B. mit der des Organisten oder  mit dem Amt des Bürgermeisters, war der Beruf auch für Männer durchaus attraktiv. Die Ausbildung zum Fachlehrer an der Oberschule hat länger gedauert, somit waren diese Stellen oft von Männern besetzt. Insgesamt gilt sicherlich: Je jünger und kleiner die Kinder waren, desto mehr ist ihre Erziehung den Frauen zugefallen. Unsere Gesellschaft ist  sehr in diesen Traditionen verhaftet.

Kiem: Ich darf noch einen Schritt zurückgehen. Auch als Vater war es für mich interessant zu sehen, dass die Identifikationsfiguren wichtig für die Berufsfindung waren. Daher sind auch die Wahlpflichtfächer wichtig, weil Kinder und Jugendliche da ihre Hobbies, ihre Stärken entdecken können. Je vielfältiger Lehrerpersönlichkeiten sind, desto leichter finden sie etwas. Männer erzählen z. B. auch anders. Es muss nicht immer „Schneeweißchen“, es kann auch mal „Knüppel aus dem Sack“ sein. Buben mögen andere Rechenaufgaben, nicht nur solche, in denen die Mutter einkauft und errechnet, wie viel Geld übrig bleibt, sondern auch, wie viel Benzin ein Auto verbraucht. Diese Kleinigkeiten holen den Bub leichter in seiner Welt ab.

Bernhard: Ich würde zwei Ebenen unterscheiden: eine ist die der Tätigkeiten, der Inhalte und der Aufgaben. Jede Tätigkeit im schulischen Bereich kann eine Frau oder ein Mann machen. Wenn keine Männer da sind, müssen Frauen halt auch eher männliche Tätigkeiten ausführen. Aber kaum ist ein Mann da, dann heißt es: „Jetzt haben wir jemanden zum Fußballspielen“ oder „Da ist nun jemand, der den Holzbau übernimmt.“ Da wird sofort klassisch getrennt. Um die Interessen anzusprechen, bräuchte man den Lehrerinnen nur zu empfehlen, auch Rechenaufgaben zu wählen, die von Autos, Flugzeugen und Wolkenkratzern handeln.

Die zweite Ebene ist die der Identität. Die einzelne Person steht immer nur als Frau oder als Mann vor den Kindern. Und jede Tätigkeit, die ich ausführe, führe ich als Mann oder als Frau aus, völlig unabhängig von den Inhalten – ich kann meine geschlechtliche Identität nicht einfach umstellen. Noch ein Aspekt ist mir wichtig: Im medialen Diskurs hört immer wieder: Frauenschule schadet den Kindern. Damit wertet man das Weibliche ab, orientiert sich an Defiziten.

Buraschi: Für mich ist das wie ein Teufelskreis. Meistens sind es die Buben, die sehr ungern zur Schule gehen. Sie sind oft leistungsschwächer. Die Mädchen bekommen Halt durch die Lehrerinnen, die Buben hingegen gehen langsam auf Distanz zu den Lehrerinnen, etwa weil ihnen die Bestätigung fehlt. Es fehlt auch das „Männerdenken“. Und wenn ein Junge dann älter wird, denkt er sich: „Schule hat mir nie gefallen, dann werde ich doch nicht selber Lehrer!“ Mir hat z. B. der Singunterricht nicht gefallen, und so dachte ich, ich würde als Kindergärtner auch nie singen. Hätte ich vielleicht einen Lehrer mit einer wirklich tollen Stimme kennengelernt, hätte ich mich vielleicht ähnlich verhalten und das auch weiter vermitteln können.

Kindergärtner bin ich gern, ich lese auch Geschichten vor, bevorzuge aber Geschichten, die ich selber erlebt habe, aus denen man z. B. lernt, dass man zwar manchmal „auf den Deckel kriegt“, es aber trotzdem weitergeht. Ich erzähle lieber solche Geschichten, und den Kindern tut es gut.

 

Was machen Männer anders in der Schule und im Kindergarten? Und was machen Buben in Schule und Kindergarten anders?

 

Bernhard: Ich glaube nicht, dass Männer recht viel andere Sachen tun als die Frauen, aber die einen tun es als Mann, die anderen als Frau. Das ist ein großer Unterschied.

Das heißt also, es liegt nicht an den unterschiedlichen Tätigkeiten, sondern an den unterschiedlichen Identifikationsfiguren.

