Ein Thema - dreierlei PerspektivenDrei Rollen, drei Sichtweisen von schulischer Integration und Inklusion: Eines ist die Perspektive der politisch Verantwortlichen, anders sehen es die direkt Betroffenen. „forum schule heute“ führte Interviews mit der Integrationslehrerin Edith Benischek, der Mitarbeiterin für Integration Marina Kuppelwieser und mit Landesrätin Sabina Kasslatter Mur. f Kann die Arbeit einer Integrationslehrerin als erfüllend bezeichnet werden? Edith Benischek: Das hängt stark von der Persönlichkeit ab. Für mich ist Integration alleine nicht erfüllend genug. Mir fehlen da die fachliche Herausforderung und das Klassenmanagement. Kombiniert mit Fachunterricht, wie ich es derzeit mache, aber sehr wohl! Ich kenne allerdings Integrationslehrer/innen, die für Integration eine aufrichtige Leidenschaft entwickelt haben. Man darf nicht vergessen: Integration ist ein psychisch aufwändiger Job! Sollte man Integration grundsätzlich mit Fachunterricht kombinieren? Benischek: Je nach Umständen. Nicht jede Fachlehrkraft ist per se eine gute Integrationslehrperson und umgekehrt. Das Anforderungsprofil an eine Integrationslehrperson ist ein anderes; es braucht andere Sensibilitäten, Eigenschaften und Fähigkeiten. Und wie gesagt, es ist auch eine Charakterfrage. Welche Vorteile bietet die Kombination? Benischek: Ich glaube, für Junglehrer/innen ist Integration kombiniert mit Fachunterricht ein angenehmer Einstieg mit einer tollen Mischung: Die Vorbereitung ist im Fachunterricht an der Oberschule am Anfang sehr herausfordernd. Im Integrations-unterricht fällt beispielsweise das Klassenmanagement weg. Es ist hingegen die Methodik, die fordert. Man kann von erfahre-nen Fachlehrern lernen und Gelerntes umgehend im eigenen Fachunterricht umsetzen. Durch die Kombination stößt man auch auf die Schwierigkeiten und Grenzen der jeweiligen Rollen, das schafft Verständnis. Werden Sie von allen Schülerinnen und Schülern in der Klasse gleichermaßen akzeptiert? Benischek: Ich glaube schon! Wichtig ist, dass man das Bewusstsein schafft, dass man nicht für die Integrationsschüler/innen alleine zuständig ist, sondern für die gesamte Klasse! Das wird leider oft vergessen, auch von Fachkollegen. Wie nehmen Sie ihre Position im Klassenrat wahr? Benischek: Ich habe zwiespältige Erfahrungen gemacht. Eine Integrationslehrkraft muss oftmals um den Respekt des Klassen-rates „kämpfen“. Für viele Fachlehrer/innen ist man eine Lehrkraft „zweiter Klasse“. Man wird beauftragt, Schüler/innen in die Klasse zu holen, den Beamer herum zu schieben oder in den Kopierraum geschickt. Viel hängt vom Ton ab, mit dem man angesprochen wird. Da gibt es große Unterschiede. Mit manchen arbeitet man sehr gut zusammen, abhängig auch davon, wie viel man gemeinsam plant. Aber es kommt auch vor, dass man gar nicht über die Inhalte der nächsten Stunden informiert wird. Das ist dann mühsam. Man muss aber auch sagen, dass es für die Fachlehrkräfte oft nicht einfach ist, alle Aufgaben unter einen Hut zu bringen. Das bringt ja zusätzlichen Aufwand mit sich. Das merke ich gerade heuer, wo ich erstmals beides unterrichte. Seit wenigen Jahren, finde ich, ist sowohl der Stellenwert als auch die fachliche Qualifikation der Integrationslehrer/innen stark gestiegen. Haben Sie im Integrationsunterricht fachliche Schwierigkeiten? Benischek: Ja, manchmal! Im letzten Jahr z. B. betreute ich Integrationsschüler/innen in Finanzmathematik, was mir völlig fremd war. Ich musste mich natürlich in die Materie einarbeiten, was aber nur bis zu einem gewissen Punkt möglich war. Hier muss das Zusammenspiel mit der Fachlehrperson gut funktionieren.
