Leistungsstudien
PISA-Studie, Kompetenztests und andere Leistungsstudien: Wie sind sie aufgebaut? Welches Ziel verfolgen sie? Für wen bringen sie Erkenntnisse? von Rudolf Meraner
Seit 15 Jahren blickt die Bildungsforschung und Bildungsverwaltung vermehrt auf die Ergebnisse, die das Bildungssystem hervorbringt. Bis vor etwa 20 Jahren sorgte ein Staat oder ein Land dafür, dass Lehrer und Lehrerinnen unter möglichst ähnlichen Bedingungen und nach möglichst detaillierten Lehrplänen unterrichteten. Dann erkannte man, dass die Bedingungen trotzdem sehr unterschiedlich waren und dass trotz einheitlicher detailreicher Lehrpläne der Unterricht in den einzelnen Klassen höchst unterschiedlich ausfiel. Mit der Autonomie der Schulen verknüpfte man die Hoffnung, dass vor Ort auf die unterschiedlichen Bedingungen eingegangen wird und die Stärken der Verschiedenheit genutzt werden. Aus Lehrplänen wurden Rahmenrichtlinien, um auch das Lernen in den einzelnen Klassen gezielter auf die jeweiligen Schüler und Schülerinnen ausrichten zu können. Der Gesetzgeber legte weniger genau fest, was Schule zu tun hatte (weniger Input- Steuerung), sondern interessierte sich stattdessen stärker dafür, welche Ergebnisse am Ende herauskamen (mehr Output-Steuerung). In diesem Kontext sind die internationalen Leistungsvergleiche und die Kompetenztests zu sehen. Der internationale Leistungsvergleich PISAIn den 1990er Jahren wollten die Industrieländer die bis dahin sporadisch durchgeführten Leistungsstudien auf eine neue Grundlage heben. Dazu schufen sie innerhalb der OECD das „Programm for International Student Assessment“. Die führenden Forschungseinrichtungen wurden beauftragt, einen internationalen Leistungsvergleich für die Lesekompetenz, die mathematische und die naturwissenschaftliche Grundkompetenz auszuarbeiten. Dutzende von Forschungseinrichtungen mit Tausenden von Wissenschaftlern waren – und sind immer noch – daran beteiligt. Seit dem Jahr 2000 finden diese Leistungsvergleiche nun alle drei Jahre statt. Für wen sind die Ergebnisse relevant? In PISA werden die Ergebnisse von Bildungssystemen von Staaten, Ländern oder Regionen gemessen. Die Stichprobe ist so ausgerichtet, dass sie für das Bildungssystem, das sich daran beteiligt, repräsentativ ist. Das Land Südtirol hat sich mit seinem Bildungssystem seit 2003 mit einer repräsentativen Stichprobe beteiligt. Aufgrund der Anlage der Studie können aus den Ergebnissen also Erkenntnisse für das Südtiroler Bildungssystem insgesamt sowie getrennt für die deutsche und italienische Schulwelt gezogen werden. Die getrennt ausgewiesenen Ergebnisse der ladinischen Schule sind aufgrund der Kleinheit und der Tatsache, dass viele ladinische Schüler und Schülerinnen deutsche Oberschulen besuchen, nicht aussagekräftig. Die einzelnen Schulen erhalten zwar auch ihre jeweiligen Ergebnisse. Aber auch diese sind mit großer Vorsicht zu betrachten, da der gesamte Aufbau von PISA so ausgerichtet ist, dass er Ergebnisse für Bildungssysteme und nicht für einzelne Schulen erbringt. Welche Schlussfolgerungen kann man aus den PISA-Ergebnissen ziehen? PISA ermöglicht einem Bildungssystem zu erkennen, wo es im Vergleich mit anderen Bildungssystemen steht. Durch PISA kann man sehen, wie sich die Leistungen in den drei Grundkompetenzen im Laufe der Zeit verändert haben. Da in PISA der sozioökonomische Index der Schüler und Schülerinnen sowie der Schulen gut erfasst wird, ermöglicht PISA auch Aussagen, wie gerecht ein Bildungssystem ist, oder anders ausgedrückt, ob Schüler und Schülerinnen aus eher benachteiligten Verhältnissen gute Bildungschancen haben. Wie ist mit den Ergebnissen umgegangen worden? Die PISA-Ergebnisse sind in den meisten Staaten, Ländern und beteiligten Regionen tatsächlich als Gradmesser für das Bildungssystem genutzt worden. Nur selten hat es eine nicht angemessene