Verunglimpfte Tugend
Als im Jahr 2008 die Wirtschaftskrise so richtig ins Bewusstsein der Menschen und in die Medien gelangte, da hörte man tagaus tagein aus Politikermunde (wenn sie die Krise nicht gerade leugneten), man müsse den Konsum stärken, um das Schlimmste abzuwenden. Mir war diese Gegenmaßnahme immer suspekt, denn es schien mir irgendwie paradox und widersinnig, wenn nicht gar unsinnig, den Konsum stärken zu wollen, wenn das Geld fehlt. Da läuft doch in der Vorstellung und Interpretation unserer Lebensweise etwas schief. Zwar erklärten mir dann sowohl mein wirtschaftskundiger Bruder als auch ein nicht minder kompetenter Freund fast überzeugend, warum die Wirtschaft wachsen müsse, wenn man die Krise in den Griff bekommen wolle, aber ich werde letzten Endes die Vermutung immer noch nicht los, dass hier etwas in der Theorie zwar durchaus logisch und konsequent und richtig sein mag, aber im täglichen Leben als Handlungsmaxime untauglich ist. Denn wohin Konsumkredite führen (und die braucht man, wenn man konsumieren will, aber kein Geld hat), wissen wir. Die Regeln, nach welchen die Wirtschaft funktioniert, oder besser, welche die Wirtschaft vorgibt, scheinen ein Dogma zu sein, die selten jemand in Frage stellt. Die Macht des Geldes besteht darin, dass man entweder überhaupt nicht darüber redet und es so zu einer Selbstverständlichkeit macht, die es nicht ist, und folglich des Öfteren sich ganz unreflektiert in einer finanziell kritischen Situation wiederfindet: Die Tochter eines Bekannten meinte kürzlich, wenn Papa kein Geld mehr habe, dann könne er ja einfach zum Bancomat gehen. Zugegeben, sie ist sechs Jahre alt, aber ihre Wahrnehmung von der Verfügbarkeit des Geldes ist vielleicht nicht einmal ganz so kindlich. Oder man redet ständig darüber, allerdings getarnt hinter Begriffen wie Wachstum, Wohlstand und Konsum, Spread, Investition und Lohn. Denn „Geld“ ist ein nahezu verpönter Begriff. Nur einer wagte es schon 2008 zu Beginn besagter Krise, eine etwas andere Sichtweise einzubringen, die mir schon besser gefiel: In einer bekannten italienischen Sendung sagte der damalige Landeshauptmann von Sardinien Soru, dass er noch nie gesehen habe, dass man mit Geldausgeben die Geldnot in den Griff bekommen hätte, und wenn er an seine Eltern denke, so hätten diese Zeit ihres Lebens die Lebenshaltungskosten durch eine achtsame Sparsamkeit gemeistert. Leider sind „sparen“ und „Sparsamkeit“ Worte, für die sich der, der sie für die Beschreibung des eigenen Umgangs mit Geld in den Mund nimmt, bisweilen schämt („spending review“ klingt da schon besser!). Wir sind eine Generation, die im Schlaraffenland aufgewachsen ist, und Sparsamkeit scheint eine Tugend aus anderen Jahrhunderten oder eine Schönrederei von Geiz (wobei dem ja zugeschrieben wird, geil zu sein). Dabei tut man dem Begriff aber wirklich Unrecht! Und eigentlich müsste das Wort wieder in unseren und unserer Kinder aktiven Wortschatz eingehen. Jedenfalls ist es ein wichtiges Signal, dass die Caritas in Zusammenarbeit mit dem Schulamt das Projekt „Finanz-führerschein“ ins Leben gerufen hat, um den Jugendlichen das Wesen und den Wert des Geldes und seine verantwortungsvolle Handhabe näherzubringen. Jugendliche laufen oft mit immer größeren Scheinen herum, deren Wert sie nicht wirklich kennen. Selten machen sie sich Gedanken über den Ursprung ihres Taschengeldes, aber hie und da trifft man sie doch: Eine Schülerin meinte einmal, sie wolle und habe das Recht zu wissen, wie viel ihre Eltern verdienen. Was zunächst als forderndes Selbstverständnis einer Jugendlichen aussah, entpuppte sich in der weiteren Diskussion als reifes Bewusstsein: Sie wollte wissen, wie viel zur Verfügung steht, um zu lernen, wie man damit umgeht. Eine andere Schülerin erzählte einmal im Vertrauen, dass sie eigentlich schon seit ihrer Kindheit versuchte, über ihr Taschengeld Buch zu führen, etwas beiseite zu legen und dass sie dadurch nun ein wenig finanzielle Unabhängigkeit in Bezug auf kleine Lebensbereiche erreicht habe. Obwohl sie aus wohlhabendem Hause stammt, legt sie Wert darauf, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Eine gesunde Reflexion und ein verantwortungsvoller Umgang mit den eigenen Ressourcen kann dazu beitragen, die eigenen Möglichkeiten auszuloten und die eigenen Grenzen zu kennen, sich nach einer anderen Genugtuung umzusehen und sich so ein Stück Freiheit dem Konsum gegenüber zu sichern. Eine insgesamt nachhaltigere und ethisch vertretbare Haltung.
Fanni A. Storch |
ZAUN GAST
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