Knackpunkt Fortbildung

Die Fortbildung für Lehrer/innen hat in Südtirol ein beträchtliches Niveau erreicht und ist in Italien einzigartig. Auch im benachbarten Ausland blickt man zuweilen mit Bewunderung und Neid auf das breite Angebot. Seit jeher ist die Organisation von Fortbildungsveranstaltungen ein wesentlicher Schwerpunkt der Lehrerverbände KSL und ASM. Doch nun zeichnen sich Konflikte ab - vorerst intern.

von Johannes Kofler

Jede/r kennt den Landesplan der Fortbildung für Kindergarten und Schule in Südtirol, eine Broschüre, die in ihrer jüngsten Ausgabe gelb ausgefallen ist. Ihre Inhalte werden wesentlich von der Landesfortbildungskommission bestimmt, in der Vetreter/innen aus den sich mit Fortbildung und Innovation befassenden Bereichen des Bildungsressorts und der Lehrerverbände sitzen. Dort wird festgelegt, welche Kurse angeboten und welche Inhalte akzeptiert oder nicht akzeptiert werden können.

Besonders in letzter Zeit gibt es dort immer wieder Spannungen: Die Broschüre sei zu umfangreich, Angebote würden sich überschneiden, manches sei wenig sinnvoll. Vor allem der Bereich Persönlichkeitsbildung geriet in den Fokus. Es könne nicht angehen, dass Lehrer/innen auf Kosten der Allgemeinheit persönliche Vorlieben pflegen. Mancher glaubte Druck von oben, von politischer Seite oder vom Schulamt zu verspüren. Die Tendenz deute in Richtung Zentralisierung, etwa durch eine eigene Landesfortbildungsstelle.

VERDRÄNGUNGSKAMPF?

In der Vergangenheit wurden die Fortbildungsschwerpunkte nach Inhalten aufgeteilt: Die Verbände spezialisierten sich z.B. auf die Persönlichkeitsbildung. Doch gerade in diesem Bereich gab es in den letzten Jahren eine interessante Entwicklung: Während einige dieser Angebote in Verwaltung und Politik kritisch gesehen oder, wie manche sagen, sogar belächelt wurden,

entfalteten sich genau jene zu wahren Rennern. Und hier zeichnet sich eine gewisse Verschiebung ab, denn neuerdings bietet auch das Schulamt Veranstaltungen auf diesem Gebiet an.

Diese Entwicklung trifft die Lehrerverbände ins Herz; gerade der ASM wude ja ganz wesentlich zum Zwecke der Fortbildung gegründet. Die Verbände haben sich große Kompetenzen in diesem Bereich erarbeitet. Die Vorsitzende des ASM, Maria Luise Muther, hat im letzten Herbst gar einen "Verdrängungskampf" (ASM-aktuell, Dezember 2011) geortet.

FORTBILDUNG FÜR WEN?

Öl ins Feuer goss schließlich im Herbst 2011 die Schweizerin Christine Böckelmann, die inzwischen als Rektorin an die Pädagogische Hochschule Karlsruhe wechselte. Sie stellte bei den "Rechtenthaler Gesprächen", organisiert vom Schulamt, die These auf, Fortbildung dürfe nie nur der Person selbst nützen, sondern müsse vor allem der Organisation dienen, für die sie arbeite. Der ASM hält dagegen in eigenen Richtlinien klar fest, dass die eigenen Erfahrungen ein wesentlicher Ausgangs- und Bezugspunkt für Fortbildung seien. Fortbildung müsse neben Fachwissenschaft, Didaktik und Pädagogik auch Selbstreflexion und die Weiterentwicklung der professionellen Identität umfassen. Berufszufriedenheit führe zu Professionalisierung, und schließlich sei Fortbildung in keinem Fall ein Privatvergnügen, sondern diene immer zur Weiterentwicklung der Schulen.

"forum schule heute" möchte diese Differenzen etwas ausleuchten und bat Rudolf Meraner und Maria Luise Muther, ihre grundsätzlichen Positionen darzulegen. Sie antworteten auf fünf identische Fragen zur Rolle der Fortbildung in Gegenwart und Zukunft.

f: In der Vergangenheit gab es in Südtirol eine ganze Reihe von Fortbildungsträgern. Soll dies in Zukunft vereinheitlicht und/oder zentralisiert werden?

Rudolf Meraner:

In der Tat ist in Südtirol ein Fortbildungssystem aufgebaut worden, das die Lehrer/innen sehr schätzen und um das uns die benach-barten Regionen beneiden. Es baut darauf, dass verwschiedene Träger zusammenwirken, verschiedene Zielsetzungen nebenein- ander stehen und verschiedene Zielgruppen differenziert angespro-chen werden, dass aber trotzdem gemeinsame Leitideen erkenn-

bar sind, die sich am Bildungsleitbild, an den Ideen der Reform-gesetze und an den Rahmenrichtlinien ausrichten.

