V.A.S. 

Hochverehrte Leserinnen und Leser!

 

Ich gestehe in aller Offenheit, dass ich nutz- und brotlose Fächer wie Kunst, Musik, Philosophie oder Mathematik ohne zu zögern abschaffen würde. Das Studium solcher Luftschlösser führt nur dazu, dass unsere Jugendlichen die Köpfe in die Wolken stecken und die Bodenhaftung verlieren. Leider sind im Zuge der letzten Schulreform Rechts- und Wirtschaftsfächer stark eingeschränkt oder gar abgeschafft worden. Dabei erarbeiten sich junge Menschen gerade in diesen Bereichen die heute lebensnotwendigen Kompetenzen. In BWL lernen sie zum Beispiel, wie man Steuern hinterzieht oder wie man Bilanzen fälscht. Nicht zu vergessen die Kompetenz, undurchsichtige Firmengeflechte zu konstruieren oder Steuerparadiese anzusteuern. Eine gute Lehrkraft befähigt die Schüler/innen, Insidergeschäfte zu tätigen, Briefkastenfirmen anzulegen oder vorteilhafte Schwarzgeldanlagen zu machen.

Im Rechtskundeunterricht erlangen junge Erwachsene die ergänzenden Fähigkeiten, die zu einem vollwertigen Mitglied unserer marktorientierten Gesellschaft führen: Heute muss man wissen, wie man Konkurrenten mit Serienklagen lähmt, wie man den Instanzenweg ausreizt oder wie man die Geschwister bei der Erbfrage richtig ausbooten kann. Wollen Sie Erfolg haben, müssen Sie wissen, welche Anwaltskanzlei die höchsten Schadensersatzklagen durchgeboxt hat, wie man vor dem Konkurs die gesunden Teile der Firma auf die Frau überträgt, wie man Schlupflöcher in der Gesetzgebung findet und wie man durch Betrug an die höchsten Landes- und EU-Fördergelder kommt.

Das führt zum letzten, unverzichtbaren Bereich, zur Politik. Welche Fähigkeiten moderne Politiker/innen des 21. Jahrhunderts benötigen, muss ich Ihnen wohl nicht näher erläutern; zu deutlich wird uns das von unseren Politikprofis vorgeführt. Wenn ich mir unsere derzeitige wirtschaftliche und politische Landschaft ansehe,  fällt mir auf, dass wir in der Vergangenheit offensichtlich viele gelehrige Schülerinnen und Schüler hatten. Aber vielleicht ist gerade das der Grund, warum genau dieselben Leute die eingangs erwähnten Kürzungen durchboxten. Schon Kant wusste: „Nachdem die Obrigkeiten ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Der Mensch hat diese Unmündigkeit liebgewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.“Mathe und Latein sind Opium fürs Volk. 

Herzlichst

 

Ihr Ehrenfried Schullerer

 

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