Philosophieren mit KindernAngebote und Denkanlässe zum Philosophieren mit Kindern können einen besonderen Stellenwert einnehmen. Die Schule stellt sich nämlich die zentrale Frage, in welchem Ausmaß Veranlagung und soziales Umfeld für den Lernerfolg der Schüler/innen ausschlaggebend sind. Nicht weniger wichtig sind Fragen nach dem Wert und der Effektivität der schulischen Förderung, unter anderen auch die Frage: Wer benötigt was? von Elisabeth Flöss Während Lehrende im Hinblick auf die genetisch bedingte Begabung lediglich spekulieren können, sind die Erfahrungen hinsichtlich der Einflüsse des sozialen Umfelds gesichert: Wer arm ist, und dies in materieller und kultureller Hinsicht, hat in der Schule ernsthafte Probleme, und nicht nur dort. Philosophieren – warum das? Soziale „Armut“ ergibt sich neben der Geld- und Zeitnot auch aus der mangelnden Anregung, u. a. der spärlichen Kommuni-kation und Auseinandersetzung, die Kinder durch ihre Bezugspersonen erfahren. Hier kann das Philosophieren in der Schule wesentlich zur Leistungs- und Chancengerechtigkeit der Kinder beitragen. Philosophieren bedeutet zuallererst, die spontanen Fragen der Kinder ernst nehmen oder diese hervorrufen und so die Lust am Denken anregen. Dem Philosophieren gehen die aufmerksame Wahrnehmung und das Staunen voraus, dazu die Bereitschaft oder Freude, sich über Sachverhalte oder „Wahrheiten“ Gedanken zu machen, diese in Sprache zu fassen, sich neuer Begriffe zu bedienen, immer weiterzudenken und allmählich die neuen Erkenntnisse zu bewerten. Nicht nur das: Philosophieren schließt den Austausch der Gedanken mit anderen ein. Erst dann werden Meinungen miteinander verglichen, verteidigt, kritisiert und widerlegt, umgeformt, miteinander kombiniert, verworfen oder einer intensiven Überprüfung durch verschiedene Handlungen unterzogen. Im sokratischen Sinne wird sich daraus die Erkenntnis ergeben, dass es nicht nur eine Wahrheit und einen Weg gibt. Dies stärkt die Urteilskraft, bildet die Persönlichkeit nachhaltig und ebnet den Weg zur Gemeinschafts- und Demokratiefähigkeit.Dieser Austausch, diese Art von Anregungen muss vor allem jenen Kindern zuteil werden, die solcherlei außerschulisch kaum erfahren und leider auch in den standardisierten Tests versagen.
Wer soll philosophieren? In Italien ist das Fach „Philosophie“ nur einigen Gymnasien vorbehalten, in der Unterstufe kommt es in den Rahmenrichtlinien überhaupt nicht vor. Andererseits ist in den Fächern Religion, Deutsch oder in den Naturwissenschaften das Philosophieren als Unterrichtsprinzip seit jeher vorgesehen. Lehrkräfte, die mit den Kindern philosophieren, sind nicht zwangsläufig selbst Spezialisten, die die facheigenen Termini, die einzelnen philosophischen Disziplinen oder Vertreter kennen. Es sind jedoch durchwegs Menschen, die selbst gerne denken, und sie sind davon überzeugt, dass auch Kinder dies können und durch die Philosophie zu Mündigkeit und zu einem ethischen und moralischen Lebensstil gelangen. Selbstverständlich aber erweist sich die Beschäftigung der Lehrkräfte mit der Fachwissenschaft als hilfreich, verschafft diese doch vielfältige und reichhaltige Anregungen. Angebote Wie weiter oben bemerkt, bieten die schulischen Fächer und viele Wissensbestände Anlass zum Denken. So werden die Schüler/innen dazu angeregt, sich mit Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens zu beschäftigen und den damit verbundenen Themen wie Freiheit, Gerechtigkeit, Glück oder Menschenrechte nachzugehen. Neben diesen Gelegenheiten zum Philosophieren bedienen sich Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen der Philosophiedidaktik eines großen Angebotes von Kinder- und Jugendliteratur. Dazu zählen Märchen, Fabeln, Mythen und Sagen. Aber auch verschiedene Spiele, Kunstgegenstände, Bilder und filmisches Material bieten sich hierfür an. Im Folgenden wird auf einige dieser Angebote näher eingegangen.
