Rechtsbewusstsein anbahnenBeim Schuleintritt verfügen die Kinder über ganz unterschiedliche Kompetenzen. Sowohl genetische Veranlagungen als auch Erziehung haben ihren Charakter und ihre Persönlichkeit geprägt und auch ihr Rechtsbewusstsein hat sich unterschiedlich entwickelt. Doch welcher Stellenwert kommt der Grundschulzeit bei der Entwicklung des Rechtsbewusstseins zu? von Johanna Mitterhofer
In jeder Klassengemeinschaft lassen sich die Schülerinnen und Schüler drei Gruppen zuordnen, die sich in der Wahrnehmung des Gemeinwohls stark voneinander unterscheiden. So gibt es:
Der Großteil der Kinder ist dabei den ersten beiden Gruppen zuzuordnen, doch in einigen Klassen gibt es vereinzelt Kinder, denen allgemeine Regeln nicht einleuchten und bei denen eigene Interessen und Bedürfnisse so sehr dominieren, dass ihnen ihre Mitschüler/innen und ihre Umgebung unwichtig sind. Für jede Lehrperson ist es nun eine Herausforderung, bei all diesen Kindern, egal welcher Gruppe sie zuzuordnen sind, das Rechtsbewusstsein zu stärken bzw. ein solches anzubahnen. Nur dann kann eine Klasse zur Gemeinschaft werden, in der alle aufeinander Rücksicht nehmen und in der jede/r ihre/seine Bedürfnisse wahrnehmen und befriedigen kann, solange kein anderer/keine andere darunter leidet. Denn genauso wichtig wie das Gemeinwohl ist auch, dass die Schüler/innen zulassen und äußern dürfen, was sie selber möchten oder nicht wollen. In vielen Gesprächen – im Klassenverband, in der Kleingruppe und unter vier Augen – wird dies in den Vordergrund gestellt.
Konsequenz
Doch was mache ich als Lehrperson mit den Kindern, die ihren Spaß daran haben, wenn sich andere ärgern, wenn sie andere verletzen können (auch nur verbal) und die sehr kreativ dabei sind, sich kleine Bosheiten auszudenken und Unruhe zu stiften? In gemeinsamer Arbeit werden klare Regeln für die Klassengemeinschaft erstellt. Grundlage für diese Regeln ist das Gemeinwohl. Bei Regelverstößen ist abzuwägen, ob sie mit den Kindern einzeln oder im Klassenverband besprochen werden. Konsequenzen sollten allen bekannt sein und das Androhen darf auf keinen Fall zur täglichen Routine werden. Also muss ich die Konsequenzen so wählen, dass sie zum einen dem Regelverstoß angemessen sind, zum anderen nach einer mündlichen Ermahnung auch angewandt werden. Denn einige Kinder loten ihre Grenzen immer wieder aus und legen es darauf an, zu erfahren, wie weit sie gehen können, bis sie für ihr Handeln bestraft werden. Diesen Kindern tue ich nichts Gutes, wenn ich Nachsicht statt Konsequenz walten lasse; ansonsten werden sie sich immer einen Schritt weiter nach vorne wagen und versuchen, Regeln zu umgehen oder sogar zu ignorieren.
Erinnerungen
Wie sehr unsere Lehrer/innen der Grundschule auf das Einhalten von Regeln achteten, kann ich mich nicht mehr erinnern, doch wenn ich an meine Mittel- und Oberschulzeit zurückdenke, dann habe ich gerade jene Lehrerinnen und Professoren geschätzt, die streng und zugleich gerecht waren. Doch was wurde (und wird auch heute noch) als ungerecht empfunden? Es verletzt den Gerechtigkeitssinn und das Rechtsbewusstsein der Kinder und Jugendlichen schmerzlich, wenn bei einigen Lehrkräften einer Klasse oder eines Klassenzuges gewisse Regeln gelten, die bei anderen nicht angewandt oder einfach übergangen werden. Soweit eine Beobachtung, die ich zu meinen Schulzeiten genauso machte wie heute. Den Unterricht empfand ich als angenehm, wenn eine bestimmte Disziplin und Arbeitsatmosphäre herrschte, wenn es ruhig war und man sich konzentrieren konnte. Und schon nach den ersten Stunden war uns Schülerinnen und Schülern klar, bei wem man sich bestimmte Verhaltensweisen leisten konnte und wer diese nicht tolerierte. Wir Schüler/innen beobachteten die Reaktionen der Lehrkräfte genau, und es war immer schon so, dass die einen die Grenzen mehr ausloteten als die anderen. Doch unsere Anerkennung und unseren Respekt hatten sicher nicht jene Lehrpersonen, bei denen man sich (fast) alles leisten konnte. Dabei möchte ich außer Frage stellen, dass wir wussten, was richtig und falsch war, bzw. wie wir uns zu verhalten hatten. Es hat sich im Schulwesen im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte wohl viel geändert, nicht aber die Grundlage einer guten Klassengemeinschaft: das Rechtsbewusstsein. Dass heute mit weniger Strenge und Konsequenz das Einhalten der Regeln eingefordert wird, ist für einige Schüler/innen sicher nicht von Vorteil.
Grundregeln erarbeiten
Ich bin im heurigen Schuljahr Klassenvorstand einer fünften Grundschulklasse und im Januar stand ein zweitägiger Ausflug nach Osttirol zu einer Partnerklasse an. Die Klasse ist eine nette Gemeinschaft, in der alle die Einsicht haben, dass das Gemeinwohl vorrangig ist und eigene Bedürfnisse nur dann akzeptiert werden können, wenn sie das Gemeinwohl nicht untergraben. Trotzdem gibt es immer wieder einige Schüler, die – zum Teil auch ganz bewusst – an ihre Grenzen gehen und Ermahnungen herausfordern. Um nicht während der beiden Tage ständig ermahnen zu müssen und auf Regeln zu verweisen, wurden demokratische Grundregeln erarbeitet. In Kleingruppen wurden nach dem Motto „Was ist uns wichtig? Was ist erlaubt?“ allgemeine Verhaltensregeln gesammelt und festgehalten. Im Klassenverband wurden die einzelnen Regeln vorgelesen und darüber diskutiert. Interessanterweise kam ein Großteil der Inhalte in unterschiedlicher Formulierung in allen Gruppen vor, was wohl davon zeugt, dass das Grundwissen zu den allgemeinen Verhaltensregeln in der Gemeinschaft bei allen verankert ist. Wir einigten uns auf Formulierungen, die klar verständlich und eindeutig waren. Die Schüler/innen hielten diese auf bunten Kärtchen fest. Bevor die Kärtchen auf ein großes Plakat geklebt wurden, wurden die Aufforderungen nochmals von dem Schreiber/der Schreiberin vorgetragen und allen bewusst gemacht. Das Plakat mit den demokratischen Grundregeln wurde sowohl von den Kindern als auch von den begleitenden Lehrerinnen unterschrieben und dann aufgehängt. Die meisten dieser Regeln waren nicht nur für den Ausflug grundlegend, nein, nach meinem Ermessen sind sie die Basis jedes Zusammenlebens in einer Gemeinschaft. |
PRAXIS
|
---|