Wieso? Warum? Aha!

In meinem Praxisbeitrag befasse ich mich mit einem Wahlpflichtfach für begabte und motivierte Kinder und beschreibe, wie die Begabtenförderung an unserer Grundschule erfolgt. Vorab jedoch auch ein paar allgemeine Gedanken zu Begabung und Talent.

von Judith Gasser

 

„Begabung verpflichtet“ - so lautete der Titel einer Tagung im Februar 2014, die von der Fachstelle für Inklusion und Gesundheitsförderung, Begabungs- und Begabtenförderung organisiert wurde. Der vollbesetzte Konferenzsaal der EURAC hat bewiesen, dass Begabtenförderung ein immer wichtigeres und aktuelleres Thema unseres Schulalltags wird. Im Ausschreibungstext war zu lesen: „Begabungen sind wertvoll – sie zu erkennen und zu fördern ist ein wichtiger Auftrag. Es gilt Türen zu öffnen, damit begabte Menschen ihre Stärken wahrnehmen und ihren Weg selbstbewusst beschreiten.“

Seit ich im Jahr 2012 die Ausbildung „Integrative Begabungs- und Begabtenförderung“ an der Pädagogischen Hochschule Luzern abgeschlossen habe, verfolge ich den oben erwähnten Auftrag: Die Begabungen und Talente der Kinder wahrnehmen und ihnen die Chance geben, diese auszubauen und weiterzuentwickeln. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Talentierten Schülerinnen und Schülern zusätzliche Angebote machen: Projektgruppen, Teilnahme an Wettbewerben, besondere Wahlfächer und Arbeitsgruppen, bei denen die Kinder die Klasse verlassen.
  • Den Schulstoff so straffen, dass für diese Kinder Zeit bleibt, sich mit ihrem Interessensgebiet zu beschäftigen. Dabei ist selbstständiges Lernen eine notwendige Kompetenz.
  • Den Kindern im regulären Unterricht differenzierte Angebote im Wochenplan machen, schwierigere Aufgaben stellen und die Möglichkeit zum selbstständigen Arbeiten anbieten.
  • Im Einzelfall gibt es auch die Möglichkeit einer vorzeitigen Einschulung bzw. Klassenübersprung oder einer persönlichen Betreuung durch einen Mentor.

Die Auswahl der Maßnahmen hängt von den Bedürfnissen und den Möglichkeiten der Schule, des Kindes und der Lehrperson ab.

Im Jahr 2013 haben wir im Schulsprengel Tschögglberg einen Aktionstag für mathematisch und naturwissenschaftlich begabte Schülerinnen und Schüler organisiert. Daraufhin wollten wir eine Initiative an unserer Schule starten, die regelmäßig ein Angebot für hoch motivierte und talentierte Kinder ist.

So haben wir nun bereits zum 3. Mal die Begabten- und Begabungsförderung an unserer Grundschule in den Wahlpflichtblock integriert. Wir dachten uns: Warum etwas Neues erfinden, wenn es bereits Wahlpflichtfächer gibt, die man nutzen kann? Der Titel „Wieso? Warum? Aha!“ soll die Neugier und Wissbegierde der Kinder ansprechen und auf das Forschen und Entdecken aufmerksam machen.

Folgendermaßen lautet die Ausschreibung, die Schüler/innen und Eltern in der Liste aller Wahlpflichtfächer vorfinden: „Wieso? Warum? Aha! Ein Wahlpflichtfach für besonders motivierte und begabte Schülerinnen und Schüler, die gerne Neues lernen und hohe Einsatzbereitschaft zeigen. Wir gehen in allen Fächern in die Tiefe, forschen, entdecken und knobeln. Die Kinder werden von den Lehrpersonen eingeladen.“

 

Die Klassenlehrpersonen wählen Schüler und Schülerinnen aus, die ihrer Meinung nach in unser Wahlpflichtfach passen. Daraufhin erhalten diese Kinder eine Einladung von uns Lehrpersonen.