Bernhard: Ich finde das viel wichtiger. Ersteres hat mit Professionalität zu tun, mit beruflicher Kompetenz und der Tatsache, dass ich mich auf die Kinder einlassen muss. Wichtiger ist die Frage: Wo stehen die Kinder? Da kann ich mich als Frau oder als Mann auf die Kinder einlassen.

Buraschi: Ich habe schon andere Sachen gemacht. Ein Beispiel: Die Kindergärtnerinnen haben mit den Kindern gezeichnet, gesungen. Ich habe mit ihnen Flieger gebastelt und am Ende dazu Wettbewerbe gemacht. Wir haben mit den Kindern Liegestützen gemacht. Das können sie zwar nicht richtig, aber sie haben vielleicht bis 200 gezählt. Außerdem habe ich eine andere Art der Dokumentation geführt, d. h. weniger geschrieben, sondern fotografiert und gefilmt. Die Aufnahmen wurden mit Genehmigung der Eltern auf einem Bildschirm im Vorraum gezeigt, was bei diesen dann auch sehr gut ankam.

Bernhard: Es spricht nichts dagegen, dass die Frauen das auch machen. Vorsicht ist geboten, wenn man das gegenüberstellt: Frauen tun dies, Männer tun das. Was man tut, hängt nicht vom Geschlecht, sondern von der Professionalität ab. Wie gehe ich mit Buben um? Wie kann ich was Attraktives für Buben machen, z. B. ein Umfeld schaffen, in dem sie sich wohlfühlen? Wie kann ich mehr Bewegung einbauen, mehr Aktionen, mehr Aktivitäten in Kleingruppen? Das sind Organisationsformen, die jede/r lernen kann.

Kiem: Darf ich rückfragen? Es wurde gesagt: Was ich tue, tue ich als Mann oder als Frau. Dadurch wird es authentisch und spricht Kinder anders an. So merken sie, „der“ oder „die“ ist überzeugt davon.

 

Bleibt die Frage offen: Warum gab es früher so viele Männer in der Grundschule?

 

Kiem: Früher war das ein Aufsteiger-Beruf. Wer nicht Pfarrer werden wollte und wem das Gymnasium zu lang oder zu teuer war, für den gab es mit der vierjährigen Lehrerbildungsanstalt (LBA) eine gute Aufstiegsmöglichkeit. Ein zweiter Grund könnte sein, dass man in kinderreichen Familien oft rasch finanziell unabhängig werden musste. Mir ist auch aufgefallen, dass es oft Personen gesetzteren Alters waren, die aus anderen Bereichen in diesen Beruf eingestiegen sind, die vielleicht in diesem Beruf eine Art Verwirklichung gesehen haben, der zudem eine gewisse finanzielle Sicherheit und Freiheit bot. Es war außerdem der einzige staatliche Beruf, der zugänglich war. Natürlich spielte auch die Vorbildrolle mit, die der Lehrer im Dorf draußen hatte. Es gab auch das Gefühl, wer Lehrer war, hatte etwas erreicht. Die Zufriedenheit der LBA-Absolventen mit ihrem Beruf war durchaus gegeben.

 

Zusammengefasst waren es also ökonomische Aspekte, Sicherheit, Zufriedenheit, Freiheit, ein positives Image, die die Männer in der Vergangenheit dazu bewogen haben, diesen Beruf zu ergreifen und auszuüben. Im Umkehrschluss wäre also das Ökonomische weniger interessant, die Sicherheit nicht mehr ausschlaggebend, Freiheit und Zufriedenheit nicht mehr gegeben, das Image negativer.

 

Kiem: Umkehrschlüsse sind immer zweifelhaft. Sicher ist der Aufsteiger-Bonus nicht mehr da. Viele Schüler/innen der ehemaligen LBA stammten  aus Bauernfamilien, der Lehrberuf wurde  als erste Stufe des sozialen Aufstiegs für Männer, zunehmend auch für Frauen empfunden.

Buraschi: Was vielleicht mit bedacht werden sollte: Im Gegensatz zu früher sind sehr viel mehr Frauen berufstätig und nicht zu vergessen, die attraktive Regelung bei Mutterschaften. Und was soll die Frau sonst machen: Maurer, Zimmerer? Frauen sind heutzutage berufstätig und sie tun das, worin sie gut sind. In der Schule sind sie meist besser als die Buben, daher gehen sie in die Schule.

 

Was hat Sie bewogen, diesen Beruf zu wählen?

 

Lesen Sie weiter in unserem Heft!

 

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