Gewaltfrei kommunizieren

  

Konfliktsituationen gehören zum Alltag. Wir benötigen allerdings eine lösungsorientierte Sprache, die konstruktiv mit unterschiedlichen Ansichten, Gefühlen und Zielen umgeht. Nicht der Konflikt ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie wir ihn bearbeiten. Hierfür eignet sich in hervorragender Weise die Methode der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Sie trägt ganz wesentlich zu einer Kultur des Friedens bei.

von Paula Maria Ladstätter

 

Um seine Ideen und Ansätze allen Interessierten zugänglich zu machen, gründete Rosenberg 1984 das „Center for Nonviolent Communication“. Die Einrichtung ging aus seiner jahrelangen Arbeit hervor, die er mit Bürgerrechtlern in den frühen sechziger Jahren geleistet hatte. Die Methode der Gewaltfreien Kommunikation war geboren und konnte seither an viele Menschen weitergegeben werden und in zahlreichen Institutionen Fuß fassen.

Rosenberg wendet die Gewaltfreie Kommunikation in Kindergärten, Schulen, im Sozial- und Gesundheitswesen, in der Wirtschaft, im Strafvollzug, in Familien und bei internationalen Konflikten an. Es geht um einen tiefgreifenden Ansatz, der an einer tragfähigen Verbindung zwischen den Menschen baut.

Gewaltfreie Kommunikation ist ein Vier-Schritte-Modell, mit dem wir unsere Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken, ohne unser Gegenüber zu beschuldigen oder zu bewerten. Wir lernen, unsere Bitten klar zu formulieren, ohne zu drohen oder zu manipulieren. Kritische und feindselige Aussagen eines anderen beziehen wir nicht auf uns oder nehmen sie persönlich. Dahinter verstecken sich nämlich unausgesprochene Gefühle und Bedürfnisse des anderen. Wir versuchen, diese wahrzunehmen.

Anstelle gewohnheitsmäßiger, automatischer und gedankenloser Reaktionen gehen wir mit uns und unserem Gegenüber in Verbindung. Aufrichtigkeit, Klarheit, wertschätzende und mitfühlende Aufmerksamkeit sind die Zutaten dafür. Wir umgehen gewohnte Denk- und Verhaltensmuster, z. B sich rechtfertigen, sich zurückziehen oder den anderen angreifen.

Sich Gewaltfreie Kommunikation anzueignen, benötigt Zeit. Geübt bleibt sie nicht Prozess oder Sprache, sondern wird Ausdruck echten Mitgefühls. Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitte sind die Werkzeuge der Gewaltfreien Kommunikation. Sie sind nicht das Ziel oder die Absicht, sondern gehören zur Methode.

 

ERSTER SCHRITT: BEOBACHTEN

Wir trennen die Beobachtung von der Bewertung. Wir beschreiben klar und deutlich, was wir bei der betreffenden Angelegen-heit sehen oder hören. Wir vermischen nicht mit Kritik, Vorwurf oder Schuldzuweisung. Wenn wir in unsere Beobachtung einen Vorwurf einfließen lassen, werden wir nicht gehört. Unser Gegenüber geht nicht auf das ein, was wir ihm sagen möchten. Zwischen Beobachtung und Bewertung klar zu trennen, ist der springende Punkt;   es handelt sich um die Schlüssel-unterscheidung:Beobachtung“ bezieht sich auf sinnliches Erleben und beschreibt, was ich sehe, höre, rieche. „Bewertung“ drückt aus, wie ich über das Beobachtete urteile und denke.

Ein Beispiel:

Beobachtung: „Wenn ich in dein Zimmer komme, sehe ich die Jeans am Boden liegen, die Socken zusammengerollt auf dem Fensterbrett und den Teller auf dem Tisch.“

Bewertung: „Du lässt immer die Sachen herumliegen. Du räumst nie auf.“

ZWEITER SCHRITT: GEFÜHL ERSPÜREN

Wir lernen, Gefühle auszudrücken und auch bei anderen wahrzunehmen. Gefühle kommen aus uns selbst. Viele Menschen glauben, Gefühle würden von ihrer Umgebung verursacht. Dort kann der Auslöser sein, nie aber die Ursache der Gefühle. Gefühle entstammen zwei möglichen Quellen: a) Wie wir aufnehmen, was andere tun oder sagen, b) erfüllten oder unerfüllten Bedürfnissen.

