Werkzeuge des Friedens

Wir müssen es uns eingestehen: Wir haben uns zu einer Gesellschaft entwickelt, die zwar selbstsicher und aufgeklärt Abstand nimmt von Kriegsbegeisterung (wir alle halten Toleranz hoch!), die jedoch bei genauem Hinsehen eine latente, subtile, aber viel prinzipieller aggressive Grundhaltung eingenommen hat: Ich habe das Recht auf, ich lass mich nicht an der Nase herum führen, das ist doch unverschämt, ich will jetzt endlich angehört werden, ich sage nur meine Meinung, ich werde es denen schon zeigen, das ist mein gutes Recht, so eine Frechheit und und und. Solche Äußerungen implizieren und bewirken oft eine Haltung, die irgendwie fast mit Verfolgungswahn zu tun hat und uns hektisch und hysterisch überall einen Komplott gegen unsere hochheilige Selbstverwirklichung vermuten lässt. Wie brüchig ist unsere Toleranz! Nervosität und Gereiztheit, Bluthoch-druck und Aggression sind die Folge. In der Familie, im Verkehr, im Beruf, im Geschäft, in der Freizeit, am Bankschalter.

Ja, wir nehmen Abstand vom Krieg, demonstrieren dagegen, verteidigen die Menschenrechte, unterschreiben Petitionen – setzen uns aktiv oder zumindest verbal für den Frieden ein, allerdings mit einer deutlichen örtlichen Distanz. Wenn wir aber in Arbeitsgruppen zur Kommunikationskompetenz Kollegen beobachten, die aneinander vorbeireden und sich doch – oder gerade deswegen – in die Haare geraten, dann haben wir nicht den Mut, mit einem kleinen Hinweis, dass sie doch von was anderem reden – oder, was auch vorkommt: dass sie ja eigentlich das Gleiche meinen – einzugreifen und alles ins rechte Lot zu bringen.

Vor einiger Zeit besuchte ich mit einer jungen Kollegin den Unterricht eines Kollegen. Die junge Kollegin war ganz beein-druckt, denn sie beobachtete „den völligen Verzicht auf Aggression“. Sosehr mich dieses Kompliment für den Kollegen freute, sosehr war ich auch erstaunt: Weshalb hätte er denn aggressiv sein sollen? Und in welcher Form? Es war eine angenehme Unterrichtsstunde mit 18jährigen. Eine Diskussion zu einem Text mit vielen Meinungen, mit vielen Deutungen, mit einem regen Gedankenaustausch. Weshalb also diese Beobachtung an allererster Stelle? Weil offensichtlich prinzipiell gilt: Lehrer gegen Schüler, Lehrer gegen Fehler, Schüler gegen Lehrer, Lehrer gegen Direktor und umgekehrt, und dann auch noch die Eltern? Eine sehr fragwürdige Grundeinstellung, so was. Ich habe der Kollegin aber nichts von diesen Überlegungen kundgetan, wollte sie nicht vor den Kopf stoßen mit meinen besserwisserischen Analysen, vielleicht hätte ich sie sogar bloßgestellt und beleidigt. Was weiß ich, wie es in ihr aussieht und wie sie Unterricht erlebt…

Und noch ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: Verzicht auf Aggression – letztlich handelt es sich hier um eine Negativ-definition von Frieden. Ein Paradoxon, das sich aber wohl aus der menschlichen Erfahrung erklären lässt, die Frieden als Wunsch, Hoffnung, Ziel, aber selten als Ist-Zustand kennt: Frieden wird definiert als Absenz von … Krieg, Konflikt, Aggression, Streit, Gewalt, Kraft, Not, Leiden, Lautstärke. Frieden als ein Sekundärzustand? Frieden nur denkbar in einem Binom ähnlich Tolstois „Krieg und Frieden“?

Vielleicht kann es aber auch gelingen, Frieden positiv zu definieren. Frieden ist die Anwesenheit von… Dann könnten wir auch unseren Handlungsspielraum besser abstecken, unsere Beitragsmöglichkeiten konkreter vor Augen haben und uns bewusst werden, dass Friedenspädagogik nicht nur Frage von großen Projekten zu Kriegsschauplätzen und Menschenrechtsverletzun-gen ist (das auch! – Ich unterstütze jedes von ihnen, wir sind Weltbürger und das Schicksal von Menschen Tausende von Kilometern entfernt ist auch ein Zeichen dafür, wie WIR die Welt gestalten), sondern dass es ein persönlicher Werdegang ist, der uns selbst betrifft, und der dann Wellen schlägt, weil alltägliche Vorbildfunktion nachhaltiger ist als einmalige Diskussionen. Dann können wir Werkzeuge des Friedens sein, wie es in einem Franz von Assisi zugeschriebenen Gebet heißt.

 

Fanni A. Storch

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