 

Planung

 

Bei der Planung des Wahlpflichtfachs (7 mal 2 Stunden) haben wir uns folgende Ziele gesetzt:

  • Die Kinder sollen Herausforderungen meistern: Sie sollen sich mit schwierigeren Problemen, Rätseln und Themen als im Unterrichtsalltag beschäftigen.
  • Die Kinder sollen in ihrer Kreativität und Logik gefördert werden: Sie sollen über Rätsel und Fragen nachdenken, Vermutungen äußern, Lösungen aussprechen.
  • Die Kinder sollen sich mit ihren Begabungen und Talenten auseinandersetzen. Sie sollen darüber nachdenken, in welchen Bereichen sie ihre Talente sehen und wo sie diese ausleben können.
  • Außerdem laden wir im Laufe jedes Wahlpflichtfachs einen Experten/eine Expertin ein. In den letzten Jahren haben wir den Maschinenraum der Seilbahnstation besichtigt. Außerdem besuchten uns ein Uhrmacher und eine Ärztin.

 

Unser Wahlpflichtfach haben wir für die Unterstufe (2. und 3. Klasse) und die Oberstufe (4. und 5. Klasse) parallel organisiert und geplant. Die groben Ziele und Inhalte sind dieselben, in den Details und den einzelnen Inhalten geht der Ablauf auseinander.

Bei der Planung des Wahlpflichtfachs haben wir uns auf das Intelligenzmodell von Howard Gardner gestützt. Er grenzt den Begriff Intelligenz nicht auf kognitive Bereiche ein, sondern beschreibt neun verschiedene Intelligenzen:

  • die sprachliche, naturalistische, räumliche Intelligenz;
  • die logisch-mathematische, musikalische, körperliche Intelligenz;
  • die interpersonale, intrapersonale und existenzielle Intelligenz.

 

Wir haben versucht, die Inhalte für das Wahlpflichtfach möglichst vielfältig auszuwählen; so können viele Fächer einbezogen werden.

 

Kleine Auswahl für die Unterstufe

  • Sprachliche Intelligenz: eine K-Geschichte in Partnerarbeit schreiben; nette, eklige, lustige, komische Wörter in Zeitschriften suchen und sammeln
  • Naturalistische Intelligenz: Experimente zum Thema Schall; Frage der Woche: Warum schmeckt das Meer nach Salz? Warum werden die Äpfel braun, wenn man sie aufschneidet?
  • Logisch-mathematische Intelligenz: Experimente und Versuche zum Thema Wahrscheinlichkeit (Würfelexperimente)
  • Räumliche Intelligenz: Eine kreative Kunstaktion starten. Beispiel: Ein Tourist auf einem Kamel in der Wüste. Er schreit: „UNMÖGLICH! Das MUSS eine Fata Morgana sein!“ Zeichne und male, was er Unmögliches in der Wüste sieht.
  • Interpersonale Intelligenz: Bei Stundenauftakt löst die ganze Gruppe ein bilaterales Rätsel.
  • Intrapersonale Intelligenz: Geschichte zu den verschiedenen Intelligenzen erzählen, mit Intelligenzbarometer und Interessensfragebogen arbeiten und sich der eigenen Talente bewusst werden

 

  Die Kinder denken über ihre Talente und Begabungen nach

Auch im Schuljahr 2014/2015 findet wieder das Wahlpflichtfach „Wieso? Warum? Aha!“ statt. Die Begeisterung der Kinder bestätigt uns darin, dies fortzuführen. Begabungs- und Begabtenförderung sollte aber keinesfalls eine punktuelle Maßnahme sein. Denn begabte Kinder sitzen schließlich das ganze Schuljahr in unseren Bänken und wir sollten sie nicht vergessen! Ich werde mich weiterhin bemühen, sie im Unterricht zu fordern und zu fördern, ihnen differenzierte Aufgaben zu geben und sie in ihren Interessen bestärken. Aktionstage, Projekte, Wettbewerbe und Wahlpflichtfach sind dabei zusätzliche Anreize für sie.

 

 
 
Judith Gasser unterrichtet an der Grundschule Jenesien .

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