Neue Formen der Abschlussprüfung

 

Kompetenzorientiertes Lernen sollte auch neue Formen der Abschlussprüfung der Mittel- und Oberschule mit sich bringen. Erste Erfahrungen wurden in den vergangenen Schuljahren bereits gesammelt.

von Peter Höllrigl

  

Seit Herbst 2011 sind auch an den Oberschulen des Landes die Lehrpläne durch Rahmenrichtlinien ersetzt worden. Sie sind verbindliche Richtlinien, in denen die Kompetenzen, die die Schüler/innen am Ende der Oberschule erreicht haben sollen, definiert werden. Die Rahmenrichtlinien für die Festlegung der Curricula an den Gymnasien und Fachoberschulen Südtirols schließen somit an die kompetenzorientierten Rahmenrichtlinien der Unterstufe an. Folglich erscheint es konsequent, dass die staatlichen Abschlussprüfungen über die Mittel- und Oberschule die erworbenen Kompetenzen angemessen überprüfen. Leistungen, die über die Wiedergabe von Wissen hinausreichen, erfordern aber neue Formen und Verfahren der Leistungs-erhebung und -bewertung. Sie überprüfen und beurteilen auch personale, soziale und methodische Kompetenzen der Schüler-/innen. Somit stellen kompetenzorientierte bzw. innovative Prüfungen hohe Anforderungen an die Lehrpersonen und die Schüler/innen und erfordern in der Regel vielschichtige und ausdifferenzierte Bewertungskriterien, die – wie bei traditionellen Prüfungen auch – normiert, kriterienbasiert, transparent und chancengerecht sein sollten.

Der rechtliche Rahmen, der durch die Bewertungsbeschlüsse für die Unter- und Oberstufe abgesteckt wird, erlaubt die Verwirklichung einer kompetenzorientierten Bewertungspraxis im Unterrichtsalltag. Die Handlungsspielräume der Prüfungs-kommissionen bei den Abschlussprüfungen sind hingegen auf Grund der staatlichen Vorgaben stark eingeschränkt, wobei die Spielräume bei der Abschlussprüfung über die Mittelschule erheblich größer sind. Die Herausforderung der Prüfungskommis-sionen besteht darin, die Möglichkeiten, die Prüfungen kompetenzorientiert zu gestalten, zu nutzen.

 

Abschlussprüfung der Mittelschule

 

Die Abschlussprüfung der Mittelschule hat durch das Gesetz vom 25. Oktober 2007, Nr. 176 wesentliche Veränderungen erfahren. Neu eingeführt wurden die Ziffernnoten, das Zulassungsurteil, die gesamtstaatliche »INVALSI-Prüfung« und die Bescheinigung der Kompetenzen.

Das Ergebnis der Abschlussprüfung ergibt sich aus dem Durchschnitt des Zulassungsurteils, der Einzelergebnisse der fünf schriftlichen Prüfungen (Deutsch, Italienisch, Englisch, Mathematik, gesamtstaatliche Prüfung) und des mündlichen Prüfungs-gesprächs. Dies bedeutet, dass die Schüler und Schülerinnen an fünf aufeinander folgenden Tagen eine schriftliche Prüfung ablegen müssen, die Prüfung sehr sprachlastig ist und dem mündlichen Prüfungsgespräch nur eine geringe Bedeutung zukommt.

Diese Gründe haben die drei Schulämter veranlasst, auf dem Versuchswege eine Änderung durch das Unterrichtsministerium zu erreichen. Vorgeschlagen wurden beispielsweise die Reduzierung der Anzahl der schriftlichen Prüfungen, die Verkürzung der Prüfungsdauer und eine neue Gewichtung der Prüfungsteile, um die Leistungen, die während des Schuljahres erbracht wurden, und das mündliche Prüfungsgespräch stärker berücksichtigen zu können.

Das Unterrichtsministerium lehnte jedoch den Antrag auf Erprobung einer neuen Prüfungsform ab. In der Folge intensivierte das Deutsche Schulamt die Bemühungen, die Abschlussprüfung, wenn schon nicht in formaler, so doch in inhaltlicher Hinsicht neu zu strukturieren. Nach einer Erprobungsphase im Vorjahr wird heuer die schriftliche Prüfung in Italienisch erstmals nach einheitlichen Kriterien durchgeführt. Für die schriftliche Prüfung in Englisch sind in den vergangenen Wochen einheitliche Kriterien erarbeitet worden, die ab dem kommenden Schuljahr angewendet werden sollen. Auch in Mathematik erarbeitet eine Arbeitsgruppe Beispiele für kompetenzorientierte Aufgabenstellungen, die den Lehrpersonen als Anregungen für die eigene Aufgabenentwicklung dienen sollen. Erste Überlegungen für eine Anpassung der Deutschprüfung sind ebenfalls bereits angestellt worden. Für das mündliche Prüfungsgespräch gibt es schon seit längerer Zeit Bemühungen und Bestrebungen, die Sichtbarmachung erworbener Kompetenzen zu verstärken. Zu diesem Zweck sollen die Schüler/innen anlässlich der mündlichen Prüfung ein Thema erarbeiten, präsentieren und diskutieren, an dem sie ein besonderes Interesse bzw. zu dem sie einen persönlichen Bezug haben. Dadurch können sie inhaltliche Kompetenzen zeigen und ihre Ausdrucksfähigkeit, Diskursfähigkeit und Medienkompetenz unter Beweis stellen.

 

Abschlussprüfung der Oberschule

 

Die Abschlussprüfung der Oberschule ist noch viel stärker als jene der Mittelschule durch staatliche Bestimmungen geregelt und hat in den vergangenen fünfzehn Jahren nur geringfügige Veränderungen erfahren. Für das kommende Schuljahr wäre auf Grund der Reform der Oberstufe auch eine neue Reifeprüfung zu erwarten, allerdings scheint dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Fall zu sein.

Die Prüfung besteht derzeit aus drei schriftlichen Arbeiten und einem mündlichen Prüfungsgespräch, wobei die ersten beiden schriftlichen Arbeiten zentral vorgegeben werden und in der Regel sechs Stunden dauern. Die erste schriftliche Prüfung stellt die Kenntnisse und Ausdrucksweise in der deutschen Sprache fest. Die zweite schriftliche Prüfung trägt den Schwerpunkten des jeweiligen Schultyps Rechnung und bezieht sich auf ein typenspezifisches Fach, welches vom Unterrichtsministerium jährlich neu festgelegt wird. Die dritte schriftliche Prüfung besteht aus zwei Teilbereichen. Der erste Teil überprüft die Kenntnisse im Fach Italienisch, der zweite fächerübergreifende Teil bezieht sich auf mehrere Fächer des letzten Schuljahres. Jede der drei schriftlichen Prüfungen wird mit maximal 15 Punkten bewertet.

Die mündliche Prüfung besteht aus drei Teilen. Teil 1 ist der Präsentation und Diskussion einer Facharbeit, eines Schwerpunkt-themas oder eines Projekts vorbehalten, der zweite Teil besteht aus einem möglichst fächerübergreifenden Prüfungsgespräch, das alle Fächer des letzten Schuljahres umfassen kann. Den Abschluss bildet die Besprechung der schriftlichen Arbeiten, in deren Rahmen den Kandidatinnen und Kandidaten die Möglichkeit der Korrektur und der Ergänzung eingeräumt wird. Schüler/innen, die im Prüfungsgespräch besonders hervorstechen, erhalten maximal 30 Punkte.

Für die Endbewertung fließen neben der Bewertung der schriftlichen Arbeiten und des Prüfungsgesprächs auch die Leistungen und der Einsatz während der letzten drei Schuljahre ein. Hierfür werden maximal 25 Punkte vergeben. Die maximal erreich-bare Punktezahl liegt somit bei 100 Punkten. Eine positive Beurteilung setzt das Erreichen von mindestens 60 Punkten voraus, andernfalls muss das gesamte Schuljahr wiederholt werden.

Ungeachtet einer Änderung in der Abschlussprüfung, bietet die geltende Prüfungsordnung ausreichend Spielraum für eine an den Kompetenzen ausgerichtete Prüfungsstruktur. Dies gilt besonders für die mündliche Prüfung, die noch sehr stark wissens-orientiert gestaltet ist. Es liegt an der Prüfungskommission, die Prüfungen stärker kompetenzorientiert zu gestalten und den handelnden Umgang mit Wissen zu überprüfen.

 

Zusammenfassung

 

Kompetenzorientiertes Prüfen erfordert einen entsprechend kompetenzorientierten Unterricht, der auf die Prüfung durch die Bereitstellung entsprechender Lernsettings auch vorbereitet. Die große Herausforderung für die Lehrpersonen liegt darin, grundlegende Zieldimensionen innerhalb eines Faches zu benennen, in denen systematisch und über Jahre hinweg Fähigkeiten und Fertigkeiten aufgebaut werden können. Die Ausarbeitung von kompetenzorientierten Aufgabenstellungen und die Gestaltung von projekt- und problemorientierten Prüfungssituationen im Unterrichtsalltag vermeidet ein isoliertes Abprüfen von reinem Wissen und fördert den Erwerb von Kompetenzen. Es steht außer Zweifel, dass dies ein hoher Anspruch an Lehrpersonen und Schüler/innen gleichermaßen ist. Die bisher gesammelten Erfahrungen machen Mut, dass Unterricht und Prüfungssituationen diesen Ansprüchen gerecht werden können.

 
 
 

Peter Höllrigl,

Direktor des Deutschen Bildungsressorts

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