Nutzung gegeben. Die Bildungssysteme sind allerdings höchst verschieden mit den Ergebnissen umgegangen. In Italien sind die PISA-Ergebnisse bis vor einigen Jahren kaum zur Kenntnis genommen worden. In Deutschland haben die Ergebnisse von PISA 2000 hingegen einen Schock ausgelöst, der aber dann dazu genutzt wurde, intensiv darüber nachzudenken, was verbessert werden muss. Die Maßnahmen, die danach durchgeführt wurden, haben zu wichtigen Reformen im Bildungssystem geführt – vor allem in der frühkindlichen Bildung, im Ausbau der Ganztagsbetreuung, in der Weiterentwicklung oder Abschaffung der Hauptschulen, in der Förderung der Migranten und Migrantinnen, in der Fachdidaktik etwa durch Programme wie SINUS – und in der Folge zu einer Leistungssteigerung. In Österreich hat man hingegen den Kopf in den Sand gesteckt und hat Ausreden über Ausreden bemüht – mit der Folge, dass die Ergebnisse sich eher verschlechtert haben. Und dadurch, dass man sich aus PISA 2015 einfach ausklinkt, werden die Ergebnisse sicher nicht besser werden. Kann man von anderen Ländern lernen? Dieser Anspruch steckt hinter PISA – und Deutschland hat vorgemacht, dass einiges möglich ist. Viele Bildungsdelegationen haben Finnland besucht und beobachtet, was die finnischen Schulen auszeichnet. Man kann nicht alles übernehmen, aber man kann prüfen, was übertragbar ist und in das eigene System passt. Vom Fördersystem an finnischen Schulen sind Schulen in Südtirol oder in Deutschland noch ein Stück weit entfernt, aber es sind bedeutende Schritte in diese Richtung gesetzt worden. Schwieriger ist es, Haltungen zu verändern. Ein Schlüsselerlebnis war für mich ein Gespräch mit einer Schülerin in einem Lyzeum in Helsinki. Sie war im Jahr vorher für ein Jahr als Austauschschülerin in Frankfurt und hat gesagt: „In Finnland ist der Lehrer dein Freund, er fragt immer, wie er dir helfen kann, damit du gut lernen kannst. In Deutschland steht der Lehrer auf der anderen Seite; er sagt dir immer, was du noch nicht kannst und was du tun musst.“ Was würde sie wohl sagen, wenn sie ein Jahr eine Schule in Südtirol besuchen würde? Die KompetenztestsDie Kompetenztests haben mit der internationalen Vergleichsstudie PISA nur gemeinsam, dass sie auf kompetenzorientierten Aufgaben beruhen. Während aber jene von PISA auf die gesamten angesammelten Lernerfahrungen in der bisherigen Schulkarriere abzielen, sind die Aufgaben der Kompetenztests gezielter auf die jeweilige Jahrgangsstufe zugeschnitten. Welche Kompetenztests gibt es? Für Italien sind Kompetenztests in der Unterrichtssprache und in Mathematik für das Ende der 2. und 5. Klasse Grundschule, für die 1. Klasse Mittelschule und für die 2. Klasse der Oberschule vorgeschrieben worden. Südtirol muss sich daran halten und muss folglich Kompetenztests durchführen. Da Südtirol nicht die Aufgaben für die Unterrichtssprache übernehmen kann und weil es mit den Rahmenrichtlinien besser übereinstimmt, hat Südtirol mit dem Unterrichtsministerium und mit dem INVALSI, das im Auftrag des Unterrichtsministerium die Kompetenztests durchführt, vereinbart, dass für die Grundschule nur am Ende der 3. Klasse Kompetenztests durchgeführt werden. Dadurch hat Südtirol die Möglichkeit, die Aufgaben aus den deutschen Kompetenztests VERA 3 und VERA 6 zu übernehmen. Bei der Übernahme der Aufgaben wird genauestens geprüft, dass sie mit den Rahmenrichtlinien übereinstimmen. Ja, ein beachtlicher Teil der Aufgaben entsteht in Südtirol und wird auch in deutschen Bundesländern verwendet. Die Aufgaben für die Kompetenztests in Deutsch in der 2. Klasse Oberschule und für Italienisch in der 4. Klasse Grundschule und in der 1. Klasse Mittelschule werden in Südtirol erarbeitet. Da der Zeitaufwand für die Aufgaben-entwicklung, Pilotierung, Überarbeitung der Aufgaben sehr groß ist, können diese Tests nur in dreijährigem