Sind Tests das Ziel von Schule?
Jetzt geht es ans Eingemachte! Wenn wir von Noten reden, wenn es um die Bewertung von Leistungen geht, kommen wir zum Kern der Sache. Darum geht es doch in der Schule. Oder? Nicht wenige denken jedenfalls so, nicht zuletzt viele Schüler/innen. Auf die Frage „Warum lernst du?“ bekomme ich als Lehrer von meinen Schülerinnen und Schülern praktisch immer die (logische?) Antwort: „Damit ich eine gute Note bekomme!“ Der Kompetenzbegriff führt uns aber recht weit weg von dieser Vorstellung. Es geht nicht (mehr) um das Erreichen einer möglichst guten Bewertung, einer Ziffernnote, die von Lehrerinnen und Lehrern zugewiesen wird. Vielmehr wollen wir junge Menschen an unseren Schulen haben, die in vielen Bereichen viele Dinge tun können. Das sollen sie möglichst selbstständig erreichen. Im Idealfall sollten Schüler/innen sich selbst einschätzen lernen, ihre Stärken und Schwächen kennen, erstere ausbauen und an letzteren arbeiten. Wir Lehrpersonen begleiten sie dabei, stellen ihnen Materialien und Methoden zur Verfügung, beraten sie, geben ihnen Feedback. Soweit die Utopie. Über die Realität brauche ich Ihnen nichts zu erzählen. Was will die Gesellschaft, deren Beauftragte wir ja sind? Welche Leistungen sollen Mitglieder dieser Gesellschaft erbringen können? Das ist nicht einfach festzustellen. Oft ist die Rede von Selbstbewusstsein, Leistungsbereitschaft, Motivation, Belastbarkeit, Kreativität, Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen. Manche dieser Begriffe scheinen sich zu widersprechen. Wie kann ein Mitarbeiter im Betrieb alle diese (und weitere) Kompetenzen haben? Die Frage lässt sich auf so schmalem Raum nicht beantworten. Eines scheint mir aber klar: Auf dem klassischen Wege sind diese Ziele nicht leicht erreichbar, zumindest nicht alle. Wenn wir Jungen und Mädchen auf eine bestimmte Leistung hin trimmen wollen und dies an Standards messen mithilfe von (ebenso standardisierten) Tests und Prüfungen, so erfüllen wir nach meiner Meinung den Auftrag nicht richtig. Das Leben und die Anforderungen an dieses sind außerordentlich vielfältig (man werfe einen Blick auf die kleine Reihe von Leistungsbegriffen im oberen Absatz), ebenso vielfältig sollten Unterricht und dazugehörige Leistungskontrollen sein. Mit dem Schema „Stoff => wiederholen => lernen => prüfen => Stoff => wiederholen => lernen => Schularbeit => Schlussnote“ ist diese Vielfalt nicht zu erreichen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dieser Gedankengang hat wenig mit windelweichen Leistungsbegriffen gewisser Ideologen-Pädagogen zu tun. Kinder und Jugendliche brauchen keine abgeschotteten Paradiese, um der ach so bösen kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu entgehen. Sie wollen leisten, Druck und damit Grenzen spüren, Leistungen bringen, Misserfolge und Erfolgserlebnisse kennenlernen. Wir Erwachsenen können ihnen mit unseren Tests und Prüfungen eine Art der Rückmeldung geben. Aber nicht nur diese. Es gibt vielfältige Wege hin zu einer kompetenten Persönlichkeit. Wir sollten uns aufmachen.
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frei heraus gesagt
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