Von der Integration zur Inklusion

 

Italien gilt in manchen Bereichen als ein rückständiges Land. Im Bereich der schulischen Integration von Menschen mit Schwierigkeiten im kognitiven und/oder körperlichen Bereich aber  gibt es in Italien schon seit Jahrzehnten eine sehr fortschrittliche Gesetzgebung. Was sich im Bereich der Psychiatrie durchsetzte (Abschaffung der geschlossenen Anstalten), galt nun auch für Kinder mit Behinderungen aller Art: Sonderschulen wurden aufgelöst und seither ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass alle in den Klassenverband integriert werden.

In den letzten Jahren gab es auch relativ gute Rahmenbedingungen und  Ressourcen personeller Natur. Das Zusammenspiel zwischen Eltern, Schülerinnen und Schülern, Klassen- bzw. Fach- und Integrationslehrpersonen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Integration, Schule und sozialen Diensten ist weit entwickelt. Zudem gibt es ein dichtes Netzwerk an Hilfestellungen und Fortbildungen, kurz: Die Integration hat sich an unseren Kindergärten und Schulen längst etabliert.

Dennoch gibt es großes Potenzial für die Weiterentwicklung oder, wenn man es negativ formulieren will: Es gibt zunehmend Risse im System. Um einige davon aufzuzählen: Im Zuge des allgemeinen Spardruckes ist eine Kürzung der Mittel zu erwarten. Auch im Bereich der Ausbildung liegt einiges im Argen. Es gibt z. B. in der Mittel- und Oberstufe kaum Stammrollenpersonal im Bereich Integration, und seit Jahren gibt es auch keine Ausbildungsmöglichkeit. Daran wird sich leider auch in näherer Zukunft nichts ändern.

Noch heikler ist aber eine weit verbreitete Realität an unseren Schulen; allzu häufig wird nämlich nicht integriert, sondern segregiert: Man holt die Betroffenen aus der Klasse und betreut sie gesondert. Das widerspricht dem Geist des Gesetzes. Auch die Position der Integrationslehrkräfte ist nicht jene, die sie sein sollte. Bei vielen gelten sie als Lehrer/innen zweiten Ranges, Stellen werden als Abstellgleis für Personal ohne Lehrbefähigung oder Stammrolle missbraucht. Gar manchen ist die Zusammenarbeit mit einer „lästigen“ zweiten oder dritten Lehrperson in der Klasse unangenehm.

Um solche und weitere Probleme zu lösen, ist es zum einen notwendig, die Ausbildung zu forcieren. Das muss aber praxisnah geschehen. Zum anderen ist es wohl nötig, das vielfach praktizierte Modell der Integration weiterzuentwickeln. Dazu bietet sich der Ansatz der Inklusion an. Im Zentrum steht dabei die Wertschätzung der Diversität. Heterogene Klassen sind das Normale, es ist auch nicht notwendig, alle Schüler/innen auf das möglichst gleiche Niveau zu trimmen. Es geht also nicht darum, Schüler/innen mit Problemen in eine (vermeintlich) homogene Gruppe zu integrieren, sondern darum, dass alle Kinder und Jugendlichen mit ihren Kompetenzen am Unterricht teilnehmen können, ungeachtet der großen individuellen Unterschiede. Lernende auf ihrem persönlichen Entwicklungsniveau anzusprechen, das ist die große Herausforderung inklusiven Unterrichts. 

Wir brauchen eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema, um einen Umdenkprozess in Gang zu bringen. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass sich die Integration in der derzeitigen Praxis totläuft.

 

 
 

Johannes Kofler, Chefredakteur

 

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