Ein Inspirationsbuch Hervorragende Anregungen finden sich im Bilderbuch „Kann ich wissen, was ich weiß?“ von Peter Ekberg und Sven Nordqvist (Oetinger), das im Untertitel als „Inspirationsbuch für junge Philosophen“ bezeichnet wird. Sokrates, Aristoteles, Descartes, Kant, Russel u. a. bieten Kindern und Erwachsenen einen genuinen und reizvollen Boden, auf dem munter drauflos sinniert werden kann. Das Buch stellt Philosophen vor und wirft Fragen auf, die Kinder bewegen, z. B. Fragen nach dem Glück, dem Sinn des Lebens, nach Wahrheit und Lügen oder den Sitz der Gedanken. Es zeigt auf, wie ein sokratisches Gespräch funktioniert und vergleicht unterschiedliche kulturelle Moralvorstellungen miteinander.In der Unterrichtspraxis werden die Kinder dazu angeregt, paarweise oder in der Kleingruppe ein Kapitel des Buches zu lesen, die eigene Meinung zu äußern, Zweifel vorzubringen und sich in hermeneutischem Sinne mit anderen auszutauschen, um Unterschiede und Übereinstimmungen auszuloten.
Spannende Fragen für viele Antworten44 Fragen für viele Antworten enthält das Bilderbuch „Ist 7 viel?“ von Antje Damm (Moritz), das sich ab der vierten Klasse gut einsetzen lässt. Es werden alles Fragen über das Leben und die Welt gestellt, und es sind ausnahmslos Fragen, die Kinder fesseln und ihre Lebenswelt zum Inhalt haben. Einige Lehrer/innen haben diese Fragen auf Bildkarten geschrieben, um sie kleinen Gruppen vorzulegen. Die Beschäftigung mit den Fragen verlangt nach einer guten Gesprächskultur und wird mit dem schriftlichen Festhalten der Meinungen oder dem Verfassen eigener Texte verbunden.
Das Rollenspiel Kant postulierte, dass jedes Philosophieren auch aus der Warte eines Anderen erfolgen muss. Dieser Perspektivenwechsel gelingt optimal im Rollenspiel, weil dieses nicht nur empathische Fähigkeiten stärkt, sondern auch den Blick auf das eigene Ich schärft und über die Reflexion allmählich zu allgemein gültigen Regeln führt. Der Prozess des Rollenspiels empfiehlt sich vor allem in Hinblick auf die Themen Menschenrechte, Religionen und Kulturen. Abreißkalender Viele Verlage bieten seit Jahren Abreißkalender für Kinder an. Einige davon sind philosophisch wertvoll. Sie empfehlen sich gewissermaßen für „clevere Kids“, werfen kurze Fragen auf und bieten entsprechend griffige Antworten an. Die Lehrperson leitet mit einer solchen Frage ritualartig den Unterricht ein und regt damit das Grübeln und Knobeln an. Nicht selten bleibt die Frage offen, und zwar deshalb, weil es keine eindeutigen Antworten gibt, sondern eine Vielfalt von Meinungen und Ansichten, Begründungen und Argumente, Thesen und Antithesen, und diese gilt es zu erheben. Die Lehrer/innen nehmen in diesem Prozess eine zurückhaltende Haltung ein, benennen von Zeit zu Zeit die geäußerten Thesen, bedienen sich der passenden Termini, werfen neue Fragen auf und fassen die Äußerungen immer wieder zusammen. Kosmische ErzählungenBesondere Anlässe, über Gott und die Welt nachzudenken, Hypothesen zu hören, zu diskutieren und diese schlussendlich über das eigenständige Forschen nachzuweisen, bieten in den Klassen mit Montessori-Ausrichtung die „großen und kleinen Erzählungen“. Sie werden in Verbindung mit großen Bildtafeln von den Lehrenden vorgetragen und von Anschauungs-materialien und Versuchen begleitet. Montessori hatte durch ihre unermüdliche Beobachtung der kindlichen Verhaltensweisen schon bald festgestellt, dass Kinder vom Ganzen, Großen, vom Unfassbaren und Unerklärlichen, vom Magischen fasziniert sind und danach trachten, diesen „großen Dingen“ über die Erkenntnis einen Sinn zu geben. Nur nach der Präsentation des Ganzen sind sie bereit, sich Einzelaspekten zu widmen, und aus diesem Ganzen ergeben sich die Mathematik, die Sprache und die weiteren Wissenschaften. So wird den Kindern die Theorie zur Entstehung der Welt oder der Sprache, Schrift und Zahlen erzählt. Die Erzählungen versetzen die Kinder in andächtiges Staunen und führen sie dazu, Fragen zu stellen und über die Neugier zum Handeln zu gelangen. Somit sollte das Buch „Kosmische Erzählungen in der Montessori-Pädagogik“ (aus der Reihe „Impulse der Reformpädagogik“, herausgegeben von Ela Eckert und Ingeborg Waldschmidt im LIT-Verlag) wahrlich kein Geheimtipp bleiben.
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