Interview mit Marina Kuppelwieser f Das Aufgabenfeld der Mitarbeiter/innen für Integration umfasst Pädagogik und Pflege. Welches ist die größere Herausforderung: die psychische oder die physische? Marina Kuppelwieser: Die psychische. Es ist eine Herausforderung, alle Belastungen unter einen Hut zu bekommen. Ich sehe meinen Beruf als meine ganz normale Aufgabe, aber oft gibt es Erschwernisse, die sehr belasten. So müssen wir z. B. sehr oft die Schule wechseln; ich war in den letzten zehn Jahren an fünf verschiedenen Schulen. Das heißt, man muss sich immer wieder neu seine Position erarbeiten, sich und die eigene Rolle erklären, in Beziehung treten mit Kollegium und Verwaltung, mit dem neuen Kind, dem Schüler oder der Schülerin. Zudem können wir mit unserem Berufsbild vom Kindergarten bis in die Oberschule tätig sein. Das empfinde ich als eine große Herausforderung. In welchem Verhältnis stehen pflegerische und pädagogische Aufgaben? Kuppelwieser: Das kommt sehr auf das Kind an, das man begleitet. Vom Berufsbild her nimmt die pflegerische Betreuung einen großen Stellenwert ein. Meist handelt es sich ja um Behinderungen im körperlichen und geistigen Bereich und dafür wird dann eine 1:1 Betreuung zugewiesen. Unterstützung ist dann etwa notwendig beim Essen, Trinken, beim Toilettengang, bei der Mobilität. Ich persönlich sehe dennoch das Pädagogische im Vordergrund. Definieren Sie sich also als pädagogische Fachkraft? Kuppelwieser: Von der Ausbildung her stehen Psychologie, Rehabilitation und Medizin im Mittelpunkt. In diesem Bereich liegt unser großes Potenzial: Wir können an der Schule viel machen, was in diesen Bereich fällt. Im pädagogischen Bereich ist für mich die wichtigste Aufgabe, in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachlehrpersonen oder Integrationslehrpersonen Inhalte so aufzubereiten, dass jedes Kind einen Zugang dazu finden kann. Wenn das nicht gelingt, dann ist die Integration gescheitert. Wenn ich nicht an denselben Inhalten arbeiten kann – egal, wie reduziert – dann ist der Schüler/die Schülerin draußen. Wenn eine Schülerin/ein Schüler hingegen dieselben Themen bearbeitet wie die gesamte Klasse, ist Eingliederung möglich. Daher ist die pädagogische Aufgabe mindestens gleich wichtig. Zudem gilt es in unserer Arbeit, immer wieder Aufklärungsarbeit zu leisten und Ängste zu reduzieren. Was bringt aus Ihrer Erfahrung heraus den von Ihnen begleiteten Schülerinnen und Schülern am meisten? Kuppelwieser: Für mich ist die soziale Integration am wichtigsten und dass die Schüler nicht als Belastung, sondern als eine Bereicherung der Klasse gesehen werden. Integration kann nur gelingen, wenn die Betroffenen sozial eingebunden sind. Zudem halte ich es für wichtig, dass sie mit Gleichaltrigen in Kontakt sind und Erfahrungen machen können, die sie auf ihrem Weg weiterbringen.
Funktioniert Integration in Südtirol im derzeitigen Modell? Kuppelwieser: Es kann gut funktionieren, aber es braucht ein Miteinander aller Beteiligten, und das fängt bei der Schulleitung an. Die Einstellung von Schulführung, Verwaltung und Kollegium muss aufgeschlossen sein, damit man auf gleicher Augenhöhe kommunizieren und arbeiten kann. Es kommt sehr auf die Menschen an, die zusammenarbeiten. Ein anderer Punkt ist das Rollenverständnis und die Bereitschaft, sich auf das Thema einzulassen, denn Integration ist nicht nur Sache von Integrations-lehrperson und Mitarbeiter/in für Integration.
Wie schätzen Sie Ihren Stellenwert an der Schule ein? Kuppelwieser: Hier an der Wirtschaftsfachoberschule fühle ich mich als ein gleichwertiges Mitglied im Kollegium. Das ist aber nicht immer so. Ich habe schon Schulen erlebt, wo Mitarbeiter/innen für Integration auf der Präsenzliste der Plenarsitzungen gar nicht aufschienen. Die Schulführungskraft meinte, ich brauche erst gar nicht zu kommen. So entsteht natürlich auch im Kollegium ein bestimmtes Bild. Krass ist auch, dass wir im Klassenrat kein Stimmrecht haben, ebenso wenig im Lehrerkollegium. Ich kann nicht mitentscheiden über die Fünf- oder Sechstagewoche oder den Winterausflug, obwohl ich dann ja aktiv an allem teilnehme. Das sollte geändert und unsere Aufgabe – wie bei den Integrationslehrpersonen – auf die gesamte Klasse ausgedehnt werden. Interview mit Sabina Kasslatter Mur f Gibt es infolge der Sparmaßnahmen Kürzungen im Integrationsbereich? Sabina Kasslatter Mur: Seit Jahren wurden im Bereich Integration keine Stellen eingespart, ganz im Gegenteil, es wurden immer wieder Stellen der Schule hierfür verwendet. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Integration wurde heuer aufgrund der verschiedensten Protestbekundungen im letzen Sommer verstärkt versucht, Stellen zu koppeln (eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter wird zwei Kindern/Schülern zugewiesen), um mehr Vollzeitstellen zu schaffen. Vollzeitstellen in der Grundschule sind aufgrund der Unterrichtszeit nicht vertretbar, denn die Unterrichtsstunden sind weniger, als die Mitarbeiter/innen mit dem Schüler oder der Schülerin arbeiten. Bei der Stellenwahl der Mitarbeiter für Integration wurde seitens des Amtes für Kindergartenpersonal eine Erhebung gemacht. Das Ergebnis: 85% der Bediensteten bekundeten Zufriedenheit, nur 15% der Bediensteten wünschten eine andere Stelle. Dies waren vor allem jene Mitarbeiter/innen, die in den ersten Jahren in diesem Berufsbild arbeiten. Auf die einzelnen Klassen und Schüler/innen bezogen kann sich die Anzahl der zugewiesenen Stunden sehr wohl verändert haben. Die Zuweisungen werden jährlich von den Ämtern und von den Schulführungskräften überarbeitet, da sich die Klassen-situation jeweils verändert. Zudem gelang es heuer wieder, Springerstellen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Integration vorzusehen, dies sollte vor allem der Schule eine Erleichterung bei kurzfristigen Abwesenheiten der Bediensteten erbringen und dadurch einen reibungslosen Schulbesuch aller ermöglichen. Nicht vergessen sollten wir, dass diese zusätzlichen personellen Ressourcen rechtlich für Kinder/ Schüler und Schülerinnen mit Behinderung vorgesehen sind und hierfür sollten sie auch grundsätzlich verwendet werden.
Die Fragen stellte Johannes Kofler. |
THEMA
|
---|