Spracherlebnis im Museum
Heutige Bildungsstandards verlangen nicht nur das Einhalten curricularer Vorgaben, sondern auch eine Förderung der Handlungs- und Kommunikationskompetenz sowie ein selbstständiges, autonomes Lernen. Drei Bozener Museen haben es sich zum Ziel gesetzt, diesen Anspruch mitzutragen. von Vera Bedin, Brita Köhler und Margit Schweigkofler
Ein Blick in die Rahmenrichtlinien untermauert, was spätestens seit Beginn der Entwicklungspsychologie bekannt ist: Die sprachliche Kompetenz zählt zu den grundlegenden Voraussetzungen der menschlichen Entwicklung. Sie schafft die wesentlichen Bedingungen für unsere Kommunikation, ist Ausdruck unseres Denkens, Fühlens und Handelns und ermöglicht nicht nur dem heranwachsenden Kind den Zugang zur Welt. Dass der Erwerb von Sprache einen komplexen Prozess darstellt, der sich durch vielfältige Anregungen, durch soziale Interaktion, konkretes Handeln und ein ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen vollzieht, geht aus zahlreichen Quellen hervor. Den größten Erfolg versprechen Erfahrungen, die zum Mitmachen motivieren, die einen Sinn ergeben und die eigenen Interessen aufgreifen. Dies geschieht in vielen Lebenszusammenhängen – im Spiel, in der Familie, in der Schule, in Alltagssituationen. Je bunter und mannigfacher die sprachlichen Anregungen, desto reicher gestaltet sich der Ausbau der Erstsprache, die als wesentliche Grundlage für den Erwerb der Zweit-, bzw. Drittsprache gilt.
Das Museum als Ort der individuellen Spracherfahrung Außerschulische Lern- und Erfahrungsorte unterstützen und erweitern das Potenzial an stimulierenden Sprachanlässen. Die Vielfalt und Anschaulichkeit der Inhalte, wie ein Museum sie aufweist, ermöglicht ein individuelles, handlungs-orientiertes Lernen, das sich manchmal sogar effektiver als im curricular gesteuerten Klassenraum gestalten lässt. Nicht selten erleben Schüler/innen sich im außerschulischen Kontext freier und aktiver: Sprache wird hier durch konkrete Anlässe unmittelbar erfahrbar, alternative Bezüge zur Wirklichkeit werden greifbar. Der Ansatz, nicht nur sinnlich, sondern auch experimentell mit Sprache umzugehen ermutigt dazu, sich auszuprobieren und die eigenen Kenntnisse auszubauen. Leistungsschwächeren wie auch -stärkeren bietet die freie Sprachanwendung gleichermaßen Raum für individuelles Können.
Drei Bozner Beispiele Das Südtiroler Archäologiemuseum, das Naturmuseum sowie das Museion bieten erfolgreich gesonderte Angebote zur Sprachförderung an. Hier stellen sie sich vor! (bk)
A) Im Archäologiemuseum: Sprachausflug in die Vergangenheit
Im Südtiroler Archäologiemuseum geben Ötzi und seine Objekte die Möglichkeit, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen. Mittlerweile wissen wir einiges über seine Zeit, über das Leben vor 5.300 Jahren, welchem die Menschen nachgegangen sind und welche Dinge sie hierfür verwendet haben. Es sind die Beifunde dieses Menschen, die uns Auskunft darüber geben. Schon eine kleine Pfeilspitze bietet ein buntes Repertoire an Themen an, denn sie dient nicht nur als Beleg für die Jagd und Nahrung. Betrachtet man ihre Beschaffen-heit, wird Silex bzw. Feuerstein ein Thema. Dieser ist glatt und schneidig, er ist bearbeitet. Womit? Welche Werkzeuge und Techniken wurden angewandt? Er stammt aus einer weiter südlichen Gegend. Wie kam er zu Ötzi? Welche Formen des Handels gab es damals? Ist in diesem Zusammenhang eine Form der Migration feststellbar? Weitaus länger kann die Themenliste werden. Für die unterschiedlichen Altersgruppen und Sprachniveaus eignen sich differenzierte Themen und Herangehens-weisen. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht unbedingt auf der Vermittlung der klassischen Inhalte, vielmehr dienen die Objekte als Gesprächsgrundlage. Der bereits erworbene Wortschatz soll in einem unverfänglichen Umfeld ausgetestet und erweitert werden. Dreidimensionales lässt auch Sprache greifbarer werden. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen bietet das Südtiroler Archäologiemuseum zwei Angebote:
Piacere! Ich bin Ötzi! Zielgruppen: Vierte und fünfte Klasse der Grundschule (60 Min.) Einzig über das Berühren, den Tastsinn, nähern sich die Kinder den Materialien. Um diesen ihre verdeckten Themen zu entlocken, müssen sie erkundet und beschrieben werden. Adjektive und Verben, bereits bekannte und auch neue, werden eingesetzt. Ötzis Beifunde bieten die Möglichkeit, in die Vergangenheit einzutauchen und darüber zu sprechen. Vielfältige Handlungssituationen geben den Anstoß zur Verwendung der Fremdsprache.
