Ethik in der Wirtschaft? Und es gibt sie doch!
Die Heuschreckenwirtschaft des 21. Jh. lässt Zweifel aufkommen, ob Moral und Ethik in der Wirtschaft gewünscht sind. Soll die Schule das überhaupt thematisieren? „forum schule heute“ hat drei Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Schule in einem Rundgespräch zu Wort gebeten. Die Diskussion ergab auch Überraschendes. f Ist in unserem Wirtschaftssystem überhaupt Platz für ethisches Handeln? Erwin Rauch: Ethisches Handeln findet immer weniger Platz. In wirtschaftlich guten Zeiten ist mehr Wille, mehr Geld, mehr Bereitschaft für soziales, moralisch ethisches Handeln vorhanden als in Krisenzeiten. Für Unternehmer ist es derzeit sicherlich schwieriger, ethisch zu handeln. Man denke da nur an die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die sich mit global agierenden Konkurrenten aus China, Indien oder verschiedenen Niedriglohn-ländern auseinandersetzen müssen. Wenn man da nicht anfängt, mit harten Bandagen zu arbeiten, kann man auf der Strecke bleiben. Wolfgang Lanz: Wenn wir von Wirtschaftsethik sprechen, dürfen wir die Rolle der Konsumenten nicht vergessen. Wir können von den Unternehmen nicht hohe Maßstäbe in Bezug auf ethisches Handeln verlangen, wenn wir auf der anderen Seite Konsumenten haben, die Druck auf die Unternehmen ausüben, indem sie beinhart den Preis kalkulieren und im Internet dem weltweit günstigsten Preis hinterherjagen. Diesen Typus von Konsumenten finden wir auch in unseren Schulbänken. Lanz: Ja, und gerade deswegen legen wir großen Wert darauf, junge Menschen zu einem bewussten und reflek-tierten Konsumverhalten zu erziehen und ethisches Handeln aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, aus betriebswirtschaftlicher, aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Würden wir also die eingangs gestellte Frage ohne die jetzige Krise nicht diskutieren? Rauch: Die Krise ist ein Grund mehr, dass diese Frage in dieser Zeit auftritt. Alfred Mitterdorfer: Die Wirtschaft tut alles, was ihr einen Nutzen bringt. Ethik kann somit auch ein Geschäft sein. Was bedeutet es für ein internationales Unternehmen, wenn plötzlich herauskommt, dass es unter unmenschli-chen Bedingungen produzieren lässt? Zum Beispiel hat Lacoste in jener Firma in Bangladesch produzieren lassen, die kürzlich eingestürzt ist. Unternehmen, die unethisch handeln, riskieren Skandale und damit hohe Umsatz-verluste. Dann kann Ethik ein kommerzielles Instrument werden, das man auch vermarkten will. Die Wirtschaft tut alles, was Geld bringt. Aber ist das, was hinter einem Firmennamen gelebt wird, wirklich in dem Sinne, was wir unter Ethik verstehen? Der Dalai Lama hat bei seinem letzten Besuch in Bozen sehr nett unseren Landeshaupt-mann gerügt, indem er sagte, Ethik zähle nur dann, wenn sie aufrichtig gelebt werde. Finden Sie das kommerzielle Geschäft mit der Ethik gut oder schlecht? Mitterdorfer: Ethik hat erst einen Wert, wenn sie gelebt wird und zwar von mir und von uns allen. Solange sie instrumentalisiert wird, ist sie nicht als positiv zu sehen. Handelt es sich bei Wirtschaftsethik nicht um ein Luxusproblem? Kommt nicht bekanntlich erst das Fressen und dann die Moral? Mitterdorfer: Nein. Wir leben in einer Zeit des Werteverfalls, in einer Zeit der Überproduktion, in der alles recht ist, um etwas an den Mann zu bringen. In der Krise kann Ethik ein Wirtschaftsfaktor sein, so dass ich mich gerade in der Krise behaupten kann, beispielsweise wenn ich als Unternehmer ein Projekt starte, hinter dem die Caritas steht. Wir können Bill Gates dafür