Das persönliche Thema

Das Konzept der Individualisierung der Themen durch die Lernenden beruht auf der Idee Freinets, den Kindern das Wort zu geben. Bereits vor 20 Jahren hat eine Gruppe von Lehrkräften diese Idee an der Grundschule umgesetzt. Basierend auf diesen Erfahrungen wurde es erweitert und hat inzwischen in verschiedenen Klassen Einzug gefunden. Dieses Konzept gewährleistet nachhaltiges Lernen.

von Christian Laner

Peter, Tania und Anna haben gerade ihre Präsentation beendet und nun folgt die Runde der Fragen, die die Mitschülerinnen und Mitschüler stellen. Obwohl diese teilweise in die Tiefe gehen, können die drei Kinder souverän darauf reagieren. Ihr Thema war der ‚Nintendo‘, eine bei Kindern beliebte Spielkonsole. Zum Abschluss erhalten sie für ihre sechste Präsentation in diesem Jahr ein Diplom, das aufzeigt, was sie gemacht haben und was sie gelernt haben.


Wir sprechen hier von Kindern der dritten und vierten Klasse Grundschule, die ihr „persönliches Thema“ vorgestellt haben. Bis zur Präsentation haben die Kinder einen bestimmten Lernweg beschritten, der mit einer Präsentation abschließt.


Geht man von der Idee der starken Individualisierung sowie des Teamlernens aus und nimmt zudem die Kinder in ihrer Persön-lichkeit ernst, so ist es einerseits wichtig, dass die von den Rahmenrichtlinien für die Grund- und Mittelschule in Südtirol vor-gesehen Themen abgedeckt werden. Andererseits gilt es zu beachten, dass die Motivation bei den Kindern enorm steigt, wenn sie feststellen, dass ihre Themen mindestens den gleichen Stellenwert haben.


Die Kinder sind intrinsisch motiviert und können auch in die Pflicht genommen werden. Dabei ist es jedoch nicht getan, wenn dies ein oder zwei Mal im Schuljahr durchgeführt wird. Erst das regelmäßige Erstellen eines persönlichen Themas führt zur Nachhaltigkeit. Es fördert verschiedenste Kompetenzen, die von der Recherche über die Materialerstellung bis zum Präsentieren und Diskutieren mit anderen Kindern oder Erwachsenen führen. Trainiert werden neben den sprachlichen Kompetenzen auch die Teamfähigkeit durch wechselnde Gruppenkonstellationen und das Aushandeln von Ideen. Die regelmäßigen Präsentationen steigern das Selbstwertgefühl der Kinder ungemein.


Kinder erarbeiten bereits ab der 1. Klasse Grundschule (ja, Sie lesen richtig) allein oder besser noch zu zweit oder dritt ein Thema, das für das betreffende Kind oder die Gruppe bedeutsam ist. Dabei muss die Lehrperson sich ganz heraushalten. Es gibt hier keine Beschränkungen, denn nur so wird garantiert, dass es auch wirklich das Thema des Kindes ist.

Thema suchen, Fragen gruppieren


Nach der Themenfindung – und die Kinder haben tolle Themen – beginnt die eigentliche Arbeit, die sehr klar strukturiert ist. Zunächst wird überprüft, was das Kind bereits zum Thema weiß. Dazu wird eine Mindmap und später eine Conceptmap erstellt.

In der nächsten Phase sammelt das Kind Fragen, die zunächst alle zugelassen werden. Anschließend werden diese geclustert und es entstehen Fragen-Gruppen. Mit der Zeit lernen die Kinder, Fragen zu stellen, die sie noch nicht beantworten können. Bald schon erkennen sie, welche Fragen nicht beantwortet werden können. Das hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern damit, dass sie sich auf bestimmte Teile des Themas beschränken müssen, um sich nicht zu verlieren.

Verbindlichkeit schaffen


Nun folgt der Vertrag mit der Lehrperson. Dieser muss einige wichtige Punkte beinhalten wie: Titel des Themas, Zeitraum der Arbeit (meist sind es 3 – 4 Wochen), Fragen, die beantwortet werden, Unterlagen, die verwendet werden, Zeitpunkt der Präsenta-tion, Produkt, das entsteht.


