Startnummer 24Oscar Pistorius ist ein Star! Er hat den Stein ins Rollen gebracht: Vielleicht, ja, vielleicht und hoffentlich, werden die nächsten Paralympics von vornherein in die Olympischen Spiele integriert. Dabei erhielt er gar nicht so einfach die Erlaubnis, am Olympischen Lauf teilnehmen zu dürfen, denn man befürchtete, dass er aufgrund seiner Beinprothesen einen Vorteil gegenüber den anderen Läufern haben könnte. Einen Vorteil! Liebe Leserinnen und Leser, genießen Sie diesen Gedanken, diese überraschende Perspektive! Dass eine Behinderung einmal ein Vorteil sein könnte, daran hätte man nie gedacht! Oscar Pistorius hat es also geschafft! Aber auch die diesjährigen Paralympics waren ein großer Erfolg. Nie hätte man sich 80.000 Besucher im Olympiastadion erwartet, nie daran gedacht, dass so viele Menschen vor den Bildschirmen die Athleten mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen verfolgen. Und bewundern! Ein Kommentator meinte: Nach London 2012 wird nichts mehr so sein, wie es war. Ich musste bei den Bildern der Handbiker immer wieder an ein Foto denken, das in einem kleinen Raum unserer Schule hing, wohin wir uns manchmal mit M. zurückzogen: Es zeigte einen stolzen und lachenden M. im Rollstuhl, mit Startnummer 24 auf der Brust. M., das war eine intensive Zeit! Eine Herausforderung, ein Wachsen, eine Grenzüberschreitung im positivsten Sinn des Wortes, manchmal auch eine Grenzerfahrung, gestehe ich. Sie hat mich verändert. Die Angst, nicht kommunizieren zu können, die Scheu vor seiner körperlichen Befindlichkeit, die Sorge, aus meinem Fach nichts für M. herausholen zu können, der Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Ganzen. Von der ersten „Integrationssitzung“ an bis zu seiner „Matura“ – bald war es kein Problem mehr, ihm das Pausenbrot zu verabreichen und den Mund abzuwischen. Und auch aus meinem Fach konnte ich dann doch einiges für ihn rausholen. Wir wissen so wenig über Menschen mit Behinderung, und unsere Scheu, uns mit ihnen zu befassen, beeinträchtigt sie mehr als alles andere. Einer der paralympischen Athleten im Rollstuhl meinte bei einem Interview: Wenn er hier (bei den Spielen) jemandem begegne, dann spreche dieser mit ihm selbst und nicht – wie vielfach üblich – mit seinem Begleiter. Diese Aussage hat mich betroffen gemacht. Als hätte ein verlorenes Bein, eine verkrüppelte Hand etwas mit Mündigkeit zu tun. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe und Grade von Beeinträchtigung, wir scheren aber schnell alles über einen Kamm, schlagen alle über einen Leisten, differenzieren lieber wenig bis gar nicht. Die Unsicherheit im Umgang wiederholt sich, ob es nun ein „Integrationsschüler“ mit einer mehr oder weniger starken Beeinträchtigung, mit einer Intelligenzminderung oder mit körperlicher Behinderung ist. Umso wichtiger ist es, auch als Lehrer/ in von einer Integrationslehrperson begleitet zu werden. Ich erlaube mir hier, mir kein Blatt vor den Mund zu nehmen: Ich hatte Integrationskollegen, denen es ins Gesicht geschrieben stand, dass sie den Job nur machten, weil sie bei der Stellenwahl leer ausgegangen waren! Ich lernte auch solche kennen, deren Herzensbildung sie zu liebevollen Integrationslehrpersonen machte; aber ich hatte auch das Glück, eine Lehrperson mit Zusatzausbildung im Bereich der Integration in der Klasse an meiner Seite zu haben – das ist doch was ganz Anderes, da tun sich Welten auf und eröffnen sich Perspektiven. Möge die Bildungspolitik hieran arbeiten! Woran die Mitschüler/innen eines Schülers, einer Schülerin mit besonderem Förderbedarf am meisten wachsen, ist nicht ihr eigener Umgang, sondern das Beispiel unseres Umgangs – von Mensch zu Mensch. Fanni A. Storch |
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