Jäger? Pastore? Have a guess at Ötzi’s job! Zielgruppen: Erste und zweite Klasse der Ober- und Berufsschulen (60 Min.) Dieses Angebot kann in italienischer und englischer Sprache gebucht werden (Englisch mindestens Sprachniveau B1).Wissenschaftler bieten eine Reihe von Theorien, wenn es um Ötzis Beruf geht. Seine Beifunde lassen Rückschlüsse auf verschiedene Tätigkeiten zu, z. B. Jäger, Hirte, Schamane. Diese Exponate und die daraus abgeleiteten Theorien bieten die Grundlage für dieses Programm. (vb) Infos zu aktuellen Angeboten finden Sie unter: http://www.iceman.it/de/schule
B) Kunst und Sprache im Museion Ein großes Potenzial der Kunst liegt darin, alternative Zugänge für individuelle Sichtweisen zu schaffen. Oft wird sie zum Türöffner für Themen, die uns beschäftigen. Vor allem die zeitgenössische Kunst ist wie eine Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt wurde – jeder kann und darf sich darin einbringen, mit den eigenen Visionen, Fragen und Emotionen. Der Dialog mit Kunst schlägt Brücken zur Alltagskultur und führt uns gleichermaßen in das Reich der Fantasie und inneren Vorstellungskraft. Alternative Lebensformen und ein erweiterter Blick auf die Norm können individuell aufgeworfen werden – ohne Richtig oder Falsch, in einer zwanglosen, demokratischen, interkulturellen Atmosphäre.
Sprache leben und erfahren Der gezielte Umgang mit Sprache hat im Museion eine langjährige Tradition: So entstammen zahlreiche Werke der Sammlung einem Bereich, der Kunst und Sprache visuell vereint. Zudem bieten die Inhalte des Hauses viele Möglich-keiten, Sprache unmittelbar, als Ausdruck persönlicher Interessen, zu erfahren. In der Erarbeitung unserer altersdifferenzierten Angebote werfen wir gezielt Gesprächsthemen auf. Neben dem gesprochenen, geschriebenen, ge- oder erfundenen Wort kommen dabei auch non-verbale, gestalterische oder experimentelle Formen der Kommunikation zum Tragen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf praktisch orientierten Sprach-Handlungsprozessen: Hier wird Sprache selbst zum Material, zum spielerischen Baustein, der über das eigene handelnde Tun Kompetenzen erweitert und vertieft.
Das Museion Multisprachen-Projekt Zielgruppen: Grund-, Mittel- und Oberschüler/innen (90 Min.) Mit jeder neuen Ausstellung werden ausgewählte Werke zum Anlass für eine gesonderte Förderung der Sprachen Italienisch, Deutsch oder Englisch. Für die Erarbeitung und Umsetzung setzen wir ausschließlich sprachdidaktisch geschulte Mitarbeiter/innen ein. Je nach Alter kommen assoziative Objekte und konkrete Materialien, narrative Elemente, Wortkarten oder Textfragmente zum Einsatz. Während die Jüngeren sich spielerisch ins Reich des Fabulierens und Fantasierens begeben, lassen die Älteren sich auf experimentelle Inputs, wie raumfüllende Kollektivsätze, ein oder auf Impulse, die eigene Fragen aufwerfen. Ziel des Multisprachen-Projekts ist es, anregende Situationen zu schaffen, die zu individuellen Freiräumen ermutigen und Sprache zu einer sinnvoll und positiv erlebten Erfahrung werden lassen. (bk) Infos zu aktuellen Angeboten finden Sie unter:http://www.museion.it/?page_id=646&lang=de
C) Im Naturmuseum: Sprache schafft Wissen Das Naturmuseum bietet Schüler/innen der Grund- und Mittelschule zu einer Reihe von spannenden Wissensthemen Abläufe in der Zweitsprache an. Um den Spracherwerb möglichst konkret und anschaulich zu gestalten, setzen wir Materialien aus der Didaktischen Sammlung ein und planen unsere Angebote handlungsorientiert. Die persönliche Begeisterung und Neugier für den Ausbau der eigenen Erfahrungen und mitgebrachten Kenntnisse rund um Themen der Natur werden darüber hinaus zu wichtigen Mitspielern, die zum freien Sprachgebrauch ermutigen und sämtliche durchlaufenen Szenarien authentisch werden lassen. Sprache als Zugang zum eigenen Wissen Je nach sprachlicher Kompetenz werden drei leistungsdifferenzierte Varianten angeboten, wobei zur Vorbereitung der Varianten A und B Materialien zum Grundwortschatz auf der Homepage des Naturmuseums heruntergeladen werden können. Variante A (60–90 Min.) Die Schüler/innen sind in der Lage, einem einfachen Gespräch in der Zweitsprache zu folgen (passiver Wortschatz). Praxiseinheiten sowie auf Sinneseindrücke orientierte Einheiten werden in der Zweitsprache, Einheiten mit komplexeren und abstrakten Inhalten in der Muttersprache durchgeführt. Dies ist vor allem für Klassen interessant, die in einem außerschulischen Umfeld die Zweitsprache ausprobieren wollen, gleichzeitig jedoch Informationen zum Thema in der eigenen Muttersprache erhalten möchten. Variante B (60–90 Min.) Die Schüler/innen sind in der Lage, einem Gespräch zu folgen und haben die Motivation, aktiv daran teilzunehmen (passiver und aktiver Wortschatz). In diesem Ablauf steht die Gesprächsbereitschaft im Vordergrund und nicht der fehlerfreie Einsatz der Zweitsprache. Das Angebot findet ausschließlich in der Zweitsprache statt. Variante C (60–120 Min.) Die Schüler/innen verfügen über einen guten passiven und aktiven Wortschatz zum gewählten Thema. In dieser Variante sind alle Angebote für Grund-, Mittel- und Oberschulen möglich.Und außerdem: Das Angebot „Ökosysteme in Südtirol“ wird speziell für Oberschulen auch in englischer Sprache angeboten. (ms) Mehr Infos unter: www.naturmuseum.it / Rubrik Schule & Museum, Angebote in der Zweitsprache
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