Der Lernvertrag wird von den Kindern und der Lehrperson unterschrieben. Es ist ganz wichtig, dass bereits in dieser Phase darüber nachgedacht wird, welche Ergebnisse aufliegen werden. Verstärkt versuchen wir, auch handwerkliche oder künstleri-sche Produkte mit einzubauen. Dies bedeutet, dass die Kinder auch ein Produkt erstellen sollen, das nicht nur in schriftlicher Form möglich ist. Wird z. B. das Wohnen der alten Griechen behandelt, so bauen die Kinder ein entsprechendes Modell aus Holz oder Karton.


Nun beginnt die eigentliche Arbeit: recherchieren, sammeln, filtern, analysieren, Texte, Bilder, Videos und handwerkliche oder künstlerische Produkte erstellen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Kinder wirklich bei ihren Fragestellungen bleiben. Immer wieder wird überprüft, wo das Kind oder die Gruppe in der Arbeit steht und ob Unterstützung benötigt wird. Grundsätzlich arbeiten die Kinder aber sehr frei und ohne ständige Vorgaben durch Erwachsene.

Ergebnisse sichern


Wenn am Anfang auch die Plakate einen hohen Stellenwert haben, sollten die Kinder mit der Zeit auch andere Formen der Ergebnissicherung kennenlernen: kleine Hefte oder Büchlein, Videosequenzen, Hörspiele, Theaterstücke, Karteikarten und vieles mehr. Auf diese Weise erwerben sie die Kompetenz, Ergebnisse in verschiedenen Formen zu erzeugen. Bei den Plakaten ist darauf zu achten, dass das Thema Design, also die Gestaltung, auch thematisiert wird (z. B. das Problem kleiner Schriften, der Textmenge, der Zuordnung Bild-Text).

Präsentieren und Sicherheit gewinnen


Den Abschluss der Arbeit bildet die Präsentation vor einer Gruppe oder Klasse. Die Kinder stellen ihre Erkenntnisse vor, laden auch mal einen Experten (z. B. Jäger) ein und stellen sich den Fragen der anderen Kinder. Um die Qualität der Präsentationen zu steigern, hat es sich bewährt, dass jede Präsentation dreimal gemacht wird. Dies führt zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein, da sie mit der Zeit immer freier sprechen können und die Scheu vor dem Publikum verlieren. Wer Kinder diesen Weg regelmäßig und über Jahre gehen lässt, wird erstaunt sein, welche Souveränität die Kinder entwickeln. Sie haben dann kein Problem mehr, vor vielen Menschen zu sprechen und ihre Meinung kundzutun.


Für das Feedback der Lerngruppe gilt die Regel, dass nur kritisch zurückgemeldet wird, wenn das betreffende Kind auch einen konstruktiven Verbesserungsvorschlag einbringt.

Vom ersten Versuch bis zur Hochform


Kinder schaffen so ca. 7 Themen pro Jahr. Als Einstieg bietet sich ein Gruppenthema an, das in Unterkapitel zerlegt wird und die Kinder in Kleingruppen bearbeiten. Dort lernen sie die ersten Techniken, wie ein Thema bearbeitet wird. Dann können bereits erste Versuche gemacht werden. Wer die Kinder bei der Arbeit beobachten kann, wird erstaunt sein, mit welchem Engagement sie arbeiten.

Lerntheoretisch bewegt man sich hier auf einer konstruktivistischen Schiene, die dem Menschen in seiner Persönlichkeit gerecht wird und das Kind ernst nimmt. Dieses Modell ist aber nicht nur für die Grundschule geeignet; es lässt sich ohne Probleme bis zur Oberschule umsetzen. Grundlegend ist jedoch, darauf zu achten, dass die Qualität kontinuierlich gesteigert wird und die Kinder und Jugendlichen einen Fundus an Techniken, Strategien und Verfahren erwerben, der für ihr zukünftiges Leben eine Erleichterung darstellen kann.

Mit diesem Verfahren wird Lernen zu einem Abenteuer, das anstrengend ist, aber auch Freude macht, da die Schülerinnen und Schüler sich selbst einbringen.

Weitere Informationen finden Sie unter:

http://www.blikk.it/angebote/reformpaedagogik/rpg3000.htm

 
Christian Laner ist Mitarbeiter des Bildungsressorts im Bereich Innovation und Beratung mit den Schwerpunkten Unterrichtsentwicklung nach reformpädagogischen Konzepten und Medienbildung.

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