Wege jenseits von unseligen WegweisernBeim Joggen begegnete ich kürzlich Michaela. Ich erkannte sie kaum wieder, so sonnig und blühend, wie sie war. Ich kannte sie als ein Mädchen, dem der Ehrgeiz der Eltern die letzte Kraft geraubt hatte und das keine Zeit und Energie gefunden hatte, sich seelisch wie körperlich zu entfalten. Als ich sie das letzte Mal bei der Zeugnisübergabe vor einem Jahr verabschiedet hatte – sie war unter anderem auch wegen eines Ungenügend in meinem Fach nicht versetzt worden – da schien mir hinter ihrer Verzweiflung irgendwie die Hoffnung durchzuschimmern, dass sie nun endlich ihren eigenen Weg gehen dürfe. Ich habe häufig Schwierigkeiten und empfinde es manchmal als Anmaßung, wenn ich Eltern darauf hinzuweisen versuche, dass ihr Kind vielleicht besser einen anderen Bildungsweg einschlagen sollte, denn wer sollte ein Kind besser kennen als die Eltern? Die aber sind manchmal verblendet, von eigenen Erwartungen, eigenen Komplexen, die das Kind lösen soll, von einem Ehrgeiz also, der zu hinterfragen ist. Bei den Eltern von Michaela jedenfalls war es so und die zahlreichen Gespräche mit ihnen trugen das offen zu Tage. Eltern wollen das Beste für ihr Kind, aber das von einem klischeehaften Denken als das „Beste“ Definierte ist es nicht immer wirklich. Das Beste ist das, was einem Menschen am ehesten entspricht. Vermutlich haben sich in Ihrem Kopf, geschätzte Leserinnen und Leser, gerade in diesem Moment die ungefähren (Bildungs-)Koordinaten beschriebener Episode herauskristallisiert, auch wenn ich das überhaupt nicht wollte – es beweist, welch klischeehaftes Denken hinter unseren Bildungsvisionen steckt. Man kommt kaum davon los. Als im Juni eine Statistik veröffentlicht wurde, die aufzeigte, dass in Südtirol die Akademikerrate italienweit die niedrigste sei, äußerte sich der Landeshauptmann folgendermaßen: „Mir ist ein guter Handwerker lieber als ein schlechter Akademiker.“ Zwar habe ich durchaus verstanden, wie es der Landeshauptmann meinte, aber ich will diese Äußerung doch mal genauer unter die Lupe nehmen: Sie zeigt doch augenscheinlich auf, welche Denkmuster in Bildungsfragen die Gesellschaft immer noch prägen (Sprache verrät!): Die Vermischung von Qualitätsmerkmalen und Bildungswegen (ich sage bewusst nicht „Bildungsstufen“ oder „Bildungsniveaus“!) – so als wäre ein guter Handwerker per se, von Natur aus, notgedrungen ein schlechter Akademiker oder ein guter Akademiker sowieso ein schlechter Handwerker oder aber ein schlechter Akademiker ein guter Handwerker und ein schlechter Handwerker ein guter Akademiker. Also irgendwie gefällt mir diese Gleichung nicht. Immer diese unheilbringenden Bewertungen! Die Berufsmatura könnte dem vielleicht entgegenwirken, nebenbei gesagt. Nebenbei gesagt möchte ich auch Folgendes haben: Es wird oft über den Unterschied von Bildung und Ausbildung gesprochen, aber auch da hinkt die Argumentation meines Erachtens oft und geht häufig unselige Wege; die Bildung muss sich gegenüber der Ausbildung rechtfertigen und umgekehrt. Eine Pattsituation. Man täte oft gut daran, in diesen Diskussionen vorsichtiger zu sein. Der Bildungsbegriff ist zu komplex, als dass er in solchen Kontexten und gleichungsmäßigen Zuordnungen verwendet werden kann. Schauen wir doch eine andere Statistik an: Italien und Spanien sind jene europäischen Länder mit der höchsten Akademikerquote, aber auch mit der höchsten Arbeitslosenquote unter den Akademikern. Österreich hat eine der niedrigsten Akademikerquoten, aber auch kein Problem mit Arbeitslosigkeit. Das ist doch auch beachtenswert, oder? Aber Achtung: Ich will hier bei Gott nicht denen den Mund reden, welche die Entscheidung für einen Bildungsweg von ökonomischen Bedürfnissen abhängig machen wollen (nichts liegt mir ferner!), denn die Ökonomie mit ihren nicht immer durchschaubaren Spielregeln darf kein ausschließlicher und kann kein verlässlicher Richtungsweiser in Bildungsentscheidungen, also Lebensentscheidungen, sein. Mich für etwas zu entscheiden, das ich mir wünsche, das mir liegt, das mir Möglichkeiten zur Entfaltung bietet, das ist eine Freiheit, die ich mir nehme und mir nicht nehmen lasse. Aber bitte im Bewusstsein, dass es auch nicht nur den einzigen, seligmachenden Bildungsweg im Leben gibt – nach dem Prinzip: wehe, wer ihn nicht rechtzeitig findet. So wie es nicht den einen, einzigen, erfüllenden Beruf für mich gibt. Das wäre traurig und ich wäre Gefangene meiner eigenen aussichtslosen Ausschließlichkeit! Ja sicher, Traumberufe, das Stichwort! Kinder wollen Zugführer und Polizist werden, Mechaniker und Astronaut. Dieser Wunsch hat nur mit ihnen selbst zu tun, mit ihren Interessen, mit dem, was sie fasziniert und motiviert; die Glückseligen wissen noch nichts von gesellschaftlichem Image. Bald aber wird ihnen klar gemacht, dass Mechaniker zu nah und Astronaut zu ferne ist. Fanni A. Storch |
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