"Die Grenzen meiner Welt bedeuten die Grenzen meiner Sprache"Wissen Sie, ich bin es ja eigentlich leid, das Wittgenstein-Zitat zum Thema Sprache in den Mund zu nehmen oder zu hören. Es ist so abgelutscht und zerfleddert und wird dermaßen unreflektiert immer dann zitiert, wenn man klug sein will und etwas Gescheites zum Sprachenlernen sagen muss, dass es eigentlich unverantwortlich ist, es noch einmal zu bemühen. Und eigentlich war ich immer schon nur zum Teil und ab und zu überhaupt nicht einverstanden mit Wittgenstein, d. h. damit, dass seine Aussage kontextlos absolut gesetzt wird und als Dogma und ultimative Wahrheit gesehen wird. Heute will ich es aber mal verdrehen, d. h. ich leihe mir seine Worte, um ein bisschen über schwierige Sprachenlern-situationen nachzudenken. Nicht die Sprache führt zur Horizonterweiterung, sondern die Horizonterweiterung zur Sprache. Wenn ich Neues kennen lerne, will ich es benennen und erzählen, es analysieren und definieren. Wenn ich offen bin, tut sich auch eine Tür zur anderen Sprache auf. Wenn mich mein Herz zu anderen Kulturen hinträgt, dann werde ich die Sprache sprechen wollen und wirklich eintauchen in sie, die die Welt des Anderen mit den Ohren erfahrbar macht. Wenn ich keinen emotionalen Grund habe, mich für eine Sprache zu interessieren, dann bleibt das Lernen auf der Stufe des Paukens stehen, weil man heute halt einfach „Englisch können muss“, weil „Französisch einen so schönen Klang hat“ und weil „Chinesisch die zukünftige Weltwirtschaftssprache ist“.
Wie oft machen wir in der Schule die Erfahrung mit Schwierigkeiten im Italienischlernen! Man mag lange über soziale Gründe und politisch-geschichtlich verankerte Hemmschuhe nachdenken, auf den Punkt gebracht wage ich zu behaupten, es fehlt der emotionale Bezug. Verliebt sich dann eines der hölzern-radebrechenden Mädels in einen, der anders spricht, ist‘s schnell gelernt und angewandt. Dann will man das, was man vorher musste. Manchmal reichen auch ein zweiwöchiger Aufenthalt in Rimini und der Kontakt zu ein paar netten Gleichaltrigen. Welche emotionale Komplexität das Sprachen-lernen-wollen bzw. nicht-wollen oder nicht-können verbirgt, wurde mir auch klar, als ein Vater beim Elternsprechtag meinte, in seiner Familie spreche man zwei Sprachen und er verstehe folglich seine Töchter nicht. Ich war angesichts dieser Aussage schon ziemlich entsetzt: Wenn er sich keine Mühe gibt, zumindest ein bisschen, nur ein bisschen und ganz passiv, die Sprache seiner Frau verstehen zu wollen, ist das tragisch genug und ein Symptom einer eigentlich völlig fehlenden Beziehung, aber das geht mich ja nichts an. Wenn er aber 19 Jahre lang nicht die Gelegenheit wahrnimmt, seine Kinder verstehen zu wollen, rein sprachlich, dann stimmt mich das schon sehr bedenklich. Bedenklich übrigens auch, dass er das so einfach daher posaunte, als sei er das Opfer und nicht der Grund dieser Beziehungslosigkeit. Also, die Welt und den Horizont dieses Mannes fand ich schon bedauerlich eng!
Natürlich, es gibt schon noch ein paar Hemmschuhe, die das Sprachen-lernen oder besser gesagt das Sprechen-lernen schwierig machen: Perfektionismus in Grammatik und Rechtschreibung; starker Akzent: Das kratzende „R“ ist halt einmal ein Stolperstein angesichts des melodischen Klangs mancher Sprachen und mancher meint sich dafür schämen zu müssen; die Angst a priori, weil man ja weiß, dass z. B. Deutsch ein schwierige Sprache sei; und wer‘s nicht glaubt, dem wird es so lange vorgesagt, bis er selber die Erfahrungen macht; allerhand Bedenken wegen einer drohenden babylonischen Sprachverwirrung, wenn ich mehrere Sprachen zugleich lerne.
Da fällt mir nun noch eine Episode aus meiner eigenen Schulzeit ein: Meine Freundin und ich waren gerade ein paar Wochen an der Oberschule und gleich mit drei neuen Sprachen beglückt (zwei davon waren totgesagt, faszinierten uns aber), mit denen wir experimentierten: Auf dem Nachhauseweg unterhielten wir uns nur in diesen Sprachen, indem wir dort, wo uns ein Wort in der einen Sprache fehlte, den entsprechenden Begriff aus einer anderen einsetzten. Abgesehen vom Spaß, den wir hatten, glaube ich heute, dass uns angesichts dieser offensichtlichen und spielerisch gewollten Sprachverwirrung im Grunde die Eigenheiten der einzelnen Sprachen bewusst geworden sind, und dass wir dort, wo ein Zuhörer bedenklich den Kopf geschüttelt hätte, eigentlich Sprachreflexion betrieben haben. Es lebe also die babylonische Sprachverwirrung! Puritanismus ist der größte Hemmschuh. Fanni A. Storch |
dis kus sion
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