Bildung für nachhaltiges Denken und Handeln

Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist heute in aller Munde. Es wird aber in ganz unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht. „Ich bin nachhaltig dafür, dass …“ meint, „Ich bin sehr dafür.“ „Wir brauchen einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung! - Wir brauchen ein nachhaltiges Lernen!“ meint, dass hier eine möglichst lang anhaltende Wirkung vonnöten ist.

von Arno Teutsch und Martin Peer

 

Eine ganz andere Bedeutung hat „nachhaltig“ im Sinne der „nachhaltigen Entwicklung“. Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und besagt, dass immer nur so viel Holz gefällt werden soll, wie nachwachsen kann. Nur so ist eine dauerhafte Nutzung möglich. „Schlage nur so viel Holz ein, wie der Wald verkraften kann! So viel Holz, wie nachwachsen kann!“ (Hans-Karl von Carlowitz: Silvicultura oeconomica“, 1713)

 

Seither hat sich der Begriff weiterentwickelt. Wichtige Etappen dafür waren 1972 der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, 1987 die Brundlandt-Kommission der Vereinten Nationen und die zwei Weltkonferenzen der Uno 1992 in Rio de Janeiro und 2002 in Johannesburg. Der Brundlandt-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung stellt fest, dass globale Umweltprobleme das Resultat der großen Armut im Süden und der nicht nachhaltigen Konsum- und Produktionsmuster im Norden der Welt sind. Er verlangt eine Strategie, die Entwicklung und Umwelt zusammenbringt: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

Damit rückt der Gedanke der Gerechtigkeit in das Zentrum und wird zum eigentlichen verbindenden Element der „Nachhaltigen Entwicklung“. Neben diesen zeitlichen und räumlichen Dimensionen beinhaltet Nachhaltigkeit in der Entwicklung die Vernetzung der drei inhaltlichen Dimensionen „Umwelt“, „Wirtschaft“ und „Gesellschaft“: Es gibt einerseits langfristig keinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt ohne intakte Umwelt, andererseits keine intakte Umwelt, wenn Menschen um ihre (wirtschaftliche) Existenz kämpfen müssen.

Nachhaltigkeit lernen kann auch aus dem Blickwinkel der „Freiheit“ gesehen werden. Der Nobelpreisträger für Wirtschaft und politische Philosoph Amartya Sen versteht Entwicklung als eine Zunahme von menschlichen Handlungsmöglichkeiten. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung muss demnach darauf abzielen, dass jede und jeder Verantwortung dafür trägt, dass die Handlungsmöglichkeiten der Menschen fair und gerecht verteilt sind. Unser heutiges Handeln darf die Freiheit zukünftiger Generationen nicht einschränken. Ebenso wenig dürfen wir hinnehmen, dass in anderen Regionen der Welt die menschlichen Handlungsmöglichkeiten bereits heute dramatisch beschränkt sind.

Über Bildung
Was ist Bildung? Es gibt viele Definitionen davon, aber in allen ist ausgesprochen oder unausgesprochen enthalten: Bildung heißt, Zusammenhänge begreifen. Die seit Langem beherrschende Tendenz in allen unseren Bildungssystemen ist die Spezialisierung, die Zusammenhänge zerschneidet und zerstört.


Die Spezialisierung wird weiter fortschreiten und auch fortschreiten müssen. Es ist aber eine äußerst gefährliche Entwicklung, denn wenn wir schließlich alle Spezialisten für irgendetwas Bestimmtes sind, kann niemand mehr die Zusammenhänge überblicken, die es ja gibt, und wir werden wirklich alle miteinander abhängig von der Macht der sogenannten Experten und Expertinnen mit ihrem jeweiligen Tunnelblick. Das Schlimme ist nur, dass jeder Experte selbst nur von seinem Tunnel etwas versteht und mithin bald niemand mehr über die Landschaft zwischen all diesen Tunnels kommunizieren kann.

Nachhaltigkeit und Bildung
Neben dem eigenen Spezialgebiet auch nach rechts und links zu schauen, überhaupt einmal zu sehen, dass es da etwas gibt, das ist im Grunde auch die Voraussetzung für die „nachhaltige Entwicklung“. Positive Bildungsmerkmale sind also Transdiszi-plinarität und Querdenken, sind Flexibilität, also die Bereitschaft, nicht auf einer angeblichen Wahrheit zu beharren, sondern sie immer wieder in Frage stellen zu lassen, sind Kooperationsfähigkeit, also die Bereitschaft, mögliche gemeinsame Inter-essen und Handlungsmöglichkeiten auszuloten, sind ganz allgemein Kreativität, also nicht nur alles immer solide und angeb-lich richtig machen zu wollen, sondern unvoreingenommen nach neuen Wegen zu suchen, selbst dann, wenn einer, der gangbar ist, schon gefunden wurde. Dies hat auch mit Vielfaltsliebe zu tun. Vielfalt ist meistens nichts Überflüssiges. Es ist die bewährte Methode der Evolution, nicht alles auf die Karte eines einzigen richtigen Weges zu setzen, sondern grundsätzlich immer auch nach Alternativen zu suchen.

Gestaltungskompetenz und „offene Zukunft“
Das Neue der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung gegenüber der traditionellen Umwelt- und entwicklungspolitischen Bildung ist, dass sie nicht mit Bedrohungsszenarien arbeitet. Durch Bildung sollen den Menschen Möglichkeiten eröffnet werden, auf individueller, aber auch auf gesellschaftlicher bzw. weltweiter Ebene die Herausforderung anzugehen, neue Modelle und Formen des Zusammenlebens, des Wirtschaftens, des politischen Handelns zu finden. Wichtig ist, dass das Neue, das gebraucht wird, weithin noch nicht bekannt ist, sondern vielfach erst zu entwickeln, zu erarbeiten und zu erfinden ist. Es gilt also in der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung Lernen in einer Weise zu gestalten und zu fördern, die zukunfts-orientiert im Sinne von zukunftsoffen ist.

Eine unabdingbare Voraussetzung für ein „Neuerfinden unseres Lebens und unserer Welt“ und damit erstes Ziel der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ist aber, dass wir überhaupt glauben und überzeugt sind, dass wir eine Möglichkeit der Gestaltung haben. Dass wir erkennen, dass z. B. unsere Formen des Wirtschaftens auf kulturellen Regeln beruhen, die von Menschen geschaffen und damit auch wieder verändert werden können, also keine Naturgesetze sind. Dass wir das Gegebene nicht einfach akzeptieren, sondern uns aktiv in die Gesellschaft einbringen und an deren Gestaltung mitwirken.

Eine Frage, die sich hier stellt, ist, ob Schule, Weiterbildung usw. nicht oft zu brav sind und ob sie nicht „politischer“ sein sollten. Anders ausgedrückt: Sollen sie im Wesentlichen „nur“ eine An-passungsleistung an die Anforderungen unserer Gesellschaft leisten oder sollen sie mehr und klarer auch den Widerstand und den Willen zur Veränderung fördern?

„Träumen Räume geben“
Lehrgang „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“
März bis November 2013

Informationen unter „Aktuelles“ auf: www.provinz.bz.it/weiterbildung

 
Arno Teutsch ist Landwirt, Soziologe und Publizist.
Martin Peer ist zuständig für Projekte und Ausbildung der Mitarbeiter/innen im Amt für Weiterbildung in Bozen.

THEMA