 

Maria Luisa Muther:

Nein! Die einzelnen Fortbildungsträger decken einerseits verschiedene Bereiche ab, andererseits organisieren sie Fortbildung aus unter-schiedlichen Positionen heraus. Dadurch entsteht ein breites Spek-trum an Angeboten, aus denen die Lehrpersonen wählen können. Lehrkräfte sind Experten für das Lernen und man darf, muss ihnen die freie Wahl der Fortbildung zugestehen. Zentralisierte Fortbildung wür-de ich als Limitierung dieser Wahlfreiheit bzw. als Lenkung von oben verstehen.

     
f: Wie beurteilen Sie die Rolle der schulinternen Fortbildung (Schilf)? Soll sie weiterhin ganz unabhängig agieren?

Rudolf Meraner:

Schilf hat eine große Stärke, sie ermöglicht gemeinsames Lernen von Lehrern und Lehrerinnen einer ganzen Schule oder einer Gruppe. Wenn sie auf die gemeinsame Weiterentwicklung eines Teams ausgerichtet ist, ist sie wirksam und schafft Veränderun-gen, die durch die Landesfortbildung nicht möglich sind.

Wenn Schilf allerdings nur der kleine Ableger der Landesfort-bildung ist und das repliziert, was auf Landesebene gemacht wird und dort sinnvoll ist, erreicht sie keine Wirksamkeit.

Zunehmend breitet sich wegen der Kürzung der Außendienstkon-tingente auch die Fortbildung durch Schulverbünde in den Bezirken aus. Diese Ebene ist ideal für den Austausch von Fachgruppen, für die bei der schulinternen fachdidaktischen Fortbildung zu wenig Teilnehmende zusammenkommen.

 

Maria Luisa Muther:

Schilf sehe ich, abgestimmt auf den Bedarf vor Ort, als gutes Instru-ment der Schul- und Unterrichtsentwicklung. Sie sollte nachhaltige Veränderungsprozesse bewirken. Dafür braucht es längerfristige Konzepte, welche gemeinsam mit dem Kollegium erstellt werden. Die Grundfragen sind dabei aus meiner Sicht: Was wollen wir? Welcher Schwerpunkt ist uns wichtig? Was ist unser gemeinsames Ziel? Wie können wir das erreichen?

Eine bessere Abstimmung mit der Fortbildung auf Landesebene ist anzustreben und würde sich bei obgenannter Form wohl von selbst ergeben. Etwas skeptischer sehe ich allerdings die Fortbildung auf Bezirksebene; diese bietet immer öfter Schwerpunkte, welche durch die Landesfortbildung zur Genüge abgedeckt sind. Eine Koordinie-rung von Landes-, Bezirks- und schulinterne Fortbildung ist wichtiger denn je, um die finanziellen Mittel bestmöglich zu verwenden. Dabei sollte trotz Sparmaßnahmen die Landesfortbildung im Mittelpunkt stehen, denn dieser Rahmen bietet als nicht zu unterschätzende Zugabe breite Möglichiten der Begegnung, des Austausches, der Erweiterung des Blickwinkels, der Stärkung von Kollegialität und Solidarität, u.a. auch um den steigenden psychischen Druck auszuhalten.

 

f: Fortbildung kann auch als Instrument von Personalentwicklung gesehen werden. Was halten Sie von einer solchen Auffassung?

Rudolf Meraner:

Fortbildung ist in jedem Falle Personalentwicklung. Die Frage ist, inwieweit dies bewusst geschieht und gesteuert wird. Dafür gibt es das Instrument der Vereinbarung eines Fortbildungsplans zwi-schen Lehrperson und Schulführungskraft. Gezielte Personal-entwicklung ist, wenn eine Schulführungskraft mit einer Lehrperson beispielsweise vereinbart, dass sich Letztere, etwa im Bereich schulinterne Evaluation, qualifiziert, von ihr in diesen Belangen Unterstützung erfährt und erworbene Kompetenzen im Sprengel einbringt. Heute ist es leider so, dass diese Art von Vereinbarung nur zum Teil hält. Manchmal ist es so, dass die Lehrperson nach der Ausbildung sagt: Ich habe die Ausbildung für mich gemacht, ich übernehme die Aufgabe nicht. Manchmal ist es so, dass die Schulführungskraft die qualifizierte Lehrperson nicht einsetzt.