verurteilen, was er tut, aber Fakt ist, dass er Millionen Dollar zur Verfügung stellt. Herr Rauch, Sie kennen die Unternehmerwelt in unserem Land sehr gut. Wie schlecht steht es um die Moral bei Südtiroler Unternehmen? Rauch: Da stehen wir noch recht gut da. Die Krise hat sicherlich dazu geführt, dass vielleicht weniger moralisch oder ethisch überlegt wird als noch vor einigen Jahren, aber im Vergleich zu anderen Ländern oder auch im nationalen Vergleich sind wir sicherlich weit voraus. Das sieht man allein schon bei der Zahlungsmoral. Dennoch gelten heute Wirtschaftstreibende bzw. Manager als geldgierige Gewinnmaximierer. Ist da bereits in der Ausbildung etwas schiefgelaufen? Rauch: Manager lernen sicherlich in der Ausbildung, dass ein Unternehmen zuallererst Profit, Gewinn machen muss. Es gilt aber zu schauen, wie dieses Unternehmen das Geld verdient. Wird es moralisch verwerflich verdient? Arbeitet es vielleicht im Bereich der Rüstungsindustrie, der Atomenergie? Das könnten vielleicht verwerfliche Themen sein. Dazu fällt mir Michael Seeber (Chef der Leitner AG, Anm. d. Red.) ein, der ethisches Wirtschaften auf zwei G‘s reduziert: Gewinn mit Gewissen. Wenn ich beides vereinbaren kann, dann habe ich ein Unternehmen, das ethisch handelt. Um auf die Ausbildung zu kommen: Ich selbst habe eine technische Ausbildung genossen. Kurse oder Vorlesungen zum Thema Ethik habe ich erst an der Uni aus Eigeninteresse besucht. Vorher hat es solche im Ausbildungsangebot nicht gegeben. In den letzten Jahren hat sich da aber sehr viel getan. So gibt es beispielweise an der Uni Bozen das Fach Wirtschaftsethik. Sind Sie der Meinung, dass Oberschulabgänger das notwendige Handwerkszeug besitzen, um den Anforderungen der Unternehmen gerecht zu werden? Rauch: Ich brauche einen mündigen Arbeitnehmer, der sowohl die Fachkompetenz mitbringt als auch das tech-nisch wirtschaftliche Handwerkszeug. Dies alles wird an den Südtiroler Schulen wirklich sehr gut gelehrt. Sicherlich könnte man im Bereich der Methoden- oder im Bereich der Personal- und Sozialkompetenz noch einiges machen. Gerade in den technischen Schulen bekommt man da sehr wenig mit. Da besteht sicherlich noch Nachholbedarf. In der Debatte um den Verfall der Moral unter Managern hat der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags bereits 2009 gefordert, Wirtschaftsethik als Unterrichtsstoff in die Lehrpläne aufzunehmen. Wie stehen Sie zu einer solchen Forderung? Lanz: Die Frage ist, ob es uns weiterbringt, Wirtschaftsethik als eigenes Fach einzuführen, oder ob Wirtschafts-ethik nicht das klassische Beispiel für fächerübergreifenden Unterricht ist, weil Ethik nicht losgelöst werden kann vom Umfeld, vom Marketing, von der Produktion, vom Personalwesen usw. Mitterdorfer: Ich stimme Herrn Lanz zu. Wirtschaftsethik als eigenes Fach ist zu trocken und macht wenig Sinn. Die Schüler haben noch nicht den Bezug dazu. Sinnvoller ist, Tagesthemen herauszugreifen und fächerübergreifend zu beleuchten. Das Optimale ist natürlich der mündige Bürger, der aber eine Katastrophe für die Wirtschaft, für die Parteien, für die Kirche ist. Wer hat schon ein Interesse an einem kritischen mündigen Bürger? Die Wirtschaft nicht unbedingt. Lanz: Gerade das ist aber ein Hauptanliegen der Oberschule. All unsere Fächer, all unsere Lehrer sind eigentlich auf das ausgerichtet, auch wenn dabei vielleicht manchmal andere Inhalte auf der Strecke bleiben. Rauch: Das mit dem mündigen Bürger ist sicherlich richtig. Aber in welcher Altersstufe würde man ethische Wirtschaftsinhalte einführen? Ich