Im Wahrnehmen und Ausdrücken unserer Gefühle übernehmen wir Verantwortung für das, was sie verursachen. Es ist schwierig, Gedanken und Einschätzungen über andere von wirklichen Gefühlen zu unterscheiden. Wir haben nicht den richtigen Wortschatz, um Gefühle so genau wie möglich auszudrücken, ohne es bei vagen und allgemeinen Aussagen zu belassen. Es sollte uns bewusst sein, dass wir in der Art und Weise, wie wir Dinge sehen, wahrnehmen und ausdrücken, den anderen stets Informationen über uns geben.

 

DRITTER SCHRITT: BEDÜRFNIS ERKENNEN

Im dritten Schritt erkennen wir die Wurzel unserer Gefühle, nämlich die Bedürfnisse. Sie erklären die Gefühle und verringern die Wahrscheinlichkeit, dass unser Gegenüber sich für unsere Gefühle verantwortlich oder schuldig fühlt. Die Bedürfnisse sind bei allen Menschen gleich. Es geht unter anderem um Wertschätzung, Anerkennung, Sicherheit, Schutz.

 

VIERTER SCHRITT: BITTE AUSSPRECHEN

Wir sprechen die Bitte an den Anderen klar und eindeutig aus. Wir bitten um konkrete, machbare Handlungen, die unsere unbefriedigten Bedürfnisse erfüllen könnten. Dabei ist es wichtig, die Bitte auf die Gegenwart zu beziehen und nicht in die Zukunft zu richten. Wir benützen eine positive Sprache und sagen, was wir wollen. Aussagen darüber, was wir nicht wollen, haben keinen Platz.

 

GESPRÄCHE AUF GLEICHER AUGENHÖHE

Mit diesen Handlungsschritten entsteht sprachliche Gleichwertigkeit. Ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe – unabhängig von Hierarchien, Rollen und Funktionen – wird möglich. Das Konfliktpotenzial wird gesenkt. Es ist wahrscheinlich, dass mein Gegenüber mir Aufmerksamkeit schenkt und mein Anliegen hört.

Gewaltfreie Kommunikation ist nicht geeignet, Menschen und deren Verhalten zu ändern, andere zu manipulieren oder den eigenen Willen durchzusetzen. Es geht im Gegenteil darum, eine Verbindung zwischen Menschen herzustellen, die auf Aufrichtigkeit und Empathie gründet. Es gilt, die Bedürfnisse des Anderen genauso ernst zu nehmen wie die eigenen. Gemeinsame Lösungen erfordern jedoch auch einen Verhandlungsspielraum.

 

RÜSTZEUG FÜR RESPEKT UND FRIEDEN

Leider benützen wir eine Sprache, die der Denkweise der Gewaltfreien Kommunikation konträr gegenübersteht. In unserer Tradition spielen Hierarchien eine große Rolle. Es hat sich eine Sprache entwickelt, die von außen bestimmt ist. Wir lernen nicht, das auszudrücken, was in uns selbst vorgeht, welche Gefühle und Bedürfnisse wir haben. Wir wurden an eine Sprache gewöhnt, die analysiert, urteilt und einordnet. Die so erlernte Sprache geben wir an die Kinder weiter. Auch sie entwickeln ein umfangreiches Vokabular für Bewertungen und Urteile. Sie stellen Diagnosen, um mitzuteilen, was sie bei anderen und auch bei sich selbst als falsch und unangemessen empfinden.

Gewaltfreie Kommunikation bietet ein Rüstzeug für ein Leben mit Respekt für sich und andere. Sie geht von der Erkenntnis aus, dass alle Menschen das natürliche und ursprüngliche Bedürfnis haben, zum Wohle anderer beizutragen.

 

 

                                                                                         

                                     

Paula Maria Ladstätter ist Juristin, Sozialpädagogin, Coach und Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg.

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