"Sehen und gesehen werden"

Am 22.04.2013 wurde an der Freien Universität Bozen die Wanderausstellung „Sehen und gesehen werden. Partizipative Fotografie mit Flüchtlingen“ eröffnet. Die Ausstellung ist das Ergebnis einer zweijährigen Arbeit des Fotografen Georg Hofer mit westafrikanischen Gastarbeitern, die durch den Bürgerkrieg in Libyen 2011 zu Flüchtlingen wurden.

von Elisabeth Tauber

 

„Flüchtlinge sind keine Touristen. Flüchtlinge sind eine Bedrohung für jene, die glauben, dass die Kontinuität ihrer Existenz selbstverständlich und für immer gedacht sei. Flüchtlinge verkörpern die Fragilität, die das Leben ausmacht: (…) Die optischen Medien werden für die Flüchtlinge nicht Mittel der Welteroberung, sondern Mittel der Identitätssicherung.“ (Ursula Baatz; 1999)

Das Fotoprojekt, das von mir wissenschaftlich begleitet wurde, legt den Fokus in „Sehen und gesehen werden“ sowie „Sehen lernen“ auf die Partizipation der Flüchtlinge.

Die Methode der partizipativen Fotografie wird in der Arbeit mit marginalisierten Gruppen und auch mit Flüchtlingen in verschiedensten Kontexten weltweit eingesetzt. In diesem Ansatz wird von den „Flüchtlingen“ als aktiven, reflektierenden und sinnstiftenden Menschen ausgegangen, die, entgegen der medialen Darstellung von Flüchtlingen als passiven Opfern, als handlungsfähige Subjekte auftreten, um ihren fotografischen Blick und ihre Reflexion einzubringen.

Ab Oktober 2011 beginnt Georg Hofer die Menschen, die als Flüchtlinge im “Fischerhaus” in Vintl untergebracht sind, regelmäβig zu besuchen. Ab November 2011 haben wir das nötige Budget, um zwei einfache Laptops und sechzehn Digitalkameras zu kaufen. Die ersten Fotos entstehen im verschneiten Vintl. Nach fünfmonatiger intensiver fotografischer Arbeit mit bis zu sechzehn Fotografen geht das Projekt in die zweite Phase „Sehen lernen”, in der das Fotomaterial – mehr als 7.000 Fotos – von den verschiedenen Fotografen des Projektes ausgewählt und für die Ausstellung beschrieben wird.

Angeregt durch die Erzählungen der Flüchtlinge über ihre Familien, Herkunftsorte und Erfahrungen der Flucht geht das Projekt in eine dritte Phase, in der die Wege von Afrika nach Vintl fotografiert werden: „Ways to Vintl”. Georg Hofer macht sich im Februar 2013 mit seiner Kamera und den Heimatadressen von Bami Traorè (Burkina Faso) und George Ampomah (Ghana) auf, um Migrations- und Fluchtwege sowie Fluchtursachen fotografisch zu dokumentieren.

Die Ausstellung gliedert sich in zwei groβe Teile:

Der erste Teil „Sehen und gesehen werden” beziehungsweise „Sehen lernen” zeigt Fotografien und reflektierende Texte zu den Bildern, die die „Fischerhausbuibm” und der Fotograf in Vintl entwickelt haben.

Der zweite Teil „Ways to Vintl” beschäftigt sich mit fünf Themen: Armut als Fluchtursache, der Besuch der Familie von Bami Traorè, der Besuch der Familie von George Ampomah, die Stadt Agadez als Zentrum für organisierte Migration und Agbogbloshie als Beispiel für Landflucht sowie die vielschichtigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen europäischen Konsumverhaltens.

Die Ausstellung wird von zwei weiteren Elementen begleitet. Es sind dies:

  • eine PVC Plane, auf der die Migrationsrouten in Afrika und von Afrika nach Europa schematisch dargestellt werden.
  • ein groβformatiges Begleitheft mit sozialanthropologischen Beiträgen von Barabara Sorgoni und Elisabeth Tauber zur institutionellen Wahrnehmung von Flüchtlingen und der Bedeutung von Bildspuren in der fotografischen Arbeit sowie einem Bild-Text zur internationalen und italienischen Flüchtlingsthematik von Monika Weissensteiner. Die Beiträge behandeln die vielschichtigen rechtlichen, sozialen, kulturellen und visuellen Prozesse der Begegnung mit Menschen, die zu „Flüchtlingen” wurden.

„Die Fotos und die Texte dieser Ausstellung helfen uns, über uns selbst nachzudenken und das, was uns nur deshalb als selbstverständlich erscheint, weil wir daran gewöhnt sind, mit anderen Augen zu betrachten. Auch das, was wir nicht hinterfragen, weil es uns nicht zu betreffen scheint, auch wenn es hier geschieht.“ (Barbara Sorgoni; 2013, Begleitheft S. 4)

Downloads für organisatorische Hinweise, Anmeldeformular und aktuelle Termine finden Interessierte unter:

http://www.provinz.bz.it/aktionstage

Die Ausstellung kann im Amt für Weiterbildung ausgeliehen werden.

Kontakt: Brigitte Foppa brigitte.foppa@provinz.bz.it

Ab Herbst 2013 wird der Bereich Innovation und Beratung/Kompetenzzentrum/Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund didaktisches Material zur Ausstellung zur Verfügung stellen.

 

Kontakt: Inge Niederfriniger,

Inge-Elisabeth.Niederfriniger@provinz.bz.it

Literatur

Baatz, Ursula (1999): Flüchtlinge sind keine Touristen. Auf: www.sylviakummer.com. Letzter Zugriff: April 2012

Sorgoni, Barbara (2013): „Prima di valutare la gente, ti devi prendere il tempo di conoscerli”

Vedere ed essere visti in un progetto per richiedenti asilo.

Begleitheft „Sehen und gesehen werden/Vedere ed essere visti”.

Amt für Weiterbildung, Autonome Provinz Bozen.

Elisabeth Tauber hat das Projekt wissenschaftlich begleitet. Sie lehrt und forscht an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen Soziale und Kulturelle Anthropologie. E-Mail: Elisabeth.Tauber@unibz.it

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