 

Maria Luisa Muther:

Das hat durchaus auch eine Berechtigung. Dazu braucht es aber nicht eine „Vorauswahl“ durch eine Zentralisierung der Fortbildung oder eine „Steuerung von außen“. Dir. Franz Tutzer hat bei der Dis-kussion in Rechtenthal darauf hingewiesen, dass Fortbildung „auf Augenhöhe“ ausverhandelt werden müsse, um als Instrument der Schul- und Personalentwicklung nachhaltig wirksam zu sein. Einzig diese Einstellung ist meines Erachtens zielführend. Das stärker werdende Bezirksdenken mag zwar gut in die Personalpolitik mehre-rer Schulführungskräfte passen, die dadurch stattfindende Einschrän-kung oder Steuerung der Fortbildung ist jedoch mehr als bedenklich und widerspricht der Vorstellung einer offenen, sich stets in Entwick-lung befindlichen Schule.

 
f: Bei den Rechtenthaler Gesprächen 2011 meinte Christine Böckelmann von der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz, Lehrkräfte hätten „keinen Anspruch auf Fortbildung, die nur sie selbst voranbringe.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Rudolf Meraner:

Das ist sehr hart formuliert. Ich bin der Meinung, dass beides berücksichtigt werden muss: die Interessen der Lehrpersonen und die Interessen der Schule. Lernen ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Aber freilich muss immer wieder betont werden, dass es in der Schule nicht um die Individualinteressen der Lehrpersonen geht, sondern dass Schule eine gesellschaftliche Einrichtung und allgemeinen Interessen verpflichtet ist. Es ist also anzustreben, dass beide Interessen miteinander verbunden werden.

 

Maria Luisa Muther:

Die Referentin hat diese Aussage in der Diskussion auf Schloss Rechtenthal bereits selbst relativiert. Alle Diskussionsteilnehmer/-innen waren sich am Ende einig, dass die Entwicklung und Stärkung der Persönlichkeit gerade in unserem Beruf unverzichtbar ist. Folglich kann Persönlichkeitsbildung nicht als „private“ Fortbildung betrachtet werden. Bei den gestiegenen Anforderungen und der verlängerten Dienstzeit können auch Kurse, welche der Gesundheit der Lehrperso-nen dienen, nicht als „Privatvergnügen“ bezeichnet werden, ebenso wenig wie gemeinsame Lehrfahrten und Lernen vor Ort. Unter den gegebenen Bedingungen sollten diese Angebote eher gefördert, nicht ins private Eck gestellt werden. Das hat man in der Privatwirtschaft längst erkannt.

 

f: Immer wieder ist im Zusammenhang mit der Schule von Professionalisierung die Rede. Wie stellen Sie sich professionalisierte Fortbildung vor?

Rudolf Meraner:

Vieles, was eine gute Lehrperson ausmacht, hängt mit der Persön-lichkeit zusammen, doch vieles, was man im Lehrberuf benötigt, ist lernbar. Eine gute Ausbildung gibt einiges mit, ist aber nicht ausreichend. Deshalb müssen Lehrer/innen stets weiterlernen und sich fortbilden. Die Gesellschaft ändert sich, es verändern sich Haltungen und Lebensweisen, die Berufswelt stellt immer neue Ansprüche. Für jeden Beruf gilt heute das chinesische Sprichwort „Wer aufhört besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“ Die Südtiroler Schule kann sich glücklich schätzen, dass sich ein sehr großer Teil ihrer Lehrer/innen diesem Grundsatz verpflichtet fühlt. Wir stehen zwar erst am Anfang der Forschungen über Wirksam-keit von Lehrerfortbildung, wir wissen aber schon genug, um die Lehrerfortbildung noch stärker nach diesen Erkenntnissen aus-zurichten. Interessanterweise war „forum schule heute“ eine der ersten Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, die dieses Thema (1999, H. 5) aufgegriffen haben.

 

Maria Luisa Muther:

Der Begriff „Professionalisierung“ taucht letzthin in allen möglichen Zusammenhängen auf. Ich frage mich: War die bisher so erfolgreich angebotene Fortbildung nicht professionell? Wer legt fest, was Professionalisierung ist? Nach welchen Kriterien? Was bezweckt man damit? Sind Lehrpersonen nicht imstande, Fortbildung eigenverant-wortlich auszuwählen und dabei ihren Berufsauftrag im Blick zu haben?

 
Rudolf Meraner, Leiter des Bereichs Innovation und Beratung im Bildungsressort, ist  zuständig für die Entwicklung von Konzepten und  beschäftigt sich auch mit dem Schwerpunkt Wirksamkeit von Lehrerfortbildung.  

Maria Luise Muther ist Vorsitzende des Arbeitskreises Südtiroler Mittel-, Ober- und Berufsschullehrer/innen (ASM) und Mitglied der Landesfortbildungskommission.

 

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