denke, in den ersten Jahren sind die Schüler zu jung. Das ist eher Stoff für die vierte und fünfte Oberschulklasse. Für eine technische Schule müsste man allerdings noch jene Fächer finden, in denen wirtschaftsethische Themen behandelt werden könnten. Herr Lanz, wie nehmen Sie die Lage von der schulischen Seite wahr? Wird die Forderung nach Behandlung ethischer Wirtschaftsthemen im Unterricht lauter? Lanz: Die Wünsche nach Lehrerfortbildungen oder Unterrichtsmaterialien zu ethischen Wirtschaftsthemen sind da. Wir versuchen auch hier, verschiedene Aspekte aus ethischer Sicht zu beleuchten. Zum Beispiel haben wir im letzten Jahr Unterrichtsmaterialien zum Thema Genossenschaften ausgearbeitet. Der ethische Aspekt war da ein sehr wichtiger Punkt. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass ethische Wirtschaftsthemen in den nächsten Jahren in der Gesellschaft mehr an Bedeutung gewinnen, wenn die Wirtschaftskrise länger anhält. Wir als Schule sind nicht losgelöst von der Gesellschaft. Wie werden ethische Inhalte denn verbindlich gemacht. Werden wirtschaftsethische Zielstellungen in den Rahmenrichtlinien aufgeführt? Lanz: Wenn man die Rahmenrichtlinien daraufhin durchsieht, ob es Fächer gibt, die Wirtschaftsethik heißen, oder ob es darin ganze Abschnitte gibt, an denen die Etikette Ethik dranhängt, dann wird man vergeblich danach suchen. Aber wenn man sich die Inhalte ansieht, wird man fündig. Zum Beispiel? Lanz: Gerade in den neuen Rahmenrichtlinien haben wir eigene Kapitel wie Ökobilanz, Sozialbilanz oder Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen drin, interessanterweise auch mehrmals: einmal im Fach Volkswirtschaft, aber noch einmal im Fach Betriebswirtschaft. Dadurch lernen die Schüler diese Themen aus verschiedenen Blickwinkeln kennen. Ethische Aspekte sind aber auch mit vielen anderen Inhalten eng verknüpft: Im Bereich Personalmanagement geht es beispielsweise immer auch darum, wie sich Entscheidungen des Unternehmens auf die Mitarbeiter auswirken. Ich traue mich zu sagen, dass diesbezüglich ethische Aspekte bei jedem Lehrer eine Rolle spielen. Natürlich, die Rahmenrichtlinien lassen den Lehrern viel Gestaltungsspielraum und das war auch der Sinn der letzten Unterrichtsreform. Aber Oberschullehrer kommen um diese Themen nicht mehr herum. Sie sind nur frei darin, auf welche Art und Weise sie diese mit ihren Schülern durchmachen. Rauch: Ich glaube, der Wandel in der Gesellschaft generell trägt dazu bei, dass automatisch viele ethische Inhalte einfließen. Wenn man nur an das Konzept Corporate Responsibility denkt, so ist das ein Bereich, der eine große Bedeutung für die Unternehmen hat. Man kommt nicht umhin, die Unternehmensverantwortung jetzt auch in die Schulinhalte miteinzubauen. Herr Lanz, eines ist die Verbindlichkeit wirtschaftsethischer Themen in den Rahmenrichtlinien, aber wie viel Platz wird ihnen tatsächlich in der Oberschulausbildung eingeräumt? Lanz: Unsere Lehrer machen sehr viel in diesem Bereich. Ethik und ethisches Handeln haben einen sehr großen Stellenwert. Wir produzieren sicher keine Abgänger, die nur auf Gewinnmaximierung gedrillt werden, genauso, wie wir nicht reine Techniker oder reine Fachidioten produzieren wollen. Ich glaube, dass wir viel machen, um die Schüler auf bewusstes Handeln im Beruf vorzubereiten. Stellen Sie sich vor, Sie unterrichten an einer Oberschule. Haben sie eine konkrete Vorstellung oder Idee, wie Sie den ethischen Aspekt im Unterricht einbauen würden? Rauch: Als Lehrer würde ich verschiedene Kurse oder Angebote in Anspruch nehmen, um mich selbst für dieses Thema zu sensibilisieren und um es dann lehren zu können. Als Nächstes würde ich Möglichkeiten suchen, wie man es im Unterricht einbauen kann. Genauso würde ich Exkursionen durchführen, vielleicht Unternehmen besuchen, die ethisch handeln. Generell würde ich die Thematik aber mehr über das Praktische und vor allem über Fallbeispiele vermitteln. Da gibt es zum Beispiel in Spanien eine Molkerei, die nur Menschen mit Behinderung anstellt. Der Unternehmer hat dort versucht, im Sinne der Social Entrepreneurship ein Unternehmen aufzubauen, das sich nur dem sozialen Zweck widmet. Ich denke, wenn man als Lehrer Augen und Ohren offen hält und nach Beispielen sucht, dann kann man sehr viel finden und diese gut in den Unterricht einbauen. Lanz: Ich glaube, als Lehrer und gerade als Wirtschaftslehrer muss man bestimmte Fragen immer wieder aufwerfen, denn den 13 bis 14-jährigen Schülern ist ihr Handeln ja nicht immer bewusst. Sie kaufen ihr T-Shirt bei H&M oder kik, natürlich zu einem möglichst günstigen Preis, und sie wissen teilweise nicht, welche Konsequenzen dieser Kauf mit sich bringt. Ich muss den Schülern erst mal bewusst machen, was sie mit dem Kauf eines solchen T-Shirts alles auslösen. Es ist und muss unser ureigenes Anliegen sein, die Schüler auf die Folgen ihres eigenen Handelns und des Handelns der Wirtschaftsakteure hinzuweisen. Mitterdorfer: Als Lehrer würde mir da eher ein Fach „Wirtschaftsutopie“ vorschweben. Das Potenzial einer Utopie ist viel größer jenes einer Theorie. Die Theorien können wir zwar vergleichen, aber sie generieren nicht viel Neues. Ein konkreter Unterrichtsansatz in einem solchen Fach könnte die Frage sein, was passieren würde, wenn man das Problem Euro mit einer Sekundärwährung für Italien oder einem anderen homogenen Gebiet lösen würde. Als Lehrer würde ich zu kritischen utopischen Gedanken anregen. Die Schule lehrt Theorie und weniger Praxis, auch wenn es Übungsfirmen gibt. Die Schule, die Praxis spielt? Davon bin ich nicht ganz überzeugt. Man muss junge Menschen herausfordern, denn in ihnen steckt noch Potenzial. Ich glaube, in der Schule braucht es kreative Stunden, Freiräume, in denen man die Schüler zum eigenen kreativ - hinterfragenden Denken anregt, mit ihnen Ideen spinnen kann. Die aktuelle Entwicklung geht aber in die Gegenrichtung. Wir stopfen den Unterricht immer mehr mit Stoff voll, verbürokratisieren ihn, geben möglichst viel vor, wie es sein sollte und standardisieren den Output, den Schüler. Was gehört in einem Unterricht, immer unter dem Aspekt der Wirtschaftsethik betrachtet, zur Pflichtlektüre? Soll Aristoteles, Hobbes, Steve Jobs oder Marx gelesen werden? Rauch: (überlegt) Die Auseinandersetzung mit dem neuen Denken, dem frischen und kreativen Denken eines Steve Jobs, das man in der Biografie über ihn findet, wäre keine schlechte Idee. Mitterdorfer: Ich bin ein Fan von Rafik Schami. So wie uns die biblischen Parabeln sehr viel lehren, so sind Schamis Erzählungen gewinnbringender als die herkömmliche Fachliteratur, die wir kennen. Lanz: Ein paar gute Tageszeitungen, regelmäßig gelesen, vielleicht von unterschiedlicher politischer und ideologischer Ausrichtung. Wenn ich „DIE ZEIT“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lese, dann habe ich gute Ansätze, um mir Gedanken darüber zu machen, was richtig und was falsch ist. Ansonsten eventuell „Business class“ von Martin Suter, wo manches aus der Chefetage relativiert wird.
Das Rundgespräch moderierte Edith Benischek
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