Brav sein oder: Freiheit macht Freude

„Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen...“ schrieb Wilhelm Busch 1865 im Vorwort zu „Max und Moritz“. Damals wie heute befinden sich „still sitzen, gehorchen und sich anpassen“  weit vorne im Werte-Ranking, wenn sich ein Kind der Kategorie der „braven“ Schüler/innen zuordnen möchte. Sechs- bis neunjährige Kinder aus reformpädagogisch orientierten Gruppen der Grundschule Gries in Bozen haben versucht, dies genauer zu ergründen.

von Irmtraud Kuntner

Wie ist für dich ein „braves Kind“? Wer bestimmt, was „brav sein“ bedeutet oder was „gut“ ist? Wie kann ich das feststellen? Wer entscheidet darüber? So lauteten die Ausgangsfragen, über welche die  Kinder frei diskutierten und philosophierten. Persönliche Anschauungen und Erfahrungen wurden ausgetauscht und ein Sinn stiftendes, einleuchtendes Gesprächsergebnis gesucht.

 

Diskussionsverlauf in der 1. Gruppe

 
Ivo Ich bin brav, wenn ich in der Schule gut bin. Dann bekomme ich Taschengeld.
Johanna Brave Kinder haben Erfolge, ganz logisch, aber auch ohne Belohnung, sie sind es einfach so.
Ivo Mir passt es, wenn ich 10 Euro bekomme, und wenn ich nichts kriege, weil ich nicht gut war, macht auch nichts.
Nike Ich bekomme manchmal sogar 20 Euro.
Johanna Ich weiβ, dass ich brav bin, wenn Mama es sagt.
Max Ich bekomme kein Taschengeld für die Schule. Aber ich habe etwas bekommen, als mir die Milchzähne ausgefallen sind.
Ivo Ich finde Geld als Belohnung für brave Kinder gut.
Lisa Erfolge beim Lernen sind besser als Geld. Ich kriege Geld auch so, ohne in der Schule gut oder schlecht zu sein.
Maximilian Gut sein heiβt, dass man fleiβig ist und viel arbeitet.
Johanna Gute Kinder gibt es eigentlich nicht, man ist nicht immer gut.
Max Ich bin nicht gut und auch nicht brav. Ich glaube, ich bin schlecht in der Schule.
Lisa Wenn du das sagst, dann weiβt du es und du kannst etwas verbessern. Du musst an dich glauben.
Max In Sport bin ich aber gut.
Maximilian Oft bist du nervig, aber wenn wir’s dir sagen, dann bist du wieder brav.
Max Zu Hause bin ich nicht immer brav, ich spiele lieber. Mit Tieren bin ich immer brav.
Nike

Die Gruppe bestimmt die Regel, was brav oder gut ist.

Ivo Brave Kinder sind gut erzogen, sie tun, was man ihnen sagt. Ich tue, was meine Oma mir sagt. Sie ist nicht so streng wie Papa. Aber Papa will, dass ich ihm gehorche und nicht der Oma. Ich sage dann zu Oma, dass Papa ihr folgen muss, weil sie ja seine Mutter ist.
Lisa Ich mache etwas gut, wenn ich es gerne mache, dann bin ich doch auch brav. Wenn es niemanden stört…
Maximilian Es entscheiden aber immer die älteren, was man tun soll.
Max Kinder sollen auch entscheiden dürfen.
Nike Kinder müssen darauf achten, dass sie keine Probleme kriegen. Dann können sie selber bestimmen und sie können gleichzeitig gut sein. Das muss man als Kind lernen, und wenn man in die Mittelschule kommt, sagt keiner, was man tun muss, damit man gut ist, das muss man schon selber wissen
Ivo Es soll mehr freie Entscheidungen geben, dann geht es einem gut und dann ist man auch gut und die anderen sagen: Brav!
Max Wenn man gute Entscheidungen trifft, zum Beispiel für den Umweltschutz, dann ist man gut, ohne dass es die anderen sagen.

Diskussionsverlauf in der 2. Gruppe

Florin Ich fühle mich brav, wenn ich beim Putzen helfe.Jakob: Meine Oma sagt immer, ich bin brav, wenn ich ihr die Tasche trage.
Giulia Mein Opa ist sehr alt, manchmal helfe ich ihm beim Anziehen, dann sagt er „brav“ und ich fühle mich auch so.
Tina Ich fühle mich gut, wenn ich mit Verwandten und Freunden bin.
Benni Ja, ich auch.
Tina Ich helfe gern anderen, zum Beispiel den Armen, das ist gut.
Florin Ein Kind ist gut, wenn es Lob erhält.
Tina Meine Mama sagt oft „brav“ zu mir, meine Oma gibt mir Bonbons.
Florin Gut sein bekommt man zurück.
Tina Aber immer brav und gut und still sein nützt nichts, man wird auch nervös.
Benni Ob ich brav bin, entscheidet die Oma.
Florin Oder der Pfarrer beim Ministrieren: Je stiller wir dabei sind, desto  braver.
Tina Kann man überhaupt selbst entscheiden, ob man brav ist?
Jakob Man merkt es selbst, wie man sich fühlt.
Florin Man soll schon immer  brav sein, aber auch wenn jemand bestimmt, muss man nicht gehorchen, wenn es nicht richtig ist.
Tina Gute Freunde sind wichtig, da ist es leicht, brav zu sein.
Benni Ja, da schlägt man sich nicht, man tröstet sich, da sind alle gut.
Florin Niemand ist nur gut oder böse, jeder hat zwei Seiten.
Jakob Nur sind manche öfter schlecht, manche öfter gut.
Tina Eigentlich kann man frei entscheiden, ob man lieber gut oder schlecht sein will.
Benni Wenn man das nicht kann, wird man müde und man kriegt schlechte Laune.
Tina Wenn man unter Druck ist, kann man sich nicht konzentrieren und es ist schwer, gut zu sein.
Jakob Ja, ohne Freiheit hat man keine Freude.
Tina Aber ich muss auch an die anderen denken, nur dann ist man wirklich gut.
Jakob Wenn aber nur die anderen entscheiden, dann ist das nicht gut. Freiheit macht Freude und man ist automatisch gut und froh.

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