Schulreform (k)eine Chance?von Martina Adami
Lernberater/innen und Portfolio haben sich nicht durchgesetzt. Wenn man die Protokolle verschiedenster Arbeitsgruppen aus dieser Zeit durchliest, erahnt man vielleicht auch, warum. „Der Schulamtsleiter stattet der Gruppe einen Besuch ab und gibt Auskunft über die Abänderungen im Beschlussentwurf. Er gibt einen Überblick über die spannungsgeladenen Diskussionen rund um die Schulreform. Man war bemüht, dem umstrittenen Entwurf die größten Angriffsflächen zu nehmen und so hat man sich entschieden, von der Figur des Lernberaters abzugehen, gleichzeitig das Recht des Kindes auf Lernberatung zu gewährleisten.“ „Mit den personenbezogenen Lernplänen ist etwa die Hälfte der Schülerschaft noch nicht befasst worden, ein anderer Teil nur innerhalb einzelner Fächer. Die Möglichkeit der Selbsteinschätzung und der Dialog mit den Lehrpersonen werden zwar positiv beurteilt, die Einsicht in die Bedeutung der Maßnahme ist jedoch häufig sehr eingeschränkt.“ „Die Lehrpersonen teilen zum Großteil die pädagogischen Grundideen der Reform und sind zum Teil der Meinung, dass sie auch ohne Reform auf dem besten Wege gewesen seien, diese Konzepte zu realisieren. Es wird jedoch befürchtet, dass mit der Reform eine bürokratische Erstarrung bei der Umsetzung einhergehen könnte.“ Was steckt hinter der Reform? War diese Reform darum eine Eintagsfliege? Eine der vielen italienischen Reformen und Reförmchen, die letztendlich doch vieles beim Alten lassen? Ob man nun Ziffern- oder Buchstabennoten gibt, „irgendwie übersteht man doch alles“. Man könnte es auch auf die Oberschule ausweiten: Ist die gewollte Reform gescheitert, weil manche Lehrpersonen meinen, bei der Kompetenzdiskussion gehe es nur darum, Leistungsansprüche zu verwässern? Oder sind Pflichtschul- und Oberschulreform ein Versuch, auf staatliche und europäische Veränderungen zu reagieren, die aus gesellschaftlichen Gegebenheiten heraus notwendig erschienen? Schule ist ein extrem komplexes Ganzes, bei dem fast jeder glaubt, kompetent zu sein und mitreden zu müssen. Politik will Veränderungen, damit man dem Wähler zeigen kann, dass man etwas geleistet hat. Manche Eltern hoffen auf die eine oder andere Reform, weil sie meinen, dass dadurch unangenehme Schulerlebnisse ihrer Kinder in Zukunft verhindert werden können. Oberschüler haben Angst vor der Reform, weil diese für sie mit vielen Fragezeichen verbunden ist, z.B.: Wie sieht die Abschlussprüfung für die Reformklassen aus? Warum es nicht so ist, wie es sein soll Viele Lehrpersonen, v.a. diejenigen, die sehr viele Jahre unterrichten, tun sich zunächst einmal schwer. Warum muss Schule reformiert werden? Habe ich in den letzten Jahren alles falsch gemacht? Und sie haben wenig Vertrauen, weil einige politische Entscheidungen in den letzten Jahren Schule als etwas interpretiert haben, das sie aufgrund ihrer tagtäglichen Erfahrungen nicht mehr nachvollziehen können. Ich persönlich hätte die Figur des Lernberaters notwendig gefunden in einer Zeit, in der das Alltagsleben so hektisch geworden ist, dass Ruhe und Reflexion für viele Kinder und Jugendliche immer stärker in den Hintergrund treten. Auch das Portfolio sollte diese Lernreflexion, dieses Lernbewusstsein stärken. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, wie hilfreich diese Hintergrundreflexion für erfolgreiches Lernen ist. Nur: Der Lernberater als Figur bedeutet zusätzliche Arbeit für Lehrpersonen, die, zu einem großen Teil sehr engagiert, sowieso schon sehr vieles abfedern, was an gesellschaftlichen, auch unguten Veränderungen auf uns alle zukommt. Mehrleistung kann aber nicht anerkannt werden, weil Schule nicht mehr kosten darf – ein wunderbarer Circulus vitiosus. Das Portfolio ist nicht die allein selig machende Methode der Lernreflexion. Es gäbe viele andere Möglichkeiten. Warum hat man diese Vielfalt nicht zulassen wollen? Es klafft – trotz aller Bemühungen – immer noch ein ziemlich tiefer Graben zwischen Theorie- und Praxisarbeit. Das hat mit vielen Aspekten zu tun: mit Lehrpersonen, die nicht immer Zeit und Kraft haben, sich in die notwendigen theoretischen Auseinandersetzungen zu vertiefen; mit manchen Schulverantwortlichen, die sehr weit weg wirken vom Klassengeschehen; mit der Tatsache, dass Schule sich per se rasant verändert, weil Kinder und Jugendliche ganz anders sind, als sie es beispiels-weise noch vor fünf Jahren waren, weil sich die Gesellschaft in Südtirol rasant verändert. Es hat auch damit zu tun, dass Lehrpersonen das Gefühl haben, sie seien sowieso dauergefordert und ihre Probleme würden nicht so wahrgenommen, wie sie es sich wünschen. Und Lehrpersonen sind nicht gleich Lehrpersonen. Auch die ganz unterschiedliche Zusammensetzung von Kollegien erfordert viel Zeit und Bereitschaft zur Diskussionskultur.
Fazit und Ausblick Als ich Lehrperson war, haben manche Kollegen, die sich eine schnellere Entwicklung von Schule wünschten, immer wieder gelacht, weil ich darauf aufmerksam machte, dass wir trotz allem einige Schritte weiter gekommen sind. „Ach – deine Politik der kleinen Schritte“, hat es geheißen. Als Schulführungskraft wünsche ich mir auch immer öfter, dass notwendige Veränderungen schneller, unkomplizierter vonstatten gehen, als sie es manchmal tun. Und trotzdem: Veränderungen brauchen Zeit und sie brauchen die heftige und kritische Auseinandersetzung mit dem, was gewollt und warum es gewollt ist. Dass diese gemeinsame Auseinandersetzung auf den verschiedensten Ebenen noch optimiert und professionalisiert werden könnte, daran besteht kein Zweifel, ebenso wenig wie an der Tatsache, dass kein Weg an ihr vorbeiführt.
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dis kus sion
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