Rhythmus stattfinden. Welchen Sinn haben die Kompetenztests? Für wen sind die Ergebnisse relevant? Die Kompetenztests sind als ein Frühwarnsystem eingerichtet worden, das den Lehrpersonen sagt, wo die jeweilige Klasse in Bezug auf die abgefragten Kompetenzen steht. Dazu kann sie die Ergebnisse der eigenen Klasse mit denen der Parallelklassen der Schule und mit einem korrigierten Landesmittelwert vergleichen. Der korrigierte Landesmittelwert simuliert eine Klasse auf Landesebene, die in Bezug auf die soziale Herkunft der Schüler und Schülerinnen gleich zusammengesetzt ist wie die eigene Klasse. Die Kompetenztests geben also Antwort auf die Frage: Inwieweit sind die in den Rahmenrichtlinien festgelegten Kompetenzziele erreicht worden? Was ist mir und meiner Klasse besonders gelungen? Bei welchen Kompetenzen ist für die nächste Zeit Aufholbedarf? Darüber hinaus sind die Ergebnisse auch für die Schulführungskraft relevant, wenn sie mit denselben Fragestellungen an die Ergebnisse herangeht. Was sagen die Kompetenztests in Bezug auf die einzelnen Schüler und Schülerinnen aus? Die Lehrpersonen erhalten die Lösungshäufigkeiten Aufgabe für Aufgabe für jeden einzelnen Schüler. Die Tests sind aber so konzipiert, dass sie relevante Aussagen zu der Bewältigung der Aufgabenstellungen in der Klasse bieten, dass sie aber nicht als Individualdiagnose dienen. Dazu sind sie zu wenig umfangreich. Aus diesem Grund ist mit den Ergebnissen auf Schülerebene sehr vorsichtig umzugehen. Welche Rolle spielen die Kompetenztests für die Landesebene? Die Evaluationsstelle erstellt jährlich einen Landesbericht, in dem die Daten aller Klassen zusammengenommen werden. Daraus ersieht man, wie die einzelnen Kompetenzen im Durchschnitt im Lande erreicht werden. Daraus kann man beispielsweise Maßnahmen im Bereich der Lehrerfortbildung und der Unterstützung von Fachgruppen ableiten.
Die INVALSI-Tests Die Aufgaben dieser Tests im Rahmen der Mittelschulprüfung sind ähnlich aufgebaut wie die der Kompetenztests, verfolgen aber ein ganz anderes Ziel. Diese Tests sind Teil der Abschlussprüfung mit zentral ausgearbeiteten Aufgabenstellungen. Dadurch wird festgestellt, inwieweit jeder Schüler und jede Schülerin die abgefragten Kompetenzen beherrscht, um damit ein weiteres, ein objektiveres Kriterium für die Bewertung zu haben. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, das noch nicht zur vollen Zufriedenheit gelöst wurde. Aber auch die Ergebnisse dieser INVALSI-Tests können für die Unterrichtsentwicklung genutzt werden, wenn die Lehrpersonen mit geeigneten Fragen an die Ergebnisse herantreten. Weitere StudienEs gibt eine Reihe von weiteren Studien, die zum Teil von der OECD und zum Teil von einzelnen oder mehreren Forschungs-einrichtungen ausgearbeitet und durchgeführt werden. In Südtirol hat man sich entschieden, dass die Beteiligung an PISA und an den Kompetenztests ausreicht und man damit genügend Elemente für die Weiterentwicklung auf Landes-, auf Schul- und auf Klassenebene hat. Deshalb beteiligt man sich nicht an internationalen Studien wie TIMSS (Mathematik und Naturwissen-schaften), an PIRLS (Lesekompetenz in der Grundschule), PIAC (Lesekompetenz der Erwachsenen). Auf Landesebene werden hingegen einige Studien in Zusammenarbeit zwischen Bildungsressort und EURAC oder Universität Bozen durchgeführt. Hier ist zum einen Kolipsi zu nennen, das zur Feststellung der Zweitsprachkompetenzen vor einigen Jahren von der EURAC durchgeführt worden ist und demnächst wiederholt werden soll. Daneben gibt es die Studie „Bildungssprache im Vergleich“, in dem die Erstsprachkompetenzen der abgehenden Oberschüler und Oberschülerinnen im Vergleich zu den Gleichaltrigen in Nordtirol und Thüringen abgefragt werden. Auch bei dieser Studie ist